Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Boom der Liberalen Schafft die FDP dieses Mal 18 Prozent?
Die FDP sitzt der SPD in den Umfragen neuerdings ganz schön im Nacken. Schon bald könnte sich die Frage stellen, warum die Sozialdemokraten eigentlich einen Kanzlerkandidaten haben, die Liberalen aber nicht.
Vor einem Dreivierteljahr krebsten die Liberalen in den Umfragen um die sechs bis sieben Prozent herum, und die politische Todeszone der fünf Prozent drohte nach dem Thüringer Theater um die Ministerpräsidentenwahl von Thomas Kemmerich. Zudem waren Parteichef Christian Lindner und Generalsekretärin Linda Teuteberg kein Gespann, das den Karren im Gleichschritt zog. Die beiden passten überhaupt nicht zusammen.
Über Thüringen ist inzwischen das Rad der Geschichte weitgehend hinweggerollt, Lindner und sein neuer General Volker Wissing agieren synchronisiert, und Krawallbruder Wolfgang Kubicki macht das, was er immer schon erfolgreich gemacht hat: Wind und Radau. Eine insgesamt kluge und besonnene Corona-Oppositionspolitik und die allgemeine Sehnsucht nach mehr Freiheit in Zeiten einer Pandemie kommen dazu.
Und schon finden sich die deutschen Freisinnigen satt über der Marke der Zweistelligkeit. Vor 20 Jahren hatte sich der zu früh verstorbene und oft zu Unrecht geschmähte Guido Westerwelle im Bundestagswahlkampf die Zahl 18 auf seine Schuhsohle getackert und wurde dafür verlacht. Heute könnte die FDP, wenn es noch ein wenig bergauf geht, mit Recht die Frage stellen, weshalb eigentlich die Sozialdemokraten einen Kanzlerkandidaten haben und die Grünen auch, nur sie nicht.
Nicht alles an Thermik, die die FDP wenige Monate vor der Bundestagswahl erfasst hat, kommt aus Wind, den sie selbst erzeugt hat. Zugute kommt Lindner und seinen Liberalen die Ausweglosigkeit und Verzweiflung einer bürgerlichen Wählerklientel, die in Armin Laschet die Fortsetzung der Ära von Angela Merkel mit anderem Gesicht und anderem Geschlecht sieht.
Die FDP hat immerhin eine Funktion
Damit ist die FDP wieder in ihrer angestammten Rolle gelandet. In der Rolle der Funktionspartei. Das F am Anfang ihres Namens steht dafür: Funktionspartei Deutschlands. Dieser Begriff wird gerne abschätzig benutzt, dabei kann man es auch so sehen: Besser eine Funktion als gar keinen Daseinszweck. Die FDP hat immerhin eine Funktion, die SPD hat gar nichts. Sie ist völlig raus aus praktisch allen Logeleien, die mit einer Regierungsbildung zu tun haben.
Und bei dieser Wahl wird dieses Logeln und das daraus resultierende Taktieren so verbreitet sein wie schon lange nicht mehr. Das insgesamt nivellierte Niveau aller Parteien in den Umfragen bis hin zur Union (die gerade allerdings wieder zart erstarkt) und die derzeit besonders schwache Bindung der Stammwähler an ihre eigentlich favorisierte Partei wird dazu führen, dass so viele Wählerinnen und Wähler wie noch nie um die Ecke wählen. Also ihre Stimme oder ihre beiden Stimmen vor allem einsetzen, um das Schlimmste zu verhindern.
Die SPD spielt dabei keine Rolle, deshalb wird sie unter Umständen auch noch verkraften müssen, dass die FDP im Endspurt an ihr vorbeizieht. Das hängt ganz davon ab, ob sich in den letzten Wochen vor der Wahl ein schwarz-grünes Bündnis abzeichnet. Wenn das so wäre, wofür einiges spricht, dann werden im letzten Moment bürgerliche Wählerinnen und Wähler ihre Stimme doch nicht Laschet geben, sondern Lindner.
Laschet will die Liberalen als Partner
Um so aus einem Schwarz-Grün wenigstens ein Jamaika mit dem Korrektiv FDP zu machen. Was bei Laschet im Unterschied zu Merkel auch nicht Schwarz-Grün mit gelbem Stützrad wäre. Sondern Schwarz-Gelb mit grüner Petersilie. Denn Laschet, der in Nordrhein-Westfalen gerne und gut mit den Liberalen regiert, favorisiert ein Bündnis mit den Liberalen, für das es am Ende aber vermutlich alleine nicht reichen wird.
So könnten sich die Liberalen tatsächlich noch bei den 18 Prozent wiederfinden, für die Westerwelle vor 20 Jahren verhöhnt wurde. Und die SPD kann an ihrem Konkurrenten um Platz drei lernen: Die Dinge können sich ganz schnell ändern. Aber nur, wenn man selbst etwas ändert.
Christoph Schwennicke ist Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft Corint Media. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins "Cicero".