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"Querdenker" und Corona-Rebellen: Das macht sie so gefährlich


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Beobachtung durch Verfassungsschutz
Das macht die Szene der Corona-Rebellen so explosiv


Aktualisiert am 29.04.2021Lesedauer: 8 Min.
Entscheidung des Verfassungsschutzes
Ein Jahr nach der Entstehung sind sie nun im Fokus der Sicherheitsbehörden - der Verfassungsschutz beobachtet nun bundesweit die Corona-Leugner. (Quelle: Glomex)
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Das Bundesamt für Verfassungsschutz nimmt Köpfe der Corona-Leugner deutschlandweit unter Beobachtung. Was macht eine Szene gefährlich, die Herzchen zeigt und viel von Freiheit und Liebe spricht?

Bodo Schiffmann könnte man auf den ersten Blick für einen Aussteiger halten. Der einst renommierte HNO-Arzt hat sich durch Lügen für seine Anti-Corona-Ideologie seine bürgerliche Existenz im beschaulichen Sinsheim ruiniert. Nun lebt er mit Frau und Kindern in Tansania, wo das Durchschnittsalter bei 18 Jahren liegt und kaum jemand an Corona stirbt. Aber aus dem Luxus der "Chele Chele Villa", die für eine Nacht laut Preisliste 490 Dollar kostet, radikalisiert er täglich auf Telegram seine fast 140.000 Abonnenten.

Er bewirbt Gruppen, in denen Soldaten und Veteranen sich gegen die Polizei stellen wollen und kündigt Abrechnung an bei einem "Nürnberg 2.0". Das meint eine Neuauflage der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse und ist eine Idee, die Islamhasser schon vor zehn Jahren aufgebracht haben. Eine entsprechende Seite mit einer Namensliste mit Politikern und Journalisten als Angeklagten ist auf dem Index für jugendgefährdende Medien gelandet.

Schiffmann sagte am Montag, es sei bald so weit, und dann werde er zurückkehren, um Ankläger, Sonderermittler oder Richter zu sein. Schiffmann warnt vor Giftspritzen und predigt, dass es einen Umsturz brauche, zur Not per Militärputsch. Bodo Schiffmann dürfte im Blick sein, wenn der Verfassungsschutz jetzt führende Köpfe der Corona-Leugnerszene beobachtet.

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Dort sind viele Menschen unterwegs, die Angst haben, sich Angst machen lassen und fast nur noch den Menschen vertrauen, die sie in der Angst bestärken. Es ist die Angst, dass das Virus Vorwand für dunkle Pläne einer Elite ist. So sagte "Querdenken"-Gründer Michael Ballweg, "dass die Pandemie eine Inszenierung des digital-finanziellen Komplexes ist, hinter dem eine Clique aus superreichen Milliardären steht".

Soziologe fragte bei Corona-Rebellen nach

Oliver Nachtwey, Professor für Soziologie an der Universität Basel, hat tiefe Einblicke in die Szene. Er fasste es in der "FAZ" so zusammen: "Mit den Corona-Rebellen entsteht eine neue Gegengemeinschaft, die sich um eine, wenn auch imaginäre, geteilte Realitätssicht gruppiert." Bereits im Dezember hat Nachtwey eine Auswertung "Politische Soziologie der Corona-Proteste" vorgelegt, die die Bewegung verstehen hilft.

"Querdenken" hatte Nachtweys erste Ergebnisse gefeiert. Er war damals zum Schluss gekommen: Es sind viele Grünen-Wähler in der Szene, und Fremdenfeindlichkeit und NS-Relativierung sind wenig verbreitet. Das passt zum Selbstbild und zum Bild, das größtenteils friedliche Demos lange vermittelten. Für Fremdenfeindlichkeit gibt es auf den Demos auch weiter wenig Signale. Es ist auch eine Erklärung dafür, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz eine neue Kategorie einführen musste: "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates". Die Bewegung ließ sich keinem der bisher bekannten Phänomenbereiche zuordnen, auch nicht dem Rechtsextremismus,

Allerdings tauchen immer häufiger Vergleiche der Teilnehmer mit Opfern der NS-Diktatur auf. "Jana aus Kassel" ging durchs Netz, weil sie auf der Bühne klagte: Sie fühle sich wie Sophie Scholl, weil sie seit Monaten "im Widerstand" sei. Sophie Scholl bezahlte im NS-Staat mit ihrem Leben, Jana aus Kassel erwartete nicht mal eine Geldstrafe.

"Querdenker" appellierten an Gebirgsjäger

Das Interesse des Verfassungsschutzes gilt Präsident Thomas Haldewang zufolge auch „nicht einer kritischen Haltung von Protestteilnehmern gegenüber den staatlichen Maßnahmen, sondern den Angriffen auf unsere Demokratie". "Querdenken-711" selbst erklärt in einer Stellungnahme zur Verfassungsschutzentscheidung, beobachtet werden dürften "alle kritischen und mündigen Bürger, die auf ihre Grund-, Freiheits- und Abwehrrechte gegenüber dem Staat bestehen". Man bleibe "standhaft im friedlichen Streben nach Freiheit und Demokratie".

Friedlichkeit betont die "Querdenken"-Bewegung in offiziellen Stellungnahmen immer wieder, sie wird deswegen von anderen Teilen der sogenannten Corona-Rebellen fürs "Klatschen und Tanzen" kritisiert.

Tatsächlich war der Widerstand auch am vergangenen Montag friedlich, als gut ein Dutzend Demonstranten in Bad Reichenhall vor einer Kaserne standen. Der Ort und die Adressaten der Kundgebung sagen aber einiges aus über die Stimmungslage: Mit der Demo wurde an die Gebirgsjäger in der Kaserne appelliert. "Helft uns" und "Helft den Kindern" hieß es auf Plakaten. Das Militär um Hilfe bitten: So weit war Attila Hildmann schon Mitte 2020. Inzwischen verbreitet er von der Türkei aus offen Judenhass, NS-Verherrlichung und Umsturzaufrufe. Zahlreiche Ermittlungsverfahren laufen.

In Bad Reichenhall filmte ein Verantwortlicher der örtlichen Gruppe "Querdenken-861" und erklärte dazu: "Die Polizei schützt die Kinder nicht mehr, die Richter nehmen den Eltern die Kinder weg. Die letzte Instanz ist die Bundeswehr. Paragraf 81." Dieser Paragraf regelt die Strafen für Hochverrat, und der wird aus Sicht dieser Menschen mit der Corona-Politik begangen. Schiffmann und Co. erzählen es ihnen ja täglich. Und Schiffmann warb für die Gruppe, in der sich Veteranen dagegen organisieren wollen.

Der Bund Deutscher Einsatzveteranen reagierte am Donnerstag deutlich: "Akteure, die von Veteranen pauschal fordern, sich zwischen Polizei und Demonstranten zu stellen (...) , können wir nur vehement ablehnen." Das gelte auch für alle, "die diese aus unser Sicht verfassungsfeindlichen Inhalte verbreiten oder sogar argumentativ stützen." Auch der Resrervistenverband distanzierte sich: "Diese Personen richten sich gegen alle Werte, die wir gemeinsam vertreten."

Gefeierte Attacke auf Polizisten

Am gleichen Montag mussten sich in Schmalkalden in Thüringen vier Polizisten bei einer unangemeldeten Demo zurückziehen und einen Mann gehen lassen, der einen Polizisten attackiert hatte: "Ein weiteres polizeiliches Handeln gegen den Mann und andere Personen, die aktiv Widerstand leisteten, war aus Gründen der eigenen Sicherheit nicht mehr möglich", teilte die Polizei mit. "Merkel-Faschisten", waren die Kollegen beschimpft worden. Die Gruppe sah sehr bürgerlich aus, als sie die Polizisten einkesselte.

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Die Szene wird in den Telegram-Kanälen der Corona-Skeptiker seither als beispielhaft geteilt. Auch eine frühere Astro-TV-Moderatorin verbreitete das Video: "Für meinen Geschmack noch zu viele Filmer und Gaffer. Aber immerhin erster Widerstand."

"Todesliste" mit Bundestagsabgeordneten

Die Ex-Moderatorin und Autorin eines Buchs zu Seelengesundheit löste in dieser Woche noch mehr Wirbel aus. Sie war es, die eine "Todesliste" mit Politikern verbreitete. So hatte sie eine Namensliste jener Bundestagsabgeordneten genannt, die nicht gegen die Änderung des Infektionsschutzgesetzes gestimmt hatten. Selbst das Bundeskriminalamt warnte deswegen die Abgeordneten. Im Kanal der Autorin außerdem: Dutzende Postings von führenden Köpfen der "Querdenker"-Szene.

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Sie könnte Grünen-Wählerin gewesen sein. In der Erhebung von Soziologe Nachtwey hatten sich 21 Prozent so bezeichnet. Doch die Wissenschaftler äußerten selbst Zweifel: Es waren zwar 1.150 Fragebögen zurückgekommen, nachdem die Wissenschaftler in diversen Gruppen auf Telegram Einladungen zur Teilnahme gepostet hatten.

Doch zum einen sei zu vermuten, dass Personen mit ihrer Antwort die Bewegung bewusst in ein anderes Licht rücken wollten. Zum anderen waren die Wissenschaftler aus radikaleren Gruppen mit ihrer Umfrage gleich rausgeflogen. "Geradezu wissenschaftsfeindlich" seien viele Rückmeldungen gewesen.

Die Tatsachenfindung in der Wissenschaft ist für viele Menschen dort eine Bedrohung in einer Krise, für die sie keine Erklärungen aus eigener Erfahrung haben. Bereits im vergangenen Jahr gab es Brandanschläge auf RKI und Leibnitz-Gesellschaft, Wissenschaftler erhalten Morddrohungen. Die gesteigerte Bedeutung lässt Wissenschaftler als mächtig erscheinen, als Teil von "denen da oben". Sie bekommen zu Corona vorgesetzt, was durch wissenschaftliche Expertise Anspruch auf Geltung hat – und akzeptieren das oder lassen es.

Corona-Rebellen mit Demokratie unzufrieden

Und Corona-Rebellen lassen es. Sie sind nicht nur skeptisch gegenüber der Wissenschaft, sie vertrauen allen Institutionen weniger und sind insgesamt unzufrieden. Nachtwey und sein Team in der Studie: "Die Corona-Krise scheint eine gute Möglichkeit zu sein, einmal zu sagen, dass man eigentlich gegen alles ist – gegen die Reichen und Mächtigen, gegen die Wissenschaft, die Schulmedizin, die Justiz und Polizei." Wichtig sei nicht, wogegen man konkret ist, sondern dass man dagegen ist.

Wer diese Einstellung hat, gibt auch nicht viel darauf, wie der Staat funktioniert: 75 Prozent der Befragten erklärten, dass sie unzufrieden oder sehr unzufrieden sind, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert. Das ist legitim, damit sind Menschen auch noch kein Fall für den Verfassungsschutz. Aber sie sind eine dankbare Zielgruppe für Aufwiegler. "Legitime Proteste und Demonstrationen gegen die Corona-Politik", erklärte der Verfassungsschutz, würden immer wieder, in jüngerer Zeit zunehmend, instrumentalisiert und Eskalationen provoziert.

In der Umfrage von Nachtwey gaben 40 Prozent der Teilnehmer an, dass Wählen keinen Sinn ergibt. Was dann? Eine mögliche Antwort findet man vielleicht irgendwie bei einer Frau, die Rastazöpfe trägt wie die Astro-TV-Moderatorin. Gemeint ist Tamara K., die Heilpraktikerin, die im August den Sturm auf die Reichstagstreppen ausgelöst hatte. Trump sei in Berlin, hatte sie gesagt. Sie hatte ihm ein Zeichen "des Volkes" senden wollen, damit er eingreift.

Viele Akteure waren in Friedensmahnwachen unterwegs

Sie ist seit Jahren in der Reichsbürger-Szene aktiv, bei QAnon und hat 2019 Gelbwesten-Proteste angeführt. Andere Anmelder von Corona-Demos, etwa eines Schweigemarschs in Berlin im Oktober oder einer Demo zu Pfingsten, waren schon 2014 bei Friedensmahnwachen aktiv – eine Querfront-Bewegung wie Teile der Gelbwesten in Deutschland. Große Teile der Bewegung sahen sich auch bei einem Festival "Pax Terra Musica", wo auch heutige Köpfe der Bewegung auftraten. Sie blieben bis dahin immer innerhalb kleiner Gruppen, die keinen Anschluss fanden. Corona hat das geändert.

"Die einen sehen jetzt eine neue politische bürgerliche Bewegung", kommentiert Roland Sieber, Experte für Rechtsextremismus, der auch die Verschwörungs- und Reichsbürgerszene seit Jahren intensiv beobachtet. "Und die anderen sehen in Teilen eine Wiederholung des Weges in die Reichsbürgerszene und der Friedensquerfront."

Ein Mann steckt hinter 4.000 Telegram-Projekten

Tamara K. kennt aus der Gelbwesten-Zeit einen Mann mit Hut und Zopf, der in der Szene schon fast allen geholfen hat. Er nennt sich "Frank der Reisende" und hat maßgeblich zur Vernetzung der Gruppen beigetragen, in denen die einen über Masken schimpfen und die anderen zum gewaltsamen Umsturz aufrufen.

t-online deckte auf, dass "Frank der Reisende" hinter bis zu 4.000 Gruppen und Kanälen auf Telegram steckt. Er hilft auch Akteuren, die seit Jahren jede Gelegenheit zum Aufwiegeln nutzen. Inzwischen gehört er dem Team von "HonkforHope" an, das Transporte zu Demos selbst organisiert.

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"Frank der Reisende" war mit einem Partner, der früher zur Pegida-Szene gehörte, auch zu Hause bei Bodo Schiffmann und bei Michael Ballweg, um denen Telegram zu erklären und beim Aufbau zu helfen. Schiffmann wolle keine Parteien und Ballweg könne nicht über Ziele sprechen, schrieb Frank in einem Chat. "Sonst kommt keiner mehr, und die Mainstreammedien zerreißen dich in der Luft."

Ballweg hat auf Anfrage dazu nur erklärt, er kommentiere keine Telegram-Nachrichten. Auf Telegram erklärte er selbst, man brauche 3,5 Prozent der Bevölkerung, "um einen tiefgreifenden politischen Wandel einzuleiten". Er stützt sich auf eine Studie zu Umwälzungen wie der Wende.

"Dann kommt der Staat nicht an uns ran"

Dass man besser nicht über Ziele spricht, hatte "Frank der Reisende" in einem geschlossenen Chat für Administratoren der "DDay2.0"-Aktion geschrieben. Für diese Widerstandsaktion sind deutschlandweit nach Postleitzahlen Gruppen angelegt worden. Lokale Vernetzung und kleine Gruppen vor Ort seien wichtig, erklärte in einem Video ein Verantwortlicher von "DDay2.0", zugleich ein "Querdenken"-Chef im Ruhrgebiet. "So kommt der Staat nicht an uns ran, das hat ja der bayerische Innenminister gesagt." Bayern war eines der ersten Länder, das die "Querdenker" beobachten ließ. Nach Baden-Württemberg, wo der Verfassungsschutz "DDay2.0" eine "extremistische Einflussnahme auf das Corona-Protestgeschehen" nachsagt.

"DDay2.0"-Gruppen hatten auch mit Blockade-Aktionen auf Autobahnen für erhebliche Behinderungen gesorgt. In Unterfranken ging jemand noch weiter, er stellte auf einer ICE-Strecke leichte Barrikaden aus Holz mit Banner auf: "DIESESMAL FAKE". Eine Sonderkommission ermittelt wegen gefährlichen Eingriffs in den Schienenverkehr, wie die "taz" berichtet. Verdächtigt wird laut "taz" ein 36-Jähriger. Er schrieb schon 2016 auf Facebook, deutsche Soldaten müssten Widerstand leisten – "Wir brauchen EUCH! Steht auf der richtigen Seite!!!"

Bei der Gründung von "DDay2.0" wurde offenbar zugleich am selben Ort ein Verein "Polizisten für Aufklärung" gegründet. Einer der Gründer, der wegen der Inhalte seiner Reden suspendierte Polizist Michael Fritsch aus Hannover, schwärmte vom Namen "DDay": Die alliierten Kräfte seien schließlich "ein ganz wichtiger Faktor". Er sei sich nicht sicher, "ob die deutsche Bevölkerung das aus eigener Kraft bewerkstelligen" könne.

Der Verfassungsschutz wird sich nun auch mit geheimdienstlichen Mitteln anschauen, welche Pläne führende Köpfe schmieden – und auch, welche Geldflüsse es in der Bewegung gibt. Doch der Inlandsgeheimdienst kann keine Antworten darauf geben, warum so viele Menschen Hass auf Staat, Politik, Wissenschaft und Medien entwickeln. Die Wissenschaftler um Nachtwey rieten, eine größer angelegte Debatte zu führen: "Was für eine Gesellschaft bringt derartige Bewegungen hervor, was sind ihre strukturellen Voraussetzungen?"

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