Lockerung des Shutdowns So sieht der Corona-Fahrplan der Leopoldina-Forscher aus
In der beginnenden Woche wollen Bund und Länder wichtige Entscheidungen treffen, wie es in der Corona-Krise weitergehen soll. Die Leopoldina-Akademie hat ein mögliches Konzept entworfen.
Ein von der Nationalakademie Leopoldina organisierter Verbund von 26 Wissenschaftlern empfiehlt der Bundesregierung, in der Viruskrise einen Fahrplan "zur allmählichen Rückkehr in die Normalität" zu entwickeln. In einem 18-seitigen Papier sprechen sich die Forscher unter anderem für eine schrittweise Lockerung der Kontaktbeschränkungen und eine baldige Öffnung bestimmter Schulen aus – obgleich die Pandemie "das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben noch auf Monate bestimmen" werde, schreiben sie.
Bundesregierung und Bundesländer wollen am Mittwoch über eine Lockerung der Kontaktbeschränkungen beraten – und Kanzlerin Angela Merkel kündigte an, die Leopoldina-Studie werde dabei eine "sehr wichtige" Rolle spielen. Es folgen einige Details:
Bedingungen für erste Schritte
Voraussetzung für eine "allmähliche Lockerung ist dabei, dass die Neuinfektionen sich auf niedrigem Niveau stabilisieren, das Gesundheitssystem nicht überlastet wird, Infizierte zunehmend identifiziert werden und die Schutzmaßnahmen (Hygienemaßnahmen, Mund-Nasen-Schutz, Distanzregeln) diszipliniert eingehalten werden".
Mehr Daten
Es sei "wichtig, die Erhebung des Infektions- und Immunitätsstatus der Bevölkerung substanziell zu verbessern". Die Daten sollten in Echtzeit "verlässlichere Kurzzeitprognosen" ermöglichen, unter Nutzung "von freiwillig bereitgestellten GPS-Daten im Kombination mit Contact-Tracing". Ziel sei es, die wahrscheinliche Entwicklung der Pandemie über ein bis zwei Wochen vorherzusagen "und die erwartete Effektivität von Maßnahmen vor deren Anwendung zu vergleichen".
Bildungsbereich schrittweise öffnen
Die Wiedereröffnung der Bildungseinrichtungen sollte "sobald wie möglich erfolgen". Da die Jüngeren mehr auf persönliche Betreuung, Anleitung und Unterstützung angewiesen seien, "sollten zuerst Grundschulen und die Sekundarstufe I wieder schrittweise geöffnet werden". Die Abstandsregeln müssten weiter eingehalten werden: Bei entsprechend großen Klassenräumen seien Gruppen von 15 Schülern möglich. "Da kleinere Kinder sich nicht an die Distanzregeln und Schutzmaßnahmen halten können, gleichzeitig aber die Infektion weitergeben können, sollte der Betrieb in Kindertagesstätten nur sehr eingeschränkt wiederaufgenommen werden."
Schrittweise Normalisierung
Einzelhandel, Gastgewerbe, Behörden sollen wieder öffnen können, berufliche und private Reisen erlaubt und Veranstaltungen "nach und nach" ermöglicht werden – unter bestimmten Voraussetzungen. Das öffentliche Leben könne schrittweise wieder normalisiert werden, wenn sich die Neuinfektionen auf niedrigem Niveau stabilisierten, in Krankenhäusern auch "die Versorgung der anderen Patienten wieder regulär aufgenommen" werde und Vorkehrungen wie Mund-Nasen-Schutz und Distanzregeln "diszipliniert eingehalten" würden.
Veranstaltungen nach und nach ermöglichen
Die Forscher beschreiben unter diesen Bedingungen einen Fahrplan: "So können zunächst zum Beispiel der Einzelhandel und das Gastgewerbe wieder öffnen sowie der allgemeine geschäftliche und behördliche Publikumsverkehr wiederaufgenommen werden. Darüber hinaus können dienstliche und private Reisen unter Beachtung der genannten Schutzmaßnahmen getätigt werden. Das Tragen von Mund-Nasen-Schutz sollte als zusätzliche Maßnahme in bestimmten Bereichen wie dem öffentlichen Personenverkehr Pflicht werden. In Abhängigkeit von der möglichen räumlichen Distanz und den Kontaktintensitäten der Beteiligten sollten gesellschaftliche, kulturelle und sportliche Veranstaltungen nach und nach wieder ermöglicht werden."
Wirtschafts- und Finanzpolitik
Die als akute Reaktion von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus seien "zweifellos notwendig", bescheinigen die Forscher der Politik. "Je länger der 'Shutdown' jedoch dauert, umso weniger lassen sich gravierende ökonomische Folgen vermeiden." Es müsse gelingen, die Eindämmung der Pandemie und den Schutz der Gesundheit der Bürger mit einer schrittweisen Wiederaufnahme wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Aktivität zu verbinden. Die Experten begrüßen kurzfristige Hilfen für Unternehmen zur Überbrückung, wie etwa Kurzarbeit, Liquiditätshilfen, Steuerstundungen und Zuschüsse. Staatliche Beteiligungen an Unternehmen, wie sie ein 100-Milliarden-Euro-Fonds der Bundesregierung ermöglicht, sollten jedoch "nur im äußersten Notfall zur Stabilisierung von Unternehmen eingesetzt werden".
Abschaffung des Soli erwägen
Mittelfristig halten die Forscher "weitere fiskalpolitische Impulse" für notwendig. Das könnten "Steuererleichterungen sein, das Vorziehen der Teilentlastung des Solidaritätszuschlags oder seine vollständige Abschaffung". In der Studie heißt es: "Die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags sollte erwogen werden."
Gegen diese Forderung der Union sträubt sich bislang Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Bei den Ausgaben seien "zusätzliche Mittel für öffentliche Investitionen, etwa im Gesundheitswesen, der digitalen Infrastruktur und im Klimaschutz, wichtig". Konjunkturprogramme sollten auf Nachhaltigkeit setzen: "Bereits bestehende globale Herausforderungen wie insbesondere der Klima- und Artenschutz verschwinden mit der Coronavirus-Krise nicht."
- Nachrichtenagentur Reuters