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Presse zur Hessen-Wahl: "Es gilt jetzt, den Abschied von Merkel einzuleiten"


Presseschau zur Hessen-Wahl
"Es gilt jetzt, den Abschied von Merkel einzuleiten"

Von dpa, afp
Aktualisiert am 29.10.2018Lesedauer: 7 Min.
Die Parteichefs der Groko: Steht die Koalition nach der Hessen-Wahl vor dem Aus?Vergrößern des Bildes
Die Parteichefs der Groko: Steht die Koalition nach der Hessen-Wahl vor dem Aus? (Quelle: ZUMA Press/imago-images-bilder)
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Was bedeutet das Ergebnis der Hessen-Wahl für die große Koalition in Berlin? Groko-Aus oder Alles-wie-immer? Die Presse ist gespalten.

Auch bei der Landtagswahl in Hessen wird der Unmut über die große Koalition in Berlin sichtbar. Union und SPD stürzen ab, die Grünen erreichen wieder einmal Rekordwerte. Hat die Hessen-Wahl Konsequenzen für SPD-Chefin Andrea Nahles und Kanzlerin Angela Merkel? So sieht es die Presse.

Die "Hannoversche Allgemeine" schreibt zu den Folgen der hessischen Landtagswahl für die große Koalition: "Die Bundeskanzlerin wird über den Urnengang nicht stürzen, die SPD-Vorsitzende ebenso wenig. Die große Koalition in Berlin wird nicht zerbrechen – zumindest nicht an dieser Wahl. Und selbst die Regierungsbildung in Hessen wird nach Lage der Dinge denkbar unspektakulär vonstatten gehen: indem CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier weitermacht und sich zum Regieren einen oder notfalls zwei Koalitionspartner sucht. Die Revolution ist abgesagt – zumindest vorerst. Also alles gut? Mitnichten! Union und SPD sind dem Abgrund zwar nicht näher gekommen, sie haben sich aber auch nicht einen Zentimeter von ihm entfernt."

Für die "Sächsische Zeitung" aus Dresden ist es fast egal, wer Hessen künftig regiert: "Das Wahlergebnis ist ganz wesentlich ein Ergebnis der Berliner GroKo. Sie sollte Stabilität in einer ringsum instabileren Welt sichern. Stattdessen haben ihre Akteure weiter an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Sie haben natürlich nicht alles falsch gemacht. Das geht in Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen gar nicht. Und jetzt? Wird man rasch sehen, ob die Volksparteien ihre eigene Lage auch so dramatisch sehen."

Die "Augsburger Allgemeine" glaubt nicht an einem Aufstand gegen CDU-Chefin Merkel – wohl aber bei der SDP: "Bei einem Machtverlust in Hessen wäre der Aufstand in der CDU gegen die Chefin noch vor dem Parteitag im Dezember ausgebrochen. Nun dürfte die Revolte vertagt sein. Größter Risikofaktor für Merkel wird die SPD, die wie zuvor in Bayern ein Debakel erlebt hat. Im Gegensatz zur Union ist den Sozialdemokraten jegliche Machtoption abhanden gekommen. Eine Panikreaktion und die Flucht aus der GroKo ist keine Utopie mehr."

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Für den "Kölner Stadt-Anzeiger" hat jetzt eine Partei Interesse an einem Aus der Groko in Berlin: "Größtes Interesse an vorzeitigen Neuwahlen haben die Grünen. Nach dem erneuten Triumph in Hessen und im derzeitigen Stimmungshoch lässt sich sagen: Grüner wird's nicht in der Republik. Schwarz-Grün oder Jamaika unter Beteiligung der FDP mit einem dann vielleicht doch regierungswilligen Christian Lindner lägen dann durchaus im Bereich des Möglichen. Ohne Merkel, wohlgemerkt."

Die "Nürnberger Nachrichten" geben der SPD auch bei einem Bruch der Koalition keine Chance mehr: "Natürlich wird in der SPD der Chor derer nun noch lauter, die den möglichst raschen Ausstieg aus der GroKo fordern oder, wie nun Andrea Nahles, damit drohen. Aber was dann? Die Folge wären Neuwahlen. Wie die ausgehen? Da ist vieles offen, eines aber stünde fest: Die SPD würde sich wohl eher ihrem bayerischen als dem hessischen Wert nähern. Und etwas Besseres als eine Sozialdemokratie, die von sich aus die GroKo platzen lässt, könnte der Union kaum passieren: Sie würde dann im Wahlkampf auf die ach so unzuverlässigen Genossen verweisen und für sich zum Teil fälschlicherweise jene Stabilität reklamieren, die doch gerade die CSU im Sommer massiv gefährdet hat."

Für die Wiener Zeitung "Der Standard" ist klar: Andrea Nahles würde am liebsten hinschmeißen wollen: "Die Wählerinnen und Wähler differenzierten also sehr wohl innerhalb der Koalition. Und dort ist die Einschätzung vieler eben so: Die Grünen sind top, die CDU ist Flop. Nach einigen Jahren in Opposition können meist auch Oppositionsparteien bei der Wahl profitieren. Der SPD, die ohnehin noch mit dem Bayern-Trauma zu kämpfen hat, ist in Hessen nicht einmal das gelungen. Andrea Nahles ist die elfte Person an der Spitze seit 2000, seit also Merkel die CDU führt. Vermutlich wird sie nach dieser Wahl alles hinschmeißen wollen. Das ist verständlich, bringt aber nicht die Lösung des SPD-Dilemmas. Denn bei den Sozialdemokraten kann der ständige Austausch von Köpfen nicht die inhaltliche Schwäche kaschieren. Sie müssen endlich klären, wofür sie inhaltlich stehen." Weiter ruft "Der Standard" zur Revolution auf: "Es gilt jetzt, den Abschied von Angela Merkel einzuleiten. Sie ist seit 18 Jahren Parteivorsitzende und seit 13 Jahren Kanzlerin. Hessen zeigt wie viele Landtagswahlen zuvor: Mit ihr an der Spitze gewinnt man keine Wahlen mehr. Das bedeutet nicht, dass Merkel als Kanzlerin sofort gehen muss. Aber sie muss den Übergang jetzt organisieren. Anfang Dezember findet in Hamburg der CDU-Parteitag statt. Da muss klar sein, mit wem an der Spitze sich die CDU für die nächsten Jahre aufstellt. Merkel kann es nicht mehr sein, sie sollte für eine neue Generation Platz machen. Das oft gebrauchte Argument, dass es nicht wirklich einen Nachfolger / eine Nachfolgerin gebe, ist absurd und sagt viel über den innerparteilichen Zustand aus."

Auch der Schweizer "Tages-Anzeiger" bezieht Stellung zur Hessen-Wahl: "Es ist nicht ausgeschlossen, dass die SPD aus Verzweiflung die Regierung verlässt, dass die CDU bald einen anderen Vorsitzenden als Merkel wählt, dass Deutschland vor Weihnachten keine Kanzlerin und keine Regierung mehr hat und Neuwahlen vor der Tür stehen. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass sich die Agonie dieser ungeliebten Regierung noch weit bis ins nächste Jahr hineinziehen wird. CDU und SPD fürchten schnelle Neuwahlen gleichermaßen. Merkels Nachfolger sind noch nicht bereit, und die alte Matriarchin will noch nicht weichen. Die SPD wiederum ahnt, dass sie vom Wähler für einen Ausstieg aus der Regierung wahrscheinlich ebenso sehr bestraft würde wie für ihr Ausharren. Für einen Bruch braucht sie einen glaubwürdigen politischen Grund, aus dem sich am besten auch gleich ein kraftvoller Wahlkampf ableiten lässt. Selbstmord aus Angst vor dem Tod ist keine Strategie."

Die belgische Zeitung "De Tijd" thematisiert die Glaubwürdigkeit der Kanzlerin nach der Wahl: "Von der Wahl in Hessen geht eine deutliches Signal in Richtung Berlin aus: Die große Koalition wird abgestraft, die Position von Bundeskanzlerin Angela Merkel gerät zunehmend unter Druck. (...) Merkel hatte in den vergangenen Wochen persönlich dazu aufgerufen, die Wahl in diesem Bundesland nicht zu einer nationalen Volksabstimmung zu machen, doch die Wähler haben diesen Aufruf völlig ignoriert. Es ist klar, dass die politische Glaubwürdigkeit der Kanzlerin auf eine harte Probe gestellt wurde. (...) Die Spannungen innerhalb der GroKo dürften in den kommenden Tagen stark zunehmen. Bei der Bundestagswahl im September 2017 bekam die Koalition bereits herbe Schläge ab. Und es dauerte fünf Monate, bevor zwischen den beteiligten Parteien eine Regierungsvereinbarung zustande kam. Die Wahlen in Bayern und in Hessen bringen die Stabilität der Bundesregierung erneut in Gefahr."

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Die "Neue Zürcher Zeitung" glaubt nicht an ein Ende der großen Koalition: "Die Frage, ob diese Ergebnisse nun ein baldiges Ende der großen Koalition bedeuten, blieb am Sonntagabend unbeantwortet. Es ist eher zu bezweifeln. Zum einen handelt es sich beim Wahlergebnis um Horror mit Ansage – die Resultate sind nicht schlechter herausgekommen, als es die Demoskopen vorausgesagt haben. Zum anderen würden Union und SPD Neuwahlen riskieren. Keine der beiden Parteien darf hoffen, für ein solches Manöver belohnt zu werden. Dass sie ihre Politik aber verändern müssen, scheint klar. (...) Die SPD braucht eine programmatische Neuausrichtung: Niemand weiß mehr, was diese Partei will und für wen sie Politik macht. Die CDU braucht insbesondere einen Personalwechsel. Angela Merkels Regierung hat sich erschöpft. Die große Koalition dürfte nach der Hessen-Wahl aber als wankendes Vehikel vorerst weiterexistieren."

Die "Heilbronner Stimme" will nach der Landtagswahl ebenfalls am Personalrad drehen: "Auch wenn der beliebte Ministerpräsident Volker Bouffier weiterregieren könnte, beendet das schlechteste Ergebnis der Union seit Jahrzehnten die Ära Merkel. Jede Wahl ist eine Abstrafung für die Bundespolitik und damit eine Ohrfeige für die Kanzlerin. Fakt ist: Seit dem Beginn der Flüchtlingskrise befinden sich die Werte der CDU im freien Fall. Und nächstes Jahr droht bei den Landtagswahlen im Osten und der Europawahl ein weiterer Erdrutsch. Spätestens jetzt ist dem letzten Merkel-Getreuen klar, dass ein "Weiter so" der politische Selbstmord wäre. Es braucht einen klaren Kurs- und Personalwechsel, will die CDU wieder an Boden gewinnen. Und damit ist auch klar, dass Angela Merkel nicht mehr länger Vorsitzende ihrer Partei bleiben kann. Wer seit Jahren das Vertrauen der Wähler verliert, muss Konsequenzen ziehen. Es wird bei der Wahl zum CDU-Vorsitzenden einen Gegenkandidaten geben. Die Partei will einen Neuanfang – Merkel bleibt nur noch die Chance, freiwillig zu gehen."

Die "Frankfurter Rundschau" hebt die Demokrafiefähigkeit des Landes hervor: "Das hessische Wahlergebnis gibt auch Hoffnung; zeigt es doch das stabile demokratische Fundament des Landes. Eine überwältigende Mehrheit hat der AfD eine klare Absage erteilt. Das könnte doch auch als Signal verstanden werden, die Demagogen als einfach genau die kleine und unerhebliche Gruppe im demokratischen Spektrum zu behandeln, die sie ist. Wohlverstanden, es geht weder darum, die Gefahr von rechts zu verniedlichen, noch darum, nicht genauestens hinzuschauen, was dort passiert. Aber man darf die Hetzer auch nicht größer machen, als sie es sind – in diesem Teil der Republik jedenfalls. Nehmen wir doch das als die wichtigste Wahlaussage aus Hessen mit – und sehen mit etwas mehr Zuversicht der Bewältigung der Krise der Union, der SPD und der großen Koalition im Bund entgegen."

Für die spanische Zeitung "El Mundo" ist klar, dass die deutsche Regierung vor der großen Herausforderung steht, nicht unterzugehen: "Die vernichtende Abstrafung von Angela Merkels CDU sowie der SPD gestern bei der Landtagswahl in Hessen droht die schwache große Koalition in Deutschland in die Luft zu sprengen (...) Die Partei der Bundeskanzlerin ging aus dem Urnengang zwar erneut als stärkste Kraft hervor, aber sie hat historische Verluste erlitten, und für die Sozialdemokraten hat es ein weiteres Debakel gegeben. Bei beiden Parteien sind Pandora-Büchsen geöffnet worden. Ihre Führer werden es sehr schwer haben, eine Regierung am Leben zu halten, die am Verbluten ist. Die Wahlergebnisse in Hessen gesellen sich zu denjenigen, die vor zwei Wochen in Bayern registriert wurden. Das Szenario ist für ganz Europa besorgniserregend, denn die Lokomotive des Kontinents steht am Abgrund der politischen Ungewissheit."

"Vielleicht hat die Mehrheit der Bürger nach 13 Jahren schlicht und einfach genug davon, jeden Abend in den Nachrichten das Gesicht derselben Regierungschefin zu sehen, die etwas von Stabilität, Zukunft und Verantwortung erzählt, aber gar nicht mehr zu wissen scheint, was diese Begriffe bedeuten", kommentiert t-online.de-Chefredakteur Florian Harms im "Tagesanbruch". "Wähler wollen Regierende, die Probleme lösen – nicht Regierende, die Probleme schaffen: Das ist die wichtigste Lehre aus den Wahlen in Bayern und Hessen. Die Deutschen haben eine bessere Regierung verdient als die gegenwärtige. Die Bundespolitik braucht einen Neubeginn."

Verwendete Quellen
  • dpa, AFP
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