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Erdogans Staatsbesuch stürzt Deutschtürken in Sinnkrise


Meinung
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Deutschlandbesuch
Erdogan stürzt Deutschtürken in Sinnkrise

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 28.09.2018Lesedauer: 5 Min.
Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan im Tempodrom in Berlin Mehrere tauVergrößern des Bildes
Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan im Tempodrom in Berlin Mehrere tau (Quelle: Christian Mang/imago-images-bilder)
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Der türkische Staatspräsident ist in Deutschland. Zu Gast bei Freunden oder zu Gast bei Nazis? Das kann man bei Erdogan nicht so genau wissen. Seine deutschtürkische Fan-Clique steht vor einem Problem.

Im Besuch von Recep Tayyip Erdogan liegt paradoxerweise auch eine Chance für die Integrationsbemühungen in Deutschland. Aber fangen wir vorne an.

Zunächst einmal kann einem der Mann fast leid tun. Vor seiner Reise nach Deutschland hatte der sonst so oft tobende Sultan vom Bosporus offenbar Kreide gefressen. Er bemühte sich darum, kollegial und freundschaftlich zu erscheinen, gibt deutschen Medien bereitwillig Interviews.

Die Beziehungen zu Deutschland sollten "fern von irrationalen Befürchtungen vernunftorientiert" fortgeführt werden, warb er zum Beispiel in der FAZ. Man darf ihm sein Bemühen durchaus als ernstgemeint abnehmen. In seiner Entourage befindet sich beinah die komplette Staatsführung. Diese große Aufmerksamkeit zeigt, wie wichtig ihm Deutschland ist. Ein Blick in die Handelsbücher verrät natürlich dem interessierten Beobachter, dass diese Aufmerksamkeit nicht auf amourösen Gefühlen beruht. Deutschland ist seit Langem wichtigster Wirtschaftspartner für die Türkei.

Erdogans Annäherungsversuche dürften allerdings manchen seiner Fans unter den Deutschtürken, der all seine Hoffnungen an ihn gehängt hat, in eine Art Sinnkrise stürzen. Hatten sie doch in den vergangenen Monaten von ihm gelernt, dass die Bundesrepublik böse und unfair ist: Özil-Affäre, #MeTwo, Türkei-Bashing, unverhältnismäßige Kritik an der Regierungspolitik Ankaras. Und, und, und.

Erdogan braucht seine alten Partner

Und nun? Wie sollen sich Erdogan-Fans künftig gegenüber Deutschland verhalten? Weiter auf das Land schimpfen, während der große Führer auf einmal mit Wattebäuschchen wirft und auf Versöhnung macht? Auch Erdogan-Fans können einem also im Grunde leid tun. Sie sind natürlich keine Machtmenschen wie ihr Held und hüpfen heute auf die eine und morgen auf die andere Seite.

Als Erdogan die Deutschland-Schelte hilfreich erschien, um sein umstrittenes Verfassungsreferendum zu gewinnen, die Präsidenten- und schließlich die Parlamentswahl, wetterte er: "Ihr seid Faschisten. Ihr mit Euren Nazi-Praktiken könnt so verärgert sein wie Ihr wollt“ – und inhaftierte munter deutsche Staatsbürger.

Jetzt, wo es darum geht, seine Macht zu erhalten, braucht er seine alten Partner natürlich mehr denn je, sonst rauscht die türkische Wirtschaft vollends den Berg hinab und zieht seine Präsidentschaft hinterher. Ähnlich hatte sich Erdogan schon gegenüber Russlands Präsidenten Putin verhalten: Als die türkische Armee einen russischen Jet an der syrischen Grenze abschoss, implodierten die diplomatischen Beziehungen und Erdogan polterte los, nur um wenig später wie ein schnurrendes Kätzchen wiederum mit Putin zu schmusen. Höchstwahrscheinlich werden wir das gleiche Verhalten gegenüber den USA beobachten können, ein weiterer wichtiger Handelspartner und Nato-Verbündeter der Türkei, mit dem es derzeit nicht rund läuft angesichts gegenseitiger Sanktionen- und Sanktionsdrohungen.

Für Normalbürger sind all diese politischen Volten und Rochaden kaum nachzuvollziehen, geschweige denn, dass sie deren hohem Tempo folgen könnten. Woher sollen sie noch wissen, wo jetzt wieder der Feind steht und wer jetzt wieder der Freund ist. Wie gesagt, die Erdogan-Fanclique kann einem ein Stück weit leid tun.

Aber wir waren ja beim Mitleid für Erdogan selbst. Denn trotz all seiner Bemühungen, jetzt wieder lieb zu sein (er verzichtet sogar auf Massenkundgebungen wie 2008 und 2016 in Köln mit große Ansprachen an "sein" Volk), wird sein Ansinnen letzten Endes scheitern. Die Zeit lässt sich nicht einfach zurückdrehen. Und das ist gut so.

Die deutsche Politik ist zwar ebenso auf die Türkei als Partner angewiesen (Flüchtlingsdeal, Nato, EU, Handel, türkische Mitbürger) und verhält sich deshalb alles andere als rechtschaffen, aber solange Erdogan an der Macht ist, kann Deutschland nicht vergessen, was er zum Beispiel mit Deniz Yücel, Mesale Tolu oder Peter Steudtner gemacht hat und macht. Erdogan hat den Bogen schlicht überspannt. Er ist kein gewöhnlicher Staatsmann, auch wenn sein peinlicher Selbstvergleich mit Merkel zur Özil-Affäre einen Tag vor seiner Ankunft eben das suggerieren sollte ("Sollten wir, wenn ein deutscher Fußballspieler, der in unserem Land spielt, ein Foto mit Frau Merkel macht, ihn dann lynchen? Diese Logik ist nicht nachzuvollziehen.").

Erdogan-Besuch könnte Chance für Integration sein

Erdogan hat die Demokratie in seinem Land ausgehöhlt, Juristen ermitteln nicht mehr gegen seine Angehörigen, er hat den Krieg gegen die Kurden wieder aufgenommen, ist in Syrien einmarschiert, hat die Landeswährung ruiniert. Die deutsche Politik kann mit ihm nicht umgehen wie mit Emmanuel Macron. Das macht das deutsche Wahlvolk glücklicherweise nicht mit. Entsprechend gibt es Anti-Erdogan-Kundgebungen, Hashtags #ErdoganNotWelcome und das Staatsbankett, das Bundespräsident Steinmeier für Erdogan gibt, wird nur ausgedünnt und vermutlich in recht frostiger Atmosphäre stattfinden. Geladene Bundestagsabgeordnete haben abgesagt, Bundeskanzlerin Merkel bleibt fern, Politiker wie Cem Özdemir werden als Provokation im Saal wandeln und nur darauf warten, ihren Unmut irgendwie preiszugeben. Unter Erdogan kann Deutschland keine normalen Beziehungen zur Türkei mehr pflegen.

Erdogan und seine chaotische Machtpolitik könnte aber für Deutschlands Integrationsbemühungen etwas Gutes haben. Und damit sind wir wieder am Anfang.

In Erdogans Staatsbesuch liegt auch eine Chance. Viele Deutschtürken dürften angesichts der offenkundigen Konflikte mehr und mehr verstehen, dass Erdogan eben kein "Messias" ist. Dass er ihnen das Leben in Deutschland nicht erleichtert. Dass eine Türkei unter ihm auch keine Option ist, sich zu retten, sollte hier einmal die AfD oder so an die Macht kommen. Erdogan hat die Türkei letztlich nicht zu einem großen, respektierten, wirtschaftlich prosperierenden Land gemacht, sondern zu einem, das erst laut und pöbelnd jede internationale Party crasht und anschließend kleinlaut beigeben muss. Bei allen Problemen, vor zehn Jahren war die Türkei noch ein deutlich offeneres Land.

Die meisten Muslime in Deutschland dürften den Besuch von Erdogan im Allgemeinen mit großen Bedenken verfolgen. Es wächst die Befürchtung, dass die Islamfeindlichkeit weiter Nahrung bekommt. Denn der gesellschaftliche Protest gegen Erdogan und seine umstrittene Eröffnung der zentralen Ditib-Moschee in Köln werden dazu beitragen, dass sich die Feindbilder weiter verhärten.

Vor diesem Hintergrund gibt es eine berechtigte Hoffnung, dass der Stern des Herrn Erdogan unter den Deutschtürken verblasst und damit sein Einfluss auf sie schwindet. Erdogan hat der deutschen Gesellschaft in den vergangenen Jahren sehr geschadet. Auch jenseits von Gülen-Sympathisanten oder Kemalisten dämmert es inzwischen so manchen Deutschtürken, dass sich Erdogans Politik auch rasch gegen ihre Wünsche, Hoffnungen und Vorstellungen richten kann.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnisten auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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