Scharfe Kritik an Erdogan-Besuch Deniz Yücel nennt türkischen Präsidenten "Verbrecher"
Bei einer Preisverleihung hat Journalist Deniz Yücel Erdogan für seine Politik attackiert. Auch die Bundesregierung kritisierte er vor dem Deutschland-Besuch des türkischen Präsidenten.
Der ehemals in der Türkei inhaftierte "Welt"-Journalist Deniz Yücel hat scharfe Kritik am anstehenden Deutschland-Besuch des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan geübt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfange damit einen "Verbrecher, der sich neben vielem anderen des Menschenraubs schuldig gemacht hat", sagte Yücel am Dienstag in Potsdam, wo er den Medienpreis M100 Media Award erhielt. Bei der Preisverleihung verurteilte auch FDP-Chef Christian Lindner den geplanten Besuch des türkischen Präsidenten.
Yücel sagte, die Bundesregierung verrate damit diejenigen Menschen in der Türkei, die sich eine freiheitlich-säkulare Gesellschaft wünschten. Der Türkei warf er fehlende Rechtsstaatlichkeit vor.
Die gängige Praxis türkischer Gerichte, die bereits bei einem Facebook-Beitrag beginnen könne, laute: "Erst verhaften, dann Beweise suchen, dann schmoren lassen." Das müsse aufhören. Die Bundesregierung rief Yücel zu einer härteren Gangart in den Türkei-Beziehungen auf. "Mit Gangstern muss man die Sprache sprechen, die sie auch sprechen", sagte er.
Auch Linder kritisiert Regierung
Erdogan wird auf Einladung von Bundespräsident Steinmeier am 28. September zu einem zweitägigen Staatsbesuch in Berlin erwartet. Auch ein Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist vorgesehen. Der FDP-Politiker Lindner bezeichnete besonders den Zeitpunkt des Erdogan-Besuchs als ungünstig.
"Das Timing ist schlecht, ausgerechnet jetzt den türkischen Staatspräsidenten in Deutschland zum Staatsbesuch einzuladen mit militärischen Ehren", sagte Lindner. Damit legitimiere die Bundesregierung "nachträglich den Regimechange in der Türkei". Der Besuch in Berlin werde Erdogan "nicht ermuntern, die Menschenrechtslage in der Türkei zu verbessern".
Durch die Verfassungsreform vom vergangenen Jahr und der damit verbundenen Einführung des Präsidialsystems in der Türkei erhielt der Staatschef Erdogan jüngst einen deutlichen Machtzuwachs.
Yücels Inhaftierung bezeichnete der FDP-Politiker als "Mahnung und Appell", wachsam gegenüber der Einschüchterung von Journalisten zu sein, auch in Deutschland. Zudem diene Yücel als Erinnerung, dass die Bürgerrechtssituation in der Türkei "alles andere als gut" sei.
Erdogan kommt für zwei Tage nach Deutschland
Yücel war Mitte Februar nach einem Jahr in türkischer Untersuchungshaft freigelassen worden und nach Deutschland zurückgekehrt. Die türkische Justiz wirft dem 44-Jährigen wegen seiner Artikel "Volksverhetzung" und "Terrorpropaganda" vor. Die Bundesregierung sieht die Vorwürfe als politisch motiviert an.
Mit dem M100 Media Award wollte die Jury die "mutige und unbestechliche Arbeit" Yücels würdigen, wie sie vorab mitgeteilt hatte. Der Journalist sagte bei seiner Dankesrede, als mutig sehe er sich nicht unbedingt. Es sei eher ein "Akt von Selbstbestimmung" gewesen, sich Erdogans Regierung nicht zu beugen. "Wenn sie mich zum Schweigen bringen wollten, durfte ich nicht schweigen.
Wenn sie mich fertigmachen wollten, durfte ihnen das nicht gelingen", sagte er. Es sei darum gegangen, "so viel Autonomie wie möglich zu wahren". Seit seiner Freilassung war Yücel kaum öffentlich aufgetreten. Das soll sich auch jetzt vorerst nicht ändern, wie er sagte. "Helden brauchen vielleicht keine Pause, ich schon."
Der M100 Media Award wird jährlich an Menschen vergeben, die sich für Presse- und Meinungsfreiheit sowie Demokratie einsetzen. Zu den früheren Preisträgern gehören der italienische Mafiaexperte Roberto Saviano, das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" und der verstorbene Ex-Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP).
- afp