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Liberaler Islam: Ein neuer Flügel ist entstanden, gegen allen Widerstand


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Neuer Flügel des Islams
Jetzt ist die Verwirrung perfekt

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

27.07.2018Lesedauer: 4 Min.
Frauen und Männer beten in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin gemeinsam: Liberale Muslime sind nicht nicht in allen Fragen einig.Vergrößern des Bildes
Frauen und Männer beten in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin gemeinsam: Liberale Muslime sind nicht nicht in allen Fragen einig. (Quelle: Hannibal Hanschke/reuters)

Der liberale Islam in Deutschland ist vielfältig geworden. Auch vielen Muslimen ist das ein Dorn im Auge. Doch der Kampf geht weiter.

Wenn "liberal" zum Schimpfwort verkommt, hat man es in der Regel mit ideologischem Eifer, Herrschaftsbestrebungen oder Unkenntnis zu tun. Letzte Woche schrieb ich an dieser Stelle darüber, warum das rechte Lager behauptet, es gäbe keinen liberalen Islam und warum Personen wie ich von rechts angefeindet werden. Doch immer wenn es um den liberalen Islam geht, kommen die Attacken auch von Muslimen selbst.

Die Bandbreite reicht von wütenden Beschimpfungen und Bedrohungen bis hin zu sachlicher Kritik. Einig sind sich dabei alle darin, es könne nur einen Islam geben. Selbst der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, betont: "Es gibt nur EINEN Islam und VIELE Muslime."

Die Vorstellung, dass es somit keinen liberalen Islam geben darf, vertreten also nicht nur Personen mit rechtem Gedankengut. Auch unter Muslimen selbst wird die Existenz eines liberalen Islams verneint.

Naiver Glaube oder Machtkalkül

Dafür gibt es zwei zentrale Gründe:

Erstens ein naiver Glaube, gepaart mit mangelnder Sachkenntnis. Wer diesem naiven Glauben folgt, geht davon aus, dass es nur eine Wahrheit gibt. Und dass die Gruppe, zu der er selbst gehört, diese Wahrheit kennt. Letztlich ist das nichts anderes als fundamentalistisches Gedankengut, auch wenn das vielen nicht bewusst ist. Es mag eine eindeutige Glaubenswahrheit geben – aber kein Mensch kennt sie, auch kein liberaler.

Der zweite Grund ist reines Machtkalkül, denn wenn es nur einen Islam gäbe, könnte auch nur eine Auffassung ihn repräsentieren – und zwar die der stärksten Gruppe. Alle anderen wären dann Sekten oder gar Abtrünnige und müssten zum Beispiel bei Verhandlungen mit dem Staat nicht berücksichtigt werden. Doch erfreulicherweise gilt bei uns nicht mehr das Recht des Stärkeren.

Nicht zu bestreiten, dass es mehr als einen Islam gibt

Kaschiert wird die Ablehnung meist durch das abgedroschene Argument der angeblichen Politisierung. Jedes Mal, wenn vom liberalen Islam die Rede ist, schelten einige Muslime das als "politisches Labeling", als seien die Begriffe liberal oder konservativ für Parteien reserviert. Unmittelbar danach folgt meist die Schmähung, liberale Muslime würden ihre Religion beliebig auslegen.

Was liberale Muslime erleben, kennen liberale Juden, Katholiken und Protestanten schon länger. Auch sie wurden von Anfang an kritisiert und angefeindet. Der theologische Liberalismus der Moderne hat seine Wurzeln im 19. Jahrhundert. Ihm geht es nicht um den Glauben selbst, sondern primär um das Verhältnis des Menschen zu den religiösen Institutionen ihres Glaubens und den gepflegten Traditionen. Liberale streben danach, ein zeitgemäßes und an die jeweilige gesellschaftliche Realität angepasstes Religionsverständnis zu erarbeiten. Und zu leben.

Wir können über Begriffe wie liberal, reformorientiert oder progressiv streiten, aber wir können niemals über die Tatsache streiten, dass es nicht nur einen Islam gibt. Alles andere wäre religiöser Populismus.

Ab dann beginnen die Unterschiede

Jeder, der sich ohne Hintergedanken mit dem Islam befasst, kann diesen Populismus als Populismus leicht erkennen. Er muss nur an Sufis, Schiiten, Sunniten, Mitglieder der Ahmadiyya oder Aleviten denken, an den Islam in China, Indonesien, Pakistan, Saudi-Arabien, Kenia, der Türkei, auf dem Balkan und in den USA.

Der Islam hat einen gemeinsamen Kern: den Glauben an den einen Gott, den Koran und den Propheten Mohammed; dazu kommen praktische Kernelemente wie Beten, Fasten und Spenden.

Ab dann beginnen die Unterschiede.

2010 wurde der Liberal-Islamische Bund e.V. gegründet. Deutsche Muslime mit einem zeitgemäßen und progressiven Islamverständnis sahen sich durch die bestehenden Islamverbände nicht repräsentiert. Mit zu vielen Strukturen konnten sie sich nicht identifizieren. Zu nennen wären die Orientierung an den Herkunftsländern eingewanderter Eltern oder Großeltern; die daraus folgende geringe Selbstverortung in Deutschland; die Finanzströme; die Bevorzugung der Tradition gegenüber der Vernunft; oder die Vermittlung überkommener Geschlechterrollen.

Von wegen "guter Muslim, böser Muslim"

Der LIB mit mir als Gründungvorsitzende – übrigens die erste Frau eines solchen Zusammenschlusses und dann auch noch ohne ein Kopftuch – wurde schon immer von anderen Muslimen angefeindet, bedroht und diffamiert. Wir mussten uns viel anhören:

Wir liberale Muslime würden "guter Muslim, böser Muslim" spielen und so die Gemeinschaft spalten. Wir würden uns der Politik anbiedern. Wir hätten keine Ahnung von islamischer Theologie. Wir würden ungerechtfertigterweise auch Frauen geschlechtergemischte Gebete leiten lassen, interreligiöse Ehen trauen und die Rechte homosexuell orientierter Muslime vertreten. Dazu gab es eine Menge von Verschwörungstheorien, die man zu den Vorwürfen und Unterstellungen dazu gedichtet hat. Mal waren liberale Muslime angeblich eine Idee des Verfassungsschutzes, um Muslimen in Deutschland das Leben schwer zu machen, mal angeblich eine vom Ausland (natürlich primär von den USA oder wahlweise Israel) gesteuerte Gruppe, die Unruhe stiften solle.

All das wird uns bis heute vorgeworfen, aber nach acht Jahren Existenz des LIB hat sich doch ein, wie ich finde, großer Teil der muslimischen Community damit abgefunden, dass es auch ein liberales Islamverständnis gibt. Doch nun wird die Verwirrung für viele perfekt.

Vielfalt zur Kenntnis nehmen

Denn es existiert inzwischen nicht mehr nur der Liberal-Islamische Bund. Es gibt nicht mehr nur die als "übliche Verdächtige" abgetanen Vertreter eines liberalen Islams, zu dessen Ikone man mich gemacht hat. Es gibt heute auch säkulare Muslime, die eine Gründungserklärung abgegeben und sich später als liberale Muslime umdefiniert haben. Im Jahr 2017 wurde in Berlin die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee gegründet, die sich ebenfalls als liberal versteht.

Inzwischen kann man von einem vielfältigen liberalen Lager in Deutschland sprechen. Zwar haben alle Vertreter eines liberalen Islams eine progressive Orientierung, allerdings unterscheidet sich auch ihr Religionsverständnis zuweilen voneinander.

Es ist also Zeit, dass Politik und Gesellschaft im Allgemeinen und die muslimische Community im Speziellen sich noch stärker mit diesem in Deutschland jungen Flügel des Islams auseinandersetzen und die Vielfalt innerhalb dieser Religion endlich realisieren.

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