Debatte über Extremismus Liberaler Islam? Gibt es nicht!
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Die Bundesregierung will die Islamkonferenz erweitern, liberale Strömungen begrüßen das. Manche halten das für "Fake News“: Liberaler Islam sei ein Widerspruch in sich. Unsere Kolumnistin Lamya Kaddor geht dem Thema in dieser und der nächsten Woche nach.
Warum es keinen liberalen Islam geben darf, hat einen einfachen Grund. Seine Existenz unterläuft die Botschaft, der Islam sei brutal und gefährlich. Wer die Existenz eines liberalen Islams eingesteht, kann Muslime nicht mehr pauschal verdammen – und zum Beispiel Einreisesperren für sie verlangen oder die Einschränkung ihrer Religionsfreiheit propagieren.
Damit wiederum würde eine tragende Säule vieler rechtspopulistischer und völkischer Gruppierungen wie Pegida wegbrechen. Und um im Bild zu bleiben, würde mit dieser Säule die Fassade einstürzen, die den puren Rassismus dieser Leute zum Vorschein kommen ließe anstatt ihrer vorgeblichen Islamkritik. Ergo darf es keinen liberalen Islam geben.
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Liberal oder konservativ: Muslime bleiben Staatsfeinde
"Liberal und Islam? Finde den Fehler!", ätzen die einen. "Der konservative Muslim nimmt bei der Steinigung große, der liberale kleine Steine", spotten die anderen. Und der Rest findet es "immer wieder toll, wenn liberale Muslime sagen, dass sie einen liberalen Islam wollen. Nur ändert das halt nichts". Muslime können also machen, was sie wollen, sie bleiben Staatsfeinde: "Der liberale oder moderate Islam ist die Einstiegsdroge. Das Ende kennt jeder." "Der sogenannte 'liberale' Islam ist nur das Einfallstor für eine Kultur, die mit unserer nichts gemein hat."
Das sind Reaktionen auf die gestrige Titelgeschichte der Zeitung "Die Welt": "Plädoyer für einen liberalen Islam", in dem neben mir zehn reformorientierte Muslime, wie es heißt, angefragt wurden, um ihre Sichtweise auf die geplante Neuausrichtung der Deutschen Islamkonferenz in Gastbeiträgen kundzutun. Darunter waren auch Autoren wie Necla Kelek, Ahmad Mansour oder Bassam Tibi. Sie werden in einschlägigen Kreisen gerne als Kronzeugen für die abgrundtiefe Verwerflichkeit des Islams herangezogen.
Verschwörungstheorie vom Machtanspruch der Muslime
Dass nun auch sie desavouiert werden, verdeutlicht: Für manche Zeitgenossen kann man am Ende so islamkritisch sein, wie man will, Muslim bleibt Muslim. Selbst, wenn man dem Islam öffentlich abschwört, würden diese Zeitgenossen argumentieren: "Man kann gar nicht aus dem Islam austreten!" Und: "Muslimen ist es gestattet, Nichtmuslime zu belügen und zu betrügen! Stichwort: taqqiya."
Damit halten sie ihre Verschwörungstheorie aufrecht, wonach auch solche Muslime ihr "wahres Gesicht“ zeigen würden, wenn "der Islam" erst einmal die Oberhand gewonnen habe. Rien ne va plus – nichts geht mehr. Das einzige, was nach dieser Auffassung hilft, ist die Vernichtung des Islams in Deutschland.
Kein Dialog mit Extremisten
Gewiss sind diese Sichtweisen extremistisch und betreffen nur einen kleinen Teil der Bevölkerung. Da sie jedoch selten so offen ausgesprochen werden, wird diese Gruppe immer wieder von gesellschaftlichen Akteuren mit Aufmerksamkeit und Entgegenkommen gefüttert. Sei es, dass man von ihrem inzwischen bekannten Aktionismus profitieren möchte, durch Klicks, Buchverkäufe oder durch Unterstützung der eigenen Meinung, sei es dass man tatsächlich glaubt, man könne mit solchen Menschen reden.
NEIN. Kann man nicht! Extremisten kann man nur isolieren und solange ignorieren, bis sie mit rechtsstaatlichen Mitteln zu stellen sind.
Jedes Zugehen aus der Mitte der Gesellschaft verschafft diesen Extremisten und damit ihrer Agitation wachsende Anerkennung. Das ist brandgefährlich, weil es am Ende zu Gewalt führt.
Die Hetze der Extremisten von Pegida und Co ist mehr oder weniger geschickt mit Halbwahrheiten durchsetzt, die auch „normale“ Menschen denken lassen, da könnte etwas dran sein. Beispielsweise verweisen sie gerne darauf, der Koran sei unveränderlich und das Ausleben des Glaubens klar von Mohammed definiert. In der Tat kann man nicht einfach in den Korantext eingreifen. In der Tat gilt Mohammed als Autorität. So viel zur Wahrheit.
Die implizierte Schlussfolgerung jedoch, es könne deshalb nur einen Islam geben, wird schon unmittelbar nach dem Tod Mohammeds widerlegt. Die komplette islamische Geschichte zeigt genau das Gegenteil. Zeugen sind die unterschiedlichen Konfessionen und Denkrichtungen, die unterschiedlichen Rechtsschulen, die unzähligen kontroversen theologischen Schriften durch die Jahrhunderte hindurch, die unterschiedlichen Vorstellungen vom Ausleben der Religion von Land zu Land, Region zu Region. Die Überzeugung, es gebe nur einen Islam, vertreten lediglich Fundamentalisten der Neuzeit – ach ja, und Islamfeinde.
Mehr Übergriffe auf islamische Einrichtungen
Eine andere Halbwahrheit besagt, liberale Moscheen benötigten Polizeischutz und zwar nicht vor bösen Nazis, sondern vor normalen also orthodoxen Muslimen. Auch das ist zum Teil richtig. Der Liberal-Islamische Bund jedoch, der schon seit Jahren gemischtgeschlechtliche Gebete abhält, Frauen kein Kopftuch vorschreibt, Frauen als Vorbeterinnen hat, homosexuellen Mitgliedern eine religiöse Heimat bietet, interreligiöse Ehen schließt, wird zwar auch angefeindet, Polizeischutz benötigt er aber nicht – schon gar nicht vor „normalen also orthodoxen“ Muslimen.
Je mehr sich die Öffentlichkeit auf die Hetze der Islamfeinde einlässt, desto mehr tragen sie zu deren Radikalisierung bei. Denn wenn die schlimmsten Worte und Gedanken bereits ausgesprochen sind, helfen nur noch Taten weiter. Und genau das lässt sich derzeit beobachten. Vergangenes Jahr registrierten die deutschen Behörden mehr als 1.000 Übergriffe auf islamische Einrichtungen und Muslime. Die Dunkelziffer dürfte bis zu zwölfmal so hoch sein.
Fazit: Es gibt viele Islame – säkulare, liberale, konservative, fundamentalistische. Es gibt Islamkritik und es gibt "Islamkritik", die bloß Rassismus kaschiert. Islamkritikern müssen wir zuhören, "Islamkritiker" sollten solange ignoriert werden, bis sie ein Fall fürs Strafrecht sind. In meiner nächsten Kolumne wird es dann um die innerislamischen Anfeindungen gegen liberale Muslime gehen.