Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Kritik, Hass und Spott Özil wurde der Meute zum Fraß vorgeworfen
Die Özil-Affäre hat der Gesellschaft immens geschadet. Die Folgen sind kaum zu überblicken.
Vieles von dem, was Mesut Özil schreibt, stimmt. Zu viele Menschen haben das Foto von ihm und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan genutzt, um ihrem blanken Rassismus und ihrer Türkenfeindlichkeit Ausdruck zu verleihen. Gerade vor diesem Hintergrund ist es beschämend und stümperhaft, wie der Deutsche Fußballbund (DFB) vor allem nach der Schmach des Vorrunden-Aus in Russland mit diesem Vorgang umgegangen ist.
Eine gewaltige Hypothek für die künftigen Integrationsbemühungen in unserem Land, die man DFB-Präsident Reinhard Grindel anlasten muss. Ein Armutszeugnis.
Özil ist sehr schlecht beraten
Und dennoch habe ich ein Problem mit der Haltung Mesut Özils, Erdogan sei halt der Präsident der Heimat seiner Eltern. Diese unreflektierte Aussage zeigt wenig politisches Interesse und Fingerspitzengefühl. Özil versteckt sich hinter seiner Mutter, die ihm eingebläut habe, seine Herkunft nicht zu vergessen. Mir hat meine Familie das Gleiche beigebracht. Vermutlich werden alle Eltern ihren Kindern das mit auf den Weg geben.
Erdogan ist jedoch (spätestens seit den vergangenen fünf Jahren) nicht mehr irgendein Staatsoberhaupt, sondern eines, unter dem Zehntausende Türken zu leiden haben, und Mesut Özil ist nicht irgendein deutscher Staatsbürger. Er ist auch nicht mehr der kleine Junge aus Gelsenkirchen, sondern ein Medienprofi internationalen Ausmaßes und eine Symbolfigur.
Er hätte sich für den Termin mit Erdogan einfach entschuldigen lassen können und nichts wäre geschehen. Dass er in den drei Teilen seiner ungewöhnlichen Erklärung keinen Platz für ein wenig Selbstreflexion findet, ist so unverständlich wie tragisch. Mesut Özil ist offenkundig sehr schlecht beraten. Er hätte sich viel früher erklären sollen und zugeben müssen, dass das Erdogan-Treffen zumindest unglücklich war. Das hätte seiner eigentlichen Botschaft zum Rassismusproblem in Deutschland eine viel größere und wirksamere Wucht gegeben.
Özil war schon immer Ziel von Kritik, Hass und Spott
So hat er seinen Beitrag zu dem PR-Desaster geleistet – nicht nur in eigener Sache. Durch sein langes Schweigen hat er all jenen, die um den Rassismus in Deutschland wissen, nichts an die Hand gegeben, um ihm von Anfang an richtig zur Seite springen zu können und einen Großteil der Kritik an ihm als Hetze zu entlarven. Damit hat er auch seine potenziellen Verteidiger allesamt auflaufen lassen.
Man konnte es schließlich über Jahre beobachten, wie sich die Wutblase, die nun geplatzt ist, in ihm aufgestaut hat. Özil im Nationaltrikot war schon immer Ziel von übermäßiger Kritik, Hass und Spott gewesen – das ist auch ein Ergebnis der seit Jahrzehnten von vielen gepflegten Abneigung zunächst gegen Türken und später gegen Muslime.
Grindel muss sein Amt abgeben
Wenn nun der Chefredakteur der "Bild"-Zeitung, Julian Reichelt, ausgerechnet Mesut Özil eine "Selbststilisierung als Rassismusopfer" unterstellt, dann ist dieser mangelnde Respekt genau das, worauf Millionen Menschen vor allem mit türkischem Migrationshintergrund in Deutschland seit Jahrzehnten hinweisen: Ihre Leiden werden nicht ernst genommen.
- Kommentar: Die Özil-Abrechnung und ihre Folgen
- Reaktionen auf Rücktritt: "Berge von Respektlosigkeit, Vorurteilen und Rassismus"
- Hoeneß: "Özil versteckt seine Mist-Leistung hinter diesem Foto"
Doch wie geht es jetzt weiter? Der größte nationale Sportverband der Welt mit eigenem Integrationsbeauftragten weiß um all diese Dramatik, dennoch hat er Özil preisgegeben. Auf den DFB, aber auch auf die Politik und die gesamte Gesellschaft kommt nun viel Arbeit zu, um den angerichteten gigantischen Scherbenhaufen der Integrationsarbeit wieder aufzufegen.
Dazu gehört zunächst, dass Grindel jetzt sein Amt zur Verfügung stellt, er trägt die Verantwortung und er selbst hat Özil mit seinen Äußerungen nach der WM der Meute zum Fraß vorgeworfen. Wie sollen sich junge Fußballer in einer Einwanderungsgesellschaft unter jemandem wie ihm sonst zur deutschen Nationalmannschaft bekennen können?