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Kolumne: Der Islam braucht keine Aufklärung


Unsinnige Vergleiche
Der Islam braucht keine Aufklärung

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

12.04.2018Lesedauer: 4 Min.
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Betende Muslime in einer Moschee in Nürnberg: Alexander Dobrindt hat den Islam in einem Interview als unaufgeklärt bezeichnet.Vergrößern des Bildes
Betende Muslime in einer Moschee in Nürnberg: Alexander Dobrindt hat den Islam in einem Interview als unaufgeklärt bezeichnet. (Quelle: Daniel Karmann/dpa)

Der Islam gehöre nicht zu Deutschland, denn ihm fehlten die Werte der Aufklärung: Wer das behauptet, hat keine Ahnung von Geschichte.

Die Debatte über den Islam nimmt hysterische Züge an. Jüngster Tiefpunkt ist der Beitrag von Alexander Dobrindt. Der Islam gehöre nicht zu Deutschland, so der CSU-Landesgruppenchef. Sein Argument: Dem Islam fehle das, was für das Christentum die Aufklärung gewesen sei – mit all ihren positiven Rückwirkungen auf Glauben, Recht und gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Das zeugt leider von völliger sachlicher Unkenntnis. Der Islam braucht keine Aufklärung und Reformation im abendländischen Sinn. Er hatte deren Errungenschaften bereits von Anbeginn an.

Ich verzeihe all jenen, die mich nun für durchgeknallt erklären oder in mir eine verkappte Islamistin sehen wollen. Denn die verzerrten Islamdebatten, die wir hierzulande seit fast 20 Jahren führen – geprägt von Einpeitschern ohne Kenntnis der islamischen Geistesgeschichte oder mit zweifelhafter persönlicher Agenda – lassen willigen Laien wenig Raum, um im öffentlichen Diskurs die tatsächlichen Wahrheiten zu erkennen.

Fakt ist: Die Entwicklungen in der islamischen Welt lassen sich nicht mit denen Mitteleuropas gleichsetzen. Die Ausgangspunkte sind gänzlich anders gelagert. Die Aufklärung ist nicht aus dem Christentum heraus entstanden, sondern im harten Ringen mit dieser Religion. Im Islam war diese Konfrontation so nicht nötig. Aussagen, wonach der Islam keine Phase der Aufklärung wie Europa gehabt und sich deshalb nicht im selben Maße weiterentwickelt habe, kommen daher nur zustande, wenn man ohne islamwissenschaftliches Hintergrundwissen durch eine sehr trübe christlich-abendländische Brille blickt.

Vernunft, Erkenntnis, Naturwissenschaft, Freiheit, Toleranz: Das waren Schlagwörter der europäischen Bewegung, die Immanuel Kant in diesem Satz auf den Punkt gebracht hat: “Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ In diesem Sinne ist Aufklärung im Koran bereits enthalten, oder er widerspricht ihr zumindest nicht. Im Koran geht es stets darum, dass der Mensch lernen soll, mündig zu sein und sich vernünftig zu verhalten. Und so haben es auch zentrale Rechtsschulen des Islams im Laufe der Jahrhunderte wieder und wieder propagiert. Genau genommen ist die konstruktive Auseinandersetzung zwischen rationalem Denken und konservativer Gegenreaktionen seit dem 8. Jahrhundert der Antrieb islamischer Geistesgeschichte. Daran änderte auch die “Mihna“, jene Episode um das Vorgehen der mu’tazilitischen Freidenker gegen traditionalistische Gelehrte im 9. Jahrhundert, nichts.

Das Morgenland wurde für das Abendland zur Brücke von der Antike in die Moderne. Die Antike ist die Quelle unserer Aufklärung in Europa. Die Errungenschaften der Antike mussten im Zeitalter der Renaissance aber erst wiederentdeckt werden. Das besagt ja bereits der Name dieses Zeitalters. Und das ging nur dank der islamischen Welt, wo die alten Texte erhalten, übersetzt, kommentiert und weitergedacht wurden – beispielsweise durch den Philosophen Averroes.

In der islamischen Welt lebte der hellenistische Geist fort – mit konkreten Folgen: Während im mittelalterlichen Europa brutale inquisitorische Methoden die einzig wahre Lehre von Gott durchsetzen sollten, war in der islamischen Welt die friedliche Koexistenz unterschiedlicher religiöser Auffassungen ohne Bevorzugung einer einzigen gang und gäbe. Die Wissenschaft spricht hier von Ambiguitätstolerenz, ein Begriff, den Thomas Bauer von der Uni Münster geprägt hat: Keiner hatte die Hoheit über die Religionslehre. Streit im Guten, das Suchen nach Wissen: Das war Jahrhunderte lang Ausdruck islamischer Kultur – ganz anders als in Europa.

Auch in Sachen Toleranz irrt Alexander Dobrindt gewaltig. Im Vergleich zu Europa war die islamische Welt da geradezu vorbildlich. Daran ändert auch nichts, dass Andersgläubige von den höchsten politischen Ämtern ausgeschlossen waren. Welche frühe Kultur hätte jemals Andersgläubige in staatliche Spitzenämter gelassen? Juden zum Beispiel mögen in islamischen Ländern zwar durch die ihnen auferlegte Kopfsteuer (Dschizja) Bürger zweiter Klasse gewesen sein – aber immerhin waren sie Bürger. Ein Status, der ihnen im europäischen Mittelalter versagt wurde. Schlimmer: Dort wurden sie immer wieder brutal verfolgt. Unter der Herrschaft des Islams dagegen konnten jüdische und christliche Gelehrte in der Regel unbeschadet und geachtet wirken. Gewiss, auch hier gab es Gewalttaten gegen Andersgläubige, auch hier funktionierte das Zusammenleben nicht zu jedem Zeitpunkt in trauter Eintracht. Im Vergleich zum Abendland aber wurde im Morgenland mehr Toleranz praktiziert.

Die Emanzipation der Menschen von der Kirche (eine Institution, die der Islam gar nicht kennt), war ein zentrales Ereignis der europäischen Aufklärung. Martin Luther legte mit seiner Bibelübersetzung die Basis. Den Koran musste derweil niemand übersetzen, er war bereits in der Sprache des Volks verfasst. Die Kirche positionierte sich zwischen Gott und dem Menschen: Extra ecclesiam nulla salus, hieß der Leitsatz: “Kein Heil außerhalb der Kirche. Im Islam gibt es so eine Mittlerebene nicht. Jeder Mensch steht unmittelbar vor Gott.

Der Blick auf die historischen Entwicklungen zeigt: Der immer wiederkehrende Hinweis auf angeblich mangelnde Aufklärung im Islam ist im besten Fall überheblich. Der Ruf nach Aufklärung unter den Muslimen der Gegenwart indes ist es nicht! Im Gegenteil: Hier erlangt der Appell seine Berechtigung. Vor allem arabisch und türkisch geprägte Muslime sind heutzutage von den geistigen Wurzeln ihrer Kultur oft gekappt. Die Pflanzen wurden vor rund 200 Jahren totgetreten.

Mit dem Ende des Osmanischen Reichs, dem Aufkommen des Nationalismus, dem Erstarken des Imperialismus, mit der Erstarrung der geistigen Strukturen im Inneren, wurde das eigene Erbe zunehmend verschüttet. Die Geschichte der islamischen Welt hat damals einen massiven Bruch erfahren, von dem sie sich bis heute nicht erholt hat. Diktaturen entstanden, Kleptokratie, Klientelwirtschaft und Rentenökonomie breiteten sich aus. Islamisten traten auf und instrumentalisierten die Religion zu einem modernen Herrschaftsinstrument, um das Volk zu unterdrücken und sich zu neuen Herren aufzuschwingen. Die vergangenen zwei Jahrhunderte haben die Muslime in antiaufklärerische Zeiten geführt.

Aufklärung unter Muslimen heißt daher: Back to the roots. Zurück zu den Wurzeln. Muslime müssen wieder an die Geisteswelt anknüpfen, die den Islam im Mittelalter auszeichnete. Und sie dann in die heutige Zeit übertragen.

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