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Lamya Kaddor: Warum der Islam entsorgt gehört


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Kolumne "Zwischentöne"
Warum der Islam "entsorgt" gehört

MeinungLamya Kaddor, t-online.de

14.09.2017Lesedauer: 4 Min.
Im Bundestagswahlkampf sollten die Parteien über andere Themen streiten als den Islam, findet t-online.de-Kolumnistin Lamya Kaddor.Vergrößern des Bildes
Im Bundestagswahlkampf sollten die Parteien über andere Themen streiten als den Islam, findet t-online.de-Kolumnistin Lamya Kaddor. (Quelle: Roland Weihrauch, dpa, t-online.de)
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Türkei, Flüchtlinge und Islam beherrschen den Wahlkampf. Stattdessen sollten die Parteien lieber über ganz andere Themen streiten, meint t-online.de-Kolumnistin Lamya Kaddor.

In einer Woche ist Bundestagswahl und wir reden seit Monaten über die falschen Themen. Politik und Medien lassen sich von krakeelenden Kleingruppen im Netz vor sich hertreiben, und bilden sich ein, solche Minderheitenmeinungen seien das Maß aller Dinge.

Die Macher des TV-Duells, Deutschlands vermutlich beste politische Fernseh-Journalisten, waren jedenfalls offenkundig überzeugt davon, man müsse fast die Hälfte der Sendung mit Angela Merkel und Martin Schulz über Flüchtlinge, Türkei und Islam reden. Zurecht fragten manche: Hat die AfD den Moderatoren die Fragen diktiert?

Anfang der Woche gab es die „Wahlarena“ in der ARD. Bürger durften der Kanzlerin Fragen stellen. Bleibenden Eindruck hinterließ ein junger Mann, der sich zum Krankenpfleger ausbilden lässt. Emotional aufgeladen, aber dennoch sachlich und engagiert stellte er Angela Merkel. Das Pflegepersonal in Krankenhäusern sei seit Jahren völlig überlastet, meinte er. Jeden Tag werde die Würde des Menschen in deutschen Krankenhäusern verletzt, weil Patienten aufgrund des Personalmangels zum Beispiel stundenlang in ihren Ausscheidungen liegen müssten. „Sie, Frau Merkel, haben in ihrer Amtszeit nichts dagegen getan!“

Der Mann hatte einen Nerv getroffen

Spontan brandete Applaus im Studio auf. Man spürte förmlich, der Mann hatte einen Nerv getroffen. Denn das ist eines der eigentlich relevanten Themen, die die Mehrheit der Menschen in Deutschland offenkundig bewegt.

Als Angehörige kann ich den jungen Mann leider bestätigen. Jeder Mensch, Stand heute, sollte darauf hoffen, nicht mit einer ernsten Krankheit im Krankenhaus zu landen - schon gar nicht, wenn er älter ist und keinen jüngeren, rhetorisch begabten Angehörigen an seiner Seite hat, der sich permanent für seine Belange bei Ärzten und Pflegern einsetzen kann.

Aber über solche Nöte reden wir nicht, jedenfalls nicht ausreichend. Diesbezüglich macht allerdings auch in den sozialen Medien niemand annähernd so viel Wind, wie die paar gut vernetzten rechtspopulistischen Stimmungsmacher bei ihren völkischen Themensetzungen.

Manische Fixierung auf die sozialen Medien

Es wirkt beinah manisch, wie sehr die öffentliche Meinung auf soziale Medien fixiert ist. Kaum jaulen ein paar hundert Twitter-Nutzer auf, spricht man von einem Shitstorm. Diese Verzerrung der Realität ist vermutlich eines der Hauptprobleme unserer derzeitigen Medien- und Politikerkrise.

Untersuchungen zu sozialen Medien zeigen, dass sich nur ein kleiner Teil der mehr als 80 Millionen Deutschen an politischen Diskussionen auf Facebook-Seiten von Medien oder deren Twitter-Accounts beteiligt. Daran ist nichts repräsentativ! Soziale Medien werden hauptsächlich zur Zerstreuung und persönlichen Kontaktpflege genutzt.

Jeder Spitzenpolitiker würde dem zustimmen: Bildung ist eines der wichtigsten Zukunftsthemen. Trotzdem wird Bildung allenfalls pflichtschuldig thematisiert. Schulgebäude verkommen. Unterricht fällt aus. Schon Grundschulen suchen händeringend Lehrpersonal, aber finden doch keines.

Warum spricht keiner über Bildung?

Ein Bekannter von mir schmiss Anfang der 2000er Jahre sein Lehramtsstudium für die Primastufe und legte einen Quereinstieg in der IT hin. Mehrere seiner Arbeitgeber gerieten in den Folgejahren in Schieflage. So rutschte er mal in die Arbeitslosigkeit, mal in Weiterqualifikationen. Vor einem Jahr kam der Bruch. Er schloss nachträglich sein Studium ab. Nun macht er ganz neue Erfahrungen: Grundschulen beknien ihn förmlich, er solle sich bitte, bitte bei ihnen bewerben. Man würde ihn sofort einstellen.

Bildung ist ein Schlüssel zur Lösung fast aller Gesellschaftsprobleme. Doch die Politik redet dauernd über Innere Sicherheit. Redet permanent über die Türkei. Über Flüchtlinge. Über Islam. Natürlich sind das wichtige Angelegenheiten, die zu besprechen sind. Aber wirklich jeden Tag?

Wenn sich eine Partei der politischen Mitte mal von Allerweltsfloskeln wie soziale Gerechtigkeit verabschieden und sich stattdessen mit vollem Einsatz konkret auf das Thema Bildung stürzen würde, ich wette darum, es gäbe einen großartigen Wahlerfolg. Was war bei den Landtagswahlen in NRW und Schleswig-Holstein nochmal entscheidend? Richtig: die Bildung!

Wo AfD draufsteht, ist nun mal AfD drin

Wenn Politik und Medien die Mehrheit der Menschen im Land wieder besser erreichen wollen, sollten sie sich weniger darüber empören, dass ein AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland darüber sinniert, wie man Staatsministerin Aydan Özoguz in Anatolien „entsorgt“. Wo AfD draufsteht, ist nun mal AfD drin. Dass diese Partei Rechtspopulisten und Rechtsextremisten anspricht, ist doch bekannt und dürfte kaum überraschend sein.

Wer das Volk wieder verstehen will, sollte dafür sorgen, dass das Thema Islam/Türken/Araber in den Wahlkämpfen „entsorgt“ wird. Darüber wird seit fast 20 Jahren ausgiebig gesprochen. Die Ergebnisse stehen nicht einmal ansatzweise in einer gesunden Relation zum gesellschaftlichen Ertrag.

Außer gegenseitigen Vorurteilen und Ressentiments wurde kaum etwas erreicht. Den Islamunterricht an staatlichen Schulen mal ausgenommen, obwohl auch hier die Umsetzung vielfach krankt, haben wir was erzielt? Übereilte Staatsverträge mit islamischen Verbänden, die wieder zur Disposition stehen. Missratene Kopftuchverbote, die wieder kassiert wurden. Eine überflüssige Islamkonferenz, wo literweise Tee und Kaffee getrunken wurde.

Beim Thema Islam dürfte nur noch eins überraschend sein: Obwohl seit Jahren kein einziger Tag vergeht, ohne dass über Muslime gesprochen wird, machen Muslime gerade einmal 5 winzige Prozent der deutschen Bevölkerung aus. Es wird Zeit! Erwacht endlich aus dem Tiefschlaf!

Lamya Kaddor ist Deutsche mit syrischen Wurzeln. In ihrer Kolumne "Zwischentöne" analysiert die Islamwissenschaftlerin, Islamische Religionspädagogin und Publizistin für t-online.de die Themen Islam und Migration.

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