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Fall der Berliner Mauer bei Günther Jauch im Talk


Jauch-Talk zum Fall der Mauer
"An unseren Grenzen spielen sich Dramen ab"

t-online,   Von Marc L. Merten

Aktualisiert am 10.11.2014Lesedauer: 4 Min.
Schauspieler Liefers und Journalist Mascolo gestern Abend bei Günther Jauch.Vergrößern des Bildes
Schauspieler Liefers und Journalist Mascolo gestern Abend bei Günther Jauch. (Quelle: Screenshot ARD)
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Der 9. November ist ins deutsche Hirn eingebrannt wie kein anderer Tag im nationalen Geschichtskalender. Novemberrevolution 1918, Hitler-Putsch 1923, Pogromnacht 1938 – und Grenzöffnung 1989. Über die letztere, natürlich, diskutierte am Sonntagabend Günther Jauch zum 25. Jahrestag. Und doch merkte man, dass es um mehr ging als die Wiedervereinigung: Es ging um das Gedächtnis der Deutschen. Aller Deutschen.

Eigentlich hätte Hans-Dietrich Genscher im Gasometer in Berlin sitzen sollen. Doch der 87-Jährige musste aus gesundheitlichen Gründen absagen. Genscher wäre aber nicht Genscher, wenn er sich nicht trotzdem zu diesem großen Tag Deutschlands geäußert hätte. "Es besteht eine große Sorge, weil ich nicht glaube, dass aus den Chancen, die das Jahr 1989 geboten hat, das gemacht wurde, was gemacht werden konnte“, ließ er wissen. Und obwohl Jauch dieses Zitat in der Sendung außen vor ließ, schwang es unterschwellig mit - zumindest gegen Ende der Sendung.

Der Wachmann von der Bornholmer Straße

Ein Großteil der Diskussion fiel zunächst auf den Rückblick der Geschehnisse. Mit dem Journalisten Georg Mascolo, der an jenem 9. November 1989 mit seinem Kamerateam in Berlin von Grenzposten zu Grenzposten gezogen war. Mit Harald Jäger, der später bekannt wurde als der Wachmann, der am Grenzübergang Bornholmer Straße die Öffnung des Schlagbaumes befahl. Mit Bärbel Reinke, der "Frau vom Brandenburger Tor". Mit Jan Josef Liefers, dem ostdeutschen Schauspieler, der fünf Tage vor der Öffnung eine Rede am Alexanderplatz gehalten hatte. Und mit Klaus Wowereit, dem Gesicht des politischen Berlins heute.

Lange kreiste die Diskussion um die Frage, wie die Protagonisten den Abend vor 25 Jahren erlebt hatten. Mascolo beschrieb, wie er spürte, dass die "DDR-Bürger in dieser Nacht ihre Angst verloren hatten". Jäger erklärte, wie "verlassen von der Partei und der militärischen Führung" er sich gefühlt habe, da er nach der Pressekonferenz von Günter Schabowski keine klaren Befehle erhalten habe. Wowereit erinnerte sich, dass er froh gewesen sei, "dass niemand die Nerven verloren habe". Schließlich waren zehntausende DDR-Bürger auf den Straßen gewesen. Liefers wollte keine Diskussion aufkommen lassen, ob nicht eigentlich die wirtschaftlich desaströse Lage zur Öffnung geführt hätte und nicht die Kraft des Volkes. "Die Menschen auf der Straße waren es, die Fakten geschaffen haben", beharrte er.

"Es gab die DDR eigentlich dreimal"

Und Reinke? Sie sah sich selbst, ihr 25 Jahre jüngeres Ebenbild, auf den Bildschirmen, wie sie vor den Polizisten am Brandenburger Tor stand und schrie. Schrie aus Verzweiflung, weil sie durch das symbolträchtige Tor zwischen Ost und West schreiten wollte. Weil dieser Ort der einzige in Berlin war, über den die Staatsmacht die Kontrolle nicht verlieren wollte. Reinke sah diese Bilder und weinte. "Es bewegt mich noch jedes Mal. Ich wollte dieses Land ja nicht verlassen, warum auch? Ich wollte ja nicht auswandern. Ich wollte ja wieder zurückkommen. Aber ich wollte da durchgehen."

Jauch hielt sich zurück. Er moderierte, ließ erzählen, ließ gewähren. Er gab Stichworte und spielte den Ball geschickt weiter. Er ließ Liefers anschaulich erklären, dass es "die DDR eigentlich dreimal gab: So, wie wir sie erlebt haben. So, wie sie in den Zeitungen stand. Und diese beiden Sichtweisen hatten normalerweise nicht viel gemein. Und dann gab es noch die Wunschvorstellung der DDR." Es war das Bild eines funktionierenden sozialistischen, demokratischen Staates. Der Staat, der nur in den Köpfen existiert hatte. Und der so schön war, dass auch die Bundesrepublik als Enttäuschung daher kommen musste.

Die besetzten Plätze an der Sonne

Denn: "Die Plätze an der Sonne waren ja auch im Westen längst besetzt", schilderte Liefers. Heißt: Die großen Chancen, die sich die Menschen der DDR erhofft hatten, gab es im Westen auch nur bedingt. So platzten viele Träume.

Wie der von Harald Jäger. "Ich habe zehn Jahre gebraucht, um mich in der BRD zurecht zu finden", sagte der ehemalige Wachmann, der nach der Öffnung erst einmal arbeitslos geworden war und später sein Geld als Zeitungsausträger verdiente. "Die Bundesrepublik von heute ist aber nicht mehr die der 1980er Jahre. Das heutige Deutschland ist von uns mitgeprägt worden." Siehe Bundeskanzlerin Merkel und Bundespräsident Gauck – ehemalige Bürger der DDR.

Das Flüchtlingsproblem

"Wir waren damals das glücklichste Volk der Welt“, meinte Wowereit. Und es klang, als ob er Genschers Gedanken aufnehmen wollte. Den, dass heute von diesem Gefühl des Glücks nicht mehr viel übrig geblieben ist. Und das, obwohl heute nicht nur Deutschland vereint ist, sondern auch Europa in einer Union zusammengefunden hat. Doch Liefers traf den wunden Punkt: "Wir sind in Europa vereint. Aber an unseren Grenzen spielen sich neue Dramen ab. Mit Flüchtlingen, die auf der Suche nach Frieden und Schutz sind.“

Wie viel deutscher Ost-West-Konflikt steckt also auch in unserem Europa? Wie viel hat Deutschland wirklich gelernt aus seiner eigenen Geschichte? Mit welchem Bewusstsein denken wir über den 9. November nach – und an welche der vielen geschichtsträchtigen Tage denken wir als erstes? Mascolo ist sich sicher: "Wir sitzen heute zusammen am wahren Tag der Deutschen Einheit." Es wird Zeit, endlich aus dieser Einheit zu lernen.

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