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Olaf Scholz im Hochwassergebiet: Welche Miene passt zu brechenden Dämmen?


Flut und Kanzler
Kameras sind unbarmherzig

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

04.01.2024Lesedauer: 4 Min.
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Olaf Scholz (SPD): Der Bundeskanzler ist in das Flutgebiet nach Sachsen-Anhalt gereist. (Quelle: Jan Woitas/dpa)

Zum zweiten Mal ist Olaf Scholz an einen Ort geeilt, den die Wassermassen bedrohen. Das musste er auch, denn als Katastrophen die Elbe und Ahr heimsuchten, wurden Karrieren beschleunigt und beendigt.

Heute ist unser aller Bundeskanzler in das Städtchen Sangerhausen gereist und stand am Deich an der Helmebrücke, begutachtete ihn kritisch und riet ihm dringend, doch gefälligst den Wassermassen standzuhalten. Ob sich der Deich davon beeindrucken lässt? Na ja, warum nicht.

Kameras sind besonders dann unbarmherzig, wenn sich ein herausgehobener Mann des Staates in Gummistiefeln und Regenjacke der Flut nähert, die Deutschland öfter als früher heimsucht. Sie halten drauf, wenn der Landesfürst eine längliche Rede hält und den Einsatz von Feuerwehr, Polizei und Technischem Hilfswerk ausgiebig lobt, während der Bundeskanzler auf seinen Einsatz wartet.

Was sollte Scholz machen?

Olaf Scholz stand am Silvestertag in Verden minutenlang neben dem Ministerpräsidenten Stefan Weil, der den richtigen Ton und die richtigen Worte fand. Was sollte der Kanzler in der Zwischenzeit machen? Was ist der angemessene Gesichtsausdruck? Wie zaubert man Betroffenheit und Mitleid in ein Gesicht, das sich Ausdruckslosigkeit antrainiert hat?

Olaf Scholz kann ohnehin momentan nichts machen, ohne dass es gegen ihn ausgelegt würde. In Sachsen-Anhalt wurde er heute beschimpft. In Verden fanden sich Anwohner, die in die Kameras sprachen: Bin enttäuscht, hatte mehr erwartet. Ja, was denn eigentlich? Und dienen die rhetorischen Fragen der Journalisten, die arglose Zeitgenossen zu Großkritikern erheben, der Wahrheitsfindung?

Video | Scholz mit Beschimpfungen in Hochwassergebiet empfangen
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Quelle: t-online

Fluten beschleunigen oder beenden Karrieren

Zum Glück hat der Dauerregen dieser Tage noch kein ganz großes Unheil angerichtet. Menschen sind bisher nicht zu Tode gekommen. Aber in ganz Deutschland schwellen Flüsse an, in Franken wie in der Oberpfalz, in Niedersachsen wie Sachsen-Anhalt, in Baden-Württemberg wie in Bayern. Kommen wir dennoch diesmal glimpflich davon?

Wasser ist eine Urgewalt. Wasser verschlingt von jeher Mensch und Tier, zerlegt Behausungen. Der tosende Lärm heranrauschenden Wassers löst Urangst aus. Davon erzählen Mythen und Legenden aus alten Zeiten. Der Tsunami im Jahr 2004 verursachte Schockwellen rund um den Globus. Gerade bedroht ein Sturm über dem Pazifik mit 9 Meter hohen Brechern Kalifornien.

Inzwischen sind wir auch in Deutschland erfahren genug, um zu wissen, dass Wassermassen, die Autos wie Treibholz vor sich her schieben, Häuser zerstören, als wären sie aus Pappe, und Menschen verschlingen, Folgen übers Unmittelbare hinaus haben. Sie beschleunigen oder beenden Karrieren. Sie zeigen, was in Politikern steckt und was ihnen fehlt.

Schröder machte alles richtig

Gerhard Schröder ist der Inbegriff eines Politikers, der die Stunde nutzte, als die Elbe im Jahr 2002 katastrophal über die Ufer trat. In Grimma war’s, als er sich tief erschüttert zeigte, was die Natur anrichtete – mitten im Wahlkampf, in dem die rot-grüne Regierung in Not war, weil die Ökosteuer auf Kraftstoffe unpopulär war. Weil der Bundeskanzler alles richtig machte, als es darauf ankam, blieb er auch Bundeskanzler. Dabei half ihm, dass sich sein CDU/CSU-Gegenkandidat Edmund Stoiber damit begnügt hatte, nur in Bayern an bedrohte Orte zu eilen. So kann’s gehen.

Die Oder hatte im Jahr 1997 in Tschechien, Polen und Deutschland Deiche zerquetscht und überflutet. Der junge Umweltminister in Brandenburg, Matthias Platzeck hieß er, warnte frühzeitig, dass sich da etwas anbahne und Vorkehrungen getroffen werden sollten. Von allwissenden Experten wurde er als "Bürschchen" abgetan, dem es an Erfahrung mangele. Aus dem Bürschchen, das Recht gehabt hatte, wurde wenige Jahre später der Ministerpräsident seines Landes und (kurzfristig) auch der SPD-Vorsitzende.

Gegenbeispiel Laschet

Als Gegenbeispiel fällt uns sofort Armin Laschet ein, der Unionskandidat, der im Hintergrund als Grinsekatze auffiel, als im Vordergrund der Bundespräsident Worte zu finden suchte, die der Ahrtal-Jahrhundertflut gerecht wurden. Es gibt nicht nur einen einzigen Grund, warum ein erfahrener Politiker eine Wahl verliert, aber dieser Moment der Unangemessenheit trug sicherlich dazu bei, dass die CDU unter ihren Möglichkeiten blieb und Laschet in einem Ausschuss des Bundestages landete.

Im Ahrtal starben im Jahr 2021 135 Menschen, der materielle Schaden betrug 40 Milliarden Euro. Ein Untersuchungsausschuss im Landtag befragte 227 Zeugen und 20 Sachverständige. Ein ziemlich kollektives Versagen der Verantwortlichen kam dabei heraus. Der Landrat im Kreis Ahrweiler hatte Warnungen nicht weitergegeben und musste zurücktreten. Die Landesumweltministerin Anne Spiegel fuhr in den gebuchten vierwöchigen Urlaub und trat später als Bundesfamilienministerin zurück. Der Innenminister Roger Lewentz musste ebenfalls zurücktreten. Der ansonsten tadellosen Ministerpräsidentin Malu Dreyer hängt die Flut bis heute an.

Jeder kann sehen, was vor sich geht

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ereignen sich die geschichtlich beispiellosen Katastrophen in anderen Weltgegenden, zum Beispiel der Tsunami von 2004, der halb Südostasien verwüstete und mehr als 241.000 Menschen tötete. Ein Jahr später überflutete der Hurrikan "Katrina" die schöne Stadt New Orleans: 1.836 Tote, 350.000 Häuser zerstört, 1,3 Millionen Menschen obdachlos. Der Präsident, er hieß George W. Bush, brauchte ziemlich lange, bis er am Unglücksort auftauchte, was ihm, der nach 9/11 noch die Stimme Amerikas gewesen war, nicht zum Vorteil gereichte.

(Quelle: Privat)

Gerhard Spörl interessiert sich seit je her für weltpolitische Ereignisse und Veränderungen, die natürlich auch Deutschlands Rolle im internationalen Gefüge berühren. Er arbeitete in leitenden Positionen in "Der Zeit" und im "Spiegel", war zwischendurch Korrespondent in den USA und schreibt heute Bücher, am liebsten über historische Themen.

Wenn sich die schwellenden Flüsse und Ströme aufmachen, um die Menschen zu quälen, dann können wir Zeitgenossen genau sehen, was vor sich geht. Die Krisen und Katastrophen, die daraus entstehen, zeichnen sich durch Anschaulichkeit aus. Die Zuschauer am Fernsehapparat, sofern sie kein Herz aus Stein haben, überkommt Mitleid und Hilfsbereitschaft. Dagegen sind die anderen Problemfälle unserer Zeit erheblich komplexer, etwa der Krieg in der Ukraine oder in Gaza. Auch was im Falle Wirecard vor sich ging oder bei Cum-Ex entzieht sich in seiner Vielschichtigkeit dem leichten Verständnis.

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Es wird kälter

Allerdings haben auch sommerliche Dürre und winterliche Dauerregen tiefere Ursachen, haben sie doch mit dem Menschheitsproblem der Klimaveränderung zu tun. Den Klimaleugnern könnten die Argumente ausgehen.

Heute regnet es noch allüberall in Deutschland. Danach könnten die Gelegenheiten für den Bundeskanzler, die adäquate Miene aufzusetzen, glücklicherweise ausgehen. Es soll kälter werden, sagen die Wetterfrösche, der Regen macht in den nächsten Tage zumindest eine Pause. Gut so.

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