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"Markus Lanz" über Todesfahrt in Berlin: Geht Datenschutz vor Kinderschutz?


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Innenministerin Faeser bei Lanz
Geht Datenschutz vor Kinderschutz?


Aktualisiert am 09.06.2022Lesedauer: 3 Min.
Innenministerin Nancy Faeser bei einer Tagung (Archivbild): Die SPD-Politiker ist für eine Speicherung von IP-Adressen.Vergrößern des Bildes
Innenministerin Nancy Faeser bei einer Tagung (Archivbild): Die SPD-Politiker ist für eine Speicherung von IP-Adressen. (Quelle: Political-Moments/imago-images-bilder)
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Markus Lanz diskutierte mit einer kurzfristig stark veränderten Gästerunde über die Amokfahrt in Berlin und über ein so brisantes wie schwieriges Thema: Datenüberwachung. Dafür ist Innenministerin Faeser zuständig.

Spontaneität kann Markus Lanz: Selbst wer am späten Mittwochabend im Internet nach der Gästeliste der ZDF-Talkshow suchte, fand noch eine Runde mit Grünen-Chef Omid Nouripour und Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier angekündigt. Offenbar sollte Letzterer als enger Vertrauter Angela Merkels über den viel diskutierten ersten öffentlichen Auftritt der Altkanzlerin sprechen. Doch dann saß eine komplett andere Runde im Talkshowstudio. Dazu zählte die amtierende Bundesinnenministerin Nancy Faeser – was Moderator Lanz gestattete, zunächst über das schlimme Topthema des Tages, die Amokfahrt am Breitscheidtplatz in Berlin, zu sprechen.

Die Gäste:

  • Nancy Faeser, Bundesinnenministerin (SPD)
  • Linus Neumann, Sprecher des Chaos Computer Clubs
  • Michael Bröcker, Journalist ("The Pioneer"-Chefredakteur)
  • Julia von Weiler, Kinderhilfsorganisation "Innocence in Danger"

Die Ministerin sprach den Angehörigen der getöteten Lehrerin Mitgefühl aus und wünschte den schwerstverletzten Schülern gute Besserung. Als Lanz "Unfall oder vorsätzliche Tat?" fragte, hatte sie bereits vom "Täter" gesprochen. Faeser wollte aber nicht spekulieren und tat es auch kaum. Sie habe bloß gelesen, dass der Fahrer "oft straffällig aufgefallen sei", stellte sie klar. Mehr Informationen als aus anderen aktuellen Medien erhielt man nicht, doch bewies Lanz, dass er Aktualität im Blick hat.

Zwei Themen wurden ausführlicher diskutiert. Zunächst ging es um den Krieg in der Ukraine und den Cyberwar, also Kriegsführung im Internet. Dazu saß mit Chaos Computer Club-Sprecher Linus Neumann ein Experte in der Runde. Russische Angreifer könnten die Spionage, die sie auch in Deutschland längst treiben, "ausweiten in Richtung Sabotage", sagte er. Falls es dazu komme, würden Betroffene und Öffentlichkeit erst spät davon erfahren. Faeser beteuerte, die Ampelkoalition werde wie versprochen "im Bereich Digitalisierung vieles auf den Weg bringen".

Faeser will Thema "sexualisierte Gewalt gegen Kinder" angehen

Das Hauptthema war dann "ein neuer Abgrund, der sich auftut" (Lanz): die unter dem Stichwort Wermelskirchen bekannt gewordenen massenweisen Fälle von sexualisiertem Kindesmissbrauch. "Es ist keine Kinderpornografie", sagte Faeser, nachdem auch dieser Begriff gefallen war, "es ist sexualisierte Gewalt gegen Kinder". Sie wolle das Thema, das ihr eine "Herzensangelegenheit" sei, "ganzheitlich angehen". Wozu digitale Mittel definitiv gehören müssten.

Zu den bestmöglichen Maßnahmen gegen Kindesmissbrauch im Netz vertraten zwei Gäste sehr unterschiedliche Ansichten. "Digitalisierung hat das Phänomen sexualisierter Gewalt extrem verändert", sagte Psychologin Julia von Weiler, die die Kinderhilfsorganisation "Innocence in Danger" leitet. Sie schilderte, wie Missbrauchsdarstellungen über "alle digitalen Kommunikationswege, die es gibt", über Messengerdienste, E-Mails und Chats sowie über Plattformen wie TikTok, Jahr für Jahr dramatisch zunehmen, und lobte aktuelle Pläne der EU-Kommission zu mehr Kontrolle.

CCC-Experte gegen Chatkontrolle

Die Kommissionsidee einer Überwachung sämtlicher digitaler Dienste, die Kritiker "Chat-Überwachung" oder "Chatkontrolle" nennen, kritisierte dagegen CCC-Sprecher Neumann: Bei solch "anlassloser Massenüberwachung" von Hunderten Millionen Kommunikationen pro Tag würde es "massive Ausleitungen von False Positives" geben. Und die meisten Täter wüssten solche "automatisierte Detektion" längst zu umgehen.

Was meint Bundesministerin Faeser dazu? Auch wenn sie die Initiative der EU-Kommission unterstütze, sehe sie die "Verhältnismäßigkeit an dieser Stelle nicht gegeben". Kurzum: Die Bundesregierung scheint gegen Chatkontrolle-Pläne zu sein.

"Vorratsdatenspeicherung light" könnte Wirklichkeit werden

Wofür die Ministerin aber ist: IP-Adressen, also konkreten Nutzern zuzuordnende Internetadressen, länger zu speichern, sodass pädophile Täter identifiziert werden können. So etwas war unter dem Begriff Vorratsdatenspeicherung schon lange geplant, wurde durch den Europäischen Gerichtshof aber gestoppt. Kommt also "Vorratsdatenspeicherung light", wie Journalist Bröcker formulierte? Das blieb offen, dürfte aber bald diskutiert werden.

Jedenfalls solle sich, so Faeser, das Bundeskriminalamt nicht mehr wie kürzlich beklagen müssen, dass es über 2.000 Fälle von Kindesmissbrauch nicht ermitteln konnte, weil Internetdaten gelöscht wurden. Andererseits wisse das BKA inzwischen, wie wichtig es ist, Missbrauchsbilder zu löschen. Solange solche Bilder im Internet kursieren, höre für die Opfer "das Verbrechen nie auf", hatte von Weiler beklagt.

Ist also die Gefahr größer, dass Datenschutz vor Kinderschutz gehen könnte, oder die, dass private Kommunikation in gigantischem Ausmaß überwacht wird? Das konnte am Mittwochabend natürlich nicht beantwortet werden, doch aufgeworfen wurden solche Fragen. Wer die so differenzierte wie sachliche Diskussion über komplizierte Themen bis zum Schluss verfolgte, dürfte es kaum bereut haben.

Verwendete Quellen
  • Markus Lanz vom 8. Juni 2022
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