Weihnachtsansprache Steinmeier dankt der "großen, oft stillen Mehrheit"
Es ist Heiligabend – und wieder wird das Fest von Sorgen getrübt. Das Virus hat viele Menschen mürbe gemacht. In seiner Weihnachtsansprache ruft Bundespräsident Steinmeier nun zum Zusammenhalt auf.
Zum zweiten Mal feiert Deutschland Weihnachten im Schatten der Corona-Pandemie. Angesichts der Belastungen der Gesellschaft durch die anhaltende Virus-Krise rief Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Weihnachtsansprache zum Zusammenhalt auf.
Traditionell stark besuchte Gottesdienste an Heiligabend finden diesmal teilweise unter 2G-Bedingungen statt – also mit Zugang nur für Geimpfte und Genesene. Es gibt aber beispielsweise auch Angebote unter freiem Himmel ohne Gesundheitsnachweis.
In Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern traten an diesem Freitag schärfere Corona-Regeln in Kraft. Private Zusammenkünfte sind dort somit bereits an Weihnachten auch für Geimpfte und Genesene beschränkt, und zwar auf maximal zehn Personen. Bund und Länder hatten sich am Dienstag darauf verständigt, diese Vorgabe spätestens zum 28. Dezember einzuführen – die meisten Bundesländer wollen dies nach Weihnachten umsetzen.
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Steinmeier: "Wir sind ein Land!"
Steinmeier mahnte vor dem Hintergrund von Auseinandersetzungen über die Corona-Politik: "In der Demokratie müssen wir nicht alle einer Meinung sein. Aber bitte denken wir daran: Wir sind ein Land! Wir müssen uns auch nach der Pandemie noch in die Augen schauen können. Und wir wollen auch nach der Pandemie noch miteinander leben."
Natürlich gebe es Streit, Unsicherheiten und Ängste. Sie auszusprechen, daran werde niemand gehindert, sagte der Bundespräsident. "Entscheidend ist, wie wir darüber sprechen – in der Familie, im Freundeskreis, in der Öffentlichkeit. Wir spüren: Nach zwei Jahren macht sich Frust breit, Gereiztheit, Entfremdung und leider auch offene Aggression."
Steinmeier bedankte sich "aus vollem Herzen" bei der "großen, oft stillen Mehrheit", die seit Monaten umsichtig und verantwortungsvoll handele, und appellierte an die Verantwortung des Einzelnen: "Der Staat kann sich nicht für uns die Schutzmaske aufsetzen, er kann sich auch nicht für uns impfen lassen. Nein, es kommt auf uns an, auf jeden Einzelnen!"
Steinmeier: "Unser Staat war selten so gefordert"
Seit mittlerweile fast zwei Jahren drückt das Thema Corona die meisten anderen Themen an den Rand. Die ersten Meldungen über eine in China ausgebrochene neue "mysteriöse Lungenkrankheit" tauchten Ende Dezember 2019 in Deutschland auf. Die folgenden 24 Monate wurden zu einer Berg- und Talfahrt für die ganze Gesellschaft: Lockdowns, Schulschließungen, Maskendeals, Bund-Länder-Krisentreffen, Demonstrationen, relativ unbeschwerte Sommer, gefolgt von nervenaufreibenden Herbst- und Wintermonaten.
Das Virus habe "Pläne durchkreuzt und Träume zerstört", sagte Steinmeier in seiner Ansprache, aber es gebe auch Grund zur Zuversicht: "Das Virus treibt uns nicht auseinander. Im Gegenteil: Es lässt uns zusammenrücken", so der Bundespräsident. Deutschland sei ein starkes Land, weil "so viele Menschen für andere da sind und in der Krise über sich hinauswachsen".
"Unser Staat war selten so gefordert, Leib und Leben seiner Bürger zu schützen", sagte Steinmeier. Er brauche dazu Wissenschaftler, Ärztinnen, Pfleger, verantwortungsvolle Ordnungskräfte und Mitarbeiter in den Ämtern. "Sie alle tun ihr Bestes. Und sie alle gewinnen neue Erkenntnisse, korrigieren Annahmen, die sich als falsch erwiesen haben, und passen Maßnahmen an. Menschen können irren, sie lernen aber auch."
Steinmeier sprach von Veränderungen durch die Pandemie bis in die Sprache hinein. "Da sind nicht nur neue Begriffe hinzugekommen, von Inzidenz bis 2G+." Auch die "alten, kostbaren Worte" Vertrauen, Freiheit und Verantwortung erhielten ein "neues, dringliches Gewicht".
"Ist Freiheit der laute Protest gegen jede Vorschrift?"
Steinmeier rief die Bevölkerung zu einer Verständigung über die Bedeutung von Freiheit, Vertrauen und Verantwortung auf. "Heißt Vertrauen nicht womöglich auch, dass ich mich auf kompetenten Rat verlasse, selbst wenn meine eigenen Zweifel nicht gänzlich besiegt sind? (...) Ist Freiheit der laute Protest gegen jede Vorschrift? Oder bedeutet Freiheit manchmal nicht auch, mich selbst einzuschränken, um die Freiheit anderer zu schützen? Was bedeutet Verantwortung? Sagen wir einfach: "Das muss jeder für sich selbst entscheiden"? Oder betrifft meine Entscheidung nicht in Wahrheit viele andere mit?"
In diesem Zusammenhang blickte Steinmeier auch über Corona hinaus auf das Großthema Klimaschutz, das zwar nie weg war, durch die Pandemie im Moment aber weniger Aufmerksamkeit erfährt. "Auch da wird es nicht nur die eine richtige Antwort geben, die alle überzeugt. Sondern immer wieder werden wir uns neu verständigen müssen. Und ich bin sicher: Wir können uns verständigen."
Viel Kummer und viel Hoffnung
Im Rückblick auf das Jahr sagte Steinmeier, es habe vieles gegeben, was Kummer bereite, vieles, was auch Angst gemacht habe. "Wir denken an die schreckliche Flutkatastrophe im Sommer." Er denke auch an die Soldatinnen und Soldaten, die aus Afghanistan heimgekehrt seien und an die Menschen, die dort in Not und Hunger zurückgeblieben sind. "Wir machen uns Sorgen über das, was wir aus vielen Teilen unserer unruhigen Welt hören, gerade auch aus Osteuropa."
Es habe aber auch vieles gegeben, was Hoffnung mache. "Ich denke an die riesige Solidarität mit den Flutopfern, an Spenden und vor allem ganz viel tatkräftige Hilfe. Ich denke an die vielen – jungen und nicht so jungen – Menschen, die sich für Umwelt- und Klimaschutz einsetzen."
Er denke dabei aber auch an die Wählerinnen und Wähler, die in wichtigen Wahlen ihre Stimme abgegeben haben "und an die Art und Weise eines demokratischen Übergangs in gegenseitigem Respekt". Viele Menschen würden jetzt mit Neugier, auch mit Hoffnung, auf eine neue Bundesregierung schauen, die sich viel vorgenommen habe für unser Land.
- Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten in der Tagesschau
- Nachrichtenagenturen afp und dpa