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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Antisemitismus-Experte "Die Bändchen sind dazu da, Freiheit zu sichern"
Ein Student behauptet, ein Corona-Armbändchen sei "wie der Judenstern". Sein Dozent ist Meron Mendel, eine der bekanntesten Stimmen zum Umgang mit Antisemitismus. Jetzt spricht er über den Fall.
Meron Mendel ist Direktor der Anne Frank-Bildungsstätte, und im Mai 2020 bekam er den Namen Anne Frank bei "Querdenkern" zu sehen. Es war ein Vorgeschmack auf das, was seither bei Protesten gegen Corona-Maßnahmen zum Bild gehört: Gegner von Masken, Tests und vom Impfen vergleichen sich mit den verfolgten Juden in der Nazizeit. Im Interview spricht er darüber, wie diese Erzählung in die Gesellschaft einsickert. Der Pädagoge und Historiker ist dem Narrativ gerade auch dort begegnet, wo er es nicht erwartet hätte – an der Frankfurter University of Appplied Sciences in Frankfurt, wo er als Professor lehrt.
Ungeimpfte vergleichen sich mit Juden, eine demokratisch gewählte Regierung wird mit Faschismus und Diktatur gleichgesetzt – wie neu ist das?
Es ist kein Phänomen, das wir erst jetzt erleben. Das Argumentationsmuster trat schon vor der Corona-Pandemie beispielsweise bei AfD-Politikern zutage. Damit präsentieren sie sich als Opfer und verharmlosen gleichzeitig die Verfolgung der Juden in der Nazizeit. Erika Steinbach sprach davon, dass Kinder von AfD-Politikern die "neuen Judenkinder" seien, nachdem eine Waldorfschule die Aufnahme des Kindes eines Berliner AfD-Abgeordneten abgelehnt hatte. Es ist also keine Überraschung, wenn "Querdenker" diese Argumentation aufgreifen.
Aber in der Corona-Pandemie haben solche Vergleiche zugenommen.
Das Phänomen habe ich erstmals beobachtet, als nach dem ersten Lockdown bei einer Demonstration in Darmstadt das Bild von Anne Frank mit dem Ausspruch "Anne Frank wäre bei uns" gezeigt wurde.
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In den Medien wurde das Thema aufgegriffen, als sich "Jana aus Kassel" mit Sophie Scholl verglich. Wir erleben dies inzwischen immer häufiger in privaten und öffentlichen Räumen, was die Gefahr der Normalisierung des Vergleichs birgt. Ich hatte auch selbst gerade ein entsprechendes Erlebnis.
Wie das?
In ein Seminar mit 30 von mir geschätzten Teilnehmern kam ein Student sichtlich aufgebracht. Ihn störte die Uni-Regel mit zwei Bändchen, einem für 3G und einem weiteren länger gültigen für Studierende, die freiwillig mehr Angaben machen. Das Bändchen sei "wie der Judenstern in der Nazizeit". Es ist etwas anderes, ob das jemand denkt oder das selbstsicher vor einer Gruppe ausspricht. Das hatte ich noch nicht erlebt.
Und es herrschte Empörung darüber?
Ich hatte den Eindruck, dass einige durchaus Verständnis für seine Position hatten. Ich war überrascht, dass die Position auch bei uns in der Hochschule in Frankfurt offen vorgetragen wird. Offensichtlich hat eine Diskursverschiebung stattgefunden.
Und wie sind Sie damit umgegangen?
Den eigentlichen Stoff haben wir nicht behandelt, weil sich eine fast zweistündige Diskussion entwickelt hat, in der es dann auch grundsätzlicher um die Frage ging, wie Freiheit Regeln voraussetzt. Die Diskussion war sachlich und brachte den Studenten dazu, den Vergleich zurückzunehmen und seine Position zu revidieren. Begonnen hatte es sehr hitzig.
Sie haben ihn gefragt, wie er darauf kommt?
Er sagte, Menschen würden heute wie damals abgestempelt, diskriminiert und ausgegrenzt. Auf meine Nachfrage, ob er den Unterschied zwischen Juden damals und Ungeimpften heute nicht sieht, wurde klar, wie wenig er über die NS-Zeit wusste. Er dachte, die Juden hätten der Verfolgung entkommen können, wenn sie sich für einen Übertritt zum Christentum entschieden hätten. Das ist historisch natürlich völlig falsch.
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In Berlin ist ein Mann nach einem Facebook-Posting mit einem Davidstern und "Nicht geimpft" wegen Volksverhetzung verurteilt worden. Impfgegner-Gruppen bedienen sich aber auch Angehörigen von Holocaust-Opfern und Rabbinern, die solche Vergleiche vorgebracht haben. Was antworten Sie da?
Juden sind nicht anders als jede andere Bevölkerungsgruppe. Es gibt auch jüdische Corona-Leugner und Impfgegner. In Israel sind Impfgegner übrigens eine verschwindende Minderheit.
Es lässt sich aber auch ohne Vergleiche zur NS-Zeit die Frage stellen, ob der Staat zu weit geht.
Das war die zweite Ebene der Diskussion, der Freiheitsbegriff und die Frage, warum Freiheit nur durch Einhalten von Regeln garantiert werden kann. Wer keinen Führerschein hat, darf auch kein Auto fahren und wird so in seiner Freiheit eingeschränkt. Freiheit setzt Regeln voraus, und in sehr vielen Bereichen müssen Menschen aufgrund von Entscheidungen Konsequenzen tragen. Ein Bändchen ist da, um die Freiheit der Menschen im Campus zu sichern, nicht um sie einzuschränken.
Ein Impfzwang ist ausgeschlossen, aber bei einer Impfpflicht wären die Konsequenzen eine weitergehende Einschränkung, Bußgelder oder der Verlust des Arbeitsplatzes.
Es gehört zum gesellschaftlichen Miteinander, dass Menschen die Konsequenzen ihrer Entscheidung tragen. Wenn man sich dagegen entscheidet, sich impfen zu lassen, entscheidet man zugleich, andere Menschen in Gefahr zu bringen. Es ist die Verantwortung des Staates, Sorge zu tragen, diese Gefahr mit demokratischen Mitteln zu minimieren. Man soll sich an die Grundsätze der Vernunft und Aufklärung halten. Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Radikalisierung von Impfgegnern auf der Straße und in sozialen Medien außerordentlich besorgniserregend.
Ist das für Sie ein Argument gegen eine Impfpflicht?
Ob wir eine Impfpflicht brauchen, weiß ich nicht. Aber ich fände es problematisch, wenn Politik aus Angst vor Radikalisierung notwendigen Entscheidungen ausweicht.
Herr Mendel, vielen Dank für das Gespräch.
- Telefonat mit Meron Mendel