Erstes Interview nach Rauswurf Ex-"Bild"-Chef Reichelt sieht sich zu Unrecht abgesetzt
Nach dem Skandal um den ehemaligen "Bild"-Chef Reichelt hat sich dieser erstmals in einem Interview geäußert. Der Journalist behauptet, er habe keine Regeln gebrochen – und zeigt sich enttäuscht über Springer-Chef Mathias Döpfner.
Fast zwei Monate nach seinem Aus als "Bild"-Chefredakteur hat sich Julian Reichelt erstmals in einem Zeitungsinterview zu Wort gemeldet. Im Gespräch mit der "Zeit" äußerte der 41-Jährige an mehreren Stellen seine Enttäuschung über den Chef des Axel-Springer-Konzerns Mathias Döpfner. Reichelt sprach auch über seine beruflichen Pläne.
Der Ex-Chefredakteur, der über mehrere Jahre an der Spitze von Deutschlands größtem Boulevardblatt stand, verwies im Kontext einer Beziehung darauf, dass er dem Konzern gegenüber nicht gelogen habe. Über Döpfner sagte er: "Deswegen hat es mich sehr überrascht, wie überrascht er gewesen sein will. Man hat mich unterm Strich wegen meiner Beziehung rausgeworfen." Ein Springer-Sprecher teilte auf dpa-Anfrage mit: "Wir haben unserer bisherigen Darstellung nichts hinzuzufügen."
Beziehungen zu Mitarbeiterinnen und Drogen am Arbeitsplatz
Mitte Oktober hatte Springer Reichelt von seinen Aufgaben entbunden. Der Konzern hatte das Ende der Zusammenarbeit so begründet: "Als Folge von Presserecherchen hatte das Unternehmen in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen. Diesen Informationen ist das Unternehmen nachgegangen. Dabei hat der Vorstand erfahren, dass Julian Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat."
Im Frühjahr hatte das Medienhaus das interne Verfahren gegen Reichelt angestoßen. Nach Springer-Angaben standen im Kern der Untersuchung die Vorwürfe des Machtmissbrauchs im Zusammenhang mit einvernehmlichen Beziehungen zu Mitarbeiterinnen sowie Drogenkonsum am Arbeitsplatz. Der Konzern kam zum Schluss, dass Reichelt eine zweite Chance bekommen sollte. Die US-Zeitung "New York Times" hatte dann im Oktober einen Bericht über Reichelt und den Konzern veröffentlicht, zudem hatte ein Investigativ-Team bei der Ippen Mediengruppe monatelang recherchiert. Die Ergebnisse flossen zum Teil in einen "Spiegel"-Bericht ein.
"Vernichtungsfeldzug gegen einen Journalisten"
Reichelt erklärte, Axel Springer habe bei der ersten Untersuchung keinen Beleg für Machtmissbrauch finden können. In dem "Zeit"-Interview bestritt er die Vorwürfe gegen ihn vehement: "Es hat in meinem Leben nie etwas gegeben, was mit den genannten Fällen auch nur im Ansatz zu tun hatte. Schon das Wort 'MeToo' ist in diesem Zusammenhang eine Verleumdung. Es gab in dem ganzen Verfahren keinen Menschen, der sich selbst als 'Opfer' bezeichnet hat, auch wenn das in den Medien so dargestellt wurde", so Reichelt.
"Mathias Döpfner sagte damals, es habe keine Regel gegeben, gegen die ich irgendwie verstoßen hätte", sagte Reichelt weiter. Dann habe Döpfner vor Hunderten Mitarbeitern gesagt, dass diese Regeln nun geschaffen werden müssten. "Er hat keine Regel geschaffen, aber dann so gehandelt, wie er gehandelt hat", sagte Reichelt.
Die Berichterstattung über ihn sei keine "journalistische Arbeit, sondern ein Vernichtungsfeldzug gegen einen Journalisten", so der Ex-Bild-Chef. Insbesondere der Spiegel habe "komplette Sachverhalte" erfunden. Sein Rauswurf sei "Appeasement gegenüber Gruppen, die seit Jahren ganz intensiv meinen Kopf wollten", sagte er. Die Angriffe gegen "Bild", den Springer-Verlag und dessen Chef Döpfner würden aber jetzt nicht aufhören, sondern sich verschärfen. "Es ist jetzt Blut im Wasser", so Reichelt.
Reichelt will weitermachen
Auf die Frage der "Zeit", ob er seinen "Rauswurf" habe kommen sehen, sagte Reichelt: "Nein, ich war im Urlaub, stand am Autozug nach Sylt, als der Anruf von Mathias auf dem Handy kam. Nach zwanzig Jahren loyaler Arbeit, zehn davon in Kriegsgebieten, wurde ich in zwanzig Minuten am Telefon entsorgt."
Reichelt sagte über seine berufliche Zukunft, er wolle "auf jeden Fall weitermachen". Er ergänzte: "Wenn es keinen passenden gibt, hat man in einem freien Land ja die Möglichkeit, sich diesen Job selber zu schaffen." PR wolle er nicht machen, "sondern Journalismus für die Massen. Ich liebe es, Millionen Menschen eine starke Stimme zu geben".
Er sprach auch darüber, dass er danach gefragt werde, ob er ohne "Bild" leben könne, die Zeitung sei doch sein Leben gewesen. Reichelt sagte: "Das ist falsch. Nicht Julian Reichelt ist Bild, sondern: Bild war Julian Reichelt. Was diese Marke dargestellt hat, basierte auf meiner Arbeit, meinen Gedanken."
- Zeit: "Herr Reichelt, können Sie ohne 'Bild' leben? 'Bild' war Julian Reichelt" (kostenpflichtig)
- Nachrichtenagentur dpa