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Flutopfer bei "Markus Lanz": "Wir sind nicht gewarnt worden"


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Flutopfer bei "Markus Lanz"
"Wir sind nicht gewarnt worden"

Eine TV-Kritik von Nina Jerzy

Aktualisiert am 21.07.2021Lesedauer: 5 Min.
Die durch die Flutwelle stark zerstörte Altstadt von Bad Münstereifel (Symbolbild): Markus Lanz sendete eine Sonderausgabe zur Katastrophe.Vergrößern des Bildes
Die durch die Flutwelle stark zerstörte Altstadt von Bad Münstereifel (Symbolbild): Markus Lanz sendete eine Sonderausgabe zur Katastrophe. (Quelle: imago images)

"Es waren keine Sirenen, keine Warnungen, es war nichts": Ein Flutopfer erhebt bei Lanz schwere Vorwürfe. Antworten gibt es in der sonderbaren Sondersendung zur Katastrophe aber leider nicht.

Die Gäste

  • Tina Rass, Flutopfer aus Rösrath
  • Wolfram Leibe (SPD), Oberbürgermeister von Trier
  • Andreas Geron, Bürgermeister von Sinzig (parteilos)
  • Matthias Berger, Bürgermeister von Grimma (parteilos)
  • Beate Ratter, Geografin, Universität Hamburg
  • Lamia Messari-Becker, Bauingenieurin, Universität Siegen
  • Sven Plöger, Diplom-Meteorologe
  • Dirk Steffens, ZDF-Wissenschaftsjournalist
  • Axel Bojanowski, Wissenschaftsjournalist der "Welt"

In den allerletzten Minuten wurde noch mal klar: Markus Lanz hat in seiner Sondersendung zur Flutkatastrophe die richtigen Fragen gestellt und trotzdem am Thema vorbeigeredet. Über 90 Minuten ließ der Moderator acht Gäste darüber diskutieren, ob Menschen ausreichend gewarnt wurden, was beim Katastrophenschutz verbessert werden könnte und wo Unwetter aufhört und Klimawandel beginnt. Die Sendezeit war eigentlich schon vorüber, da schaltete Lanz endlich für magere drei Minuten zu Flutopfer Tina Rass. "Wir konnten nichts mehr retten, wir konnten nur noch uns retten", berichtete die Betroffene. Sie erhob schwere Vorwürfe. "Wir sind nicht gewarnt worden. Gar nicht. Es war nichts auf der NINA-App. Dementsprechend kam es dann auch so heftig, dass wir auch nichts mehr retten konnten. Es waren keine Sirenen, keine Warnungen, es war nichts."

Durch diese Schalte auf den letzten Drücker wurde Rass zur Randnotiz der Sendung degradiert. Dabei stellten ihre Vorwürfe alles zuvor Gesagte noch einmal infrage. Die knapp 20 Minuten längere Sondersendung wäre der perfekte Rahmen gewesen, in dem Lanz, ausgehend von ihrer Kritik und gewohnt unerbittlich, bei Verantwortlichen – eher auf Bundes-, als auf Lokalebene – hätte nachfragen können: Warum hat das nicht geklappt, hätte es klappen müssen, was lernen wir daraus, sofort, für die Zukunft? Laut einer Einblendung sind in der Nachbarschaft von Rass drei Menschen gestorben. Insgesamt sind über 160 Tote zu beklagen. Nach der verheerenden Flutkatastrophe braucht das Land Antworten. Ausgerechnet bei der Sondersendung zu dem Unwetter aber hatte Lanz niemanden eingeladen, der da wirklich liefern konnte.

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Lanz zur Unwetterkatastrophe

Die Spitzenpolitiker, die sich sonst im Studio in Hamburg-Altona die Klinke in die Hand drücken, glänzten durch Abwesenheit. Nicht geladen worden waren auch Verantwortliche beim Katastrophenschutz oder vom Deutschen Wetterdienst, die direkt Einblick in den Stand der hiesigen Katastrophen-Infrastruktur hätten geben können. Stattdessen hatte Lanz neben drei Oberbürgermeistern betroffener Städte ausschließlich Beobachter in Form von Wissenschaftlern und Journalisten ins Studio geholt. Mehr noch: Nach einer Stunde wurden die Gäste bis auf "Welt"-Wissenschaftsjournalist Axel Bojanowski ausgetauscht – und zwar jeder Gast durch ein seltsam ähnliches Pendant. Bürgermeister gegen Bürgermeister, Professorin gegen Professorin, ZDF-Kollege gegen ZDF-Kollege. Die Sondersendung war also eher zwei Folgen in einer.

Den stärksten Eindruck hinterließen neben Flutopfer Rass die anderen Betroffenen. "Das Wasser kam wirklich von allen Seiten", schilderte Wolfram Leibe, Oberbürgermeister von Trier (SPD). "Diese unmittelbare Gewalt war unglaublich erschreckend. Man war ausgeliefert." Seine Stadt sei dank der Warnungen und der erfahrenen Berufsfeuerwehr ohne Verletzte und Tote durch die Flut gekommen. Dass die Warnungen etwa des Deutschen Wetterdiensts vor Starkregen nicht mit der gebotenen Dramatik bei den Menschen angekommen sind, erklärte Leibe wie alle Gäste mit der bis dato fehlenden Vorstellungskraft, was eine Naturkatastrophe hierzulande überhaupt anrichten kann. "Wir in Deutschland leben in einer ganz, ganz großen Sicherheitsblase: Uns kann nichts passieren. Und diese Sicherheitsblase ist bei uns kaputtgegangen."

Davor war auch ein Experte wie Meteorologe Sven Plöger nicht gefeit. "Das war nicht die härteste Warnung", räumte er mit Blick auf seinen Wetterbericht in den "Tagesthemen" am 12. Juli ein, in dem er vor gefährlich steigenden Flusspegeln gewarnt hatte. Er hatte aber auch nicht mit einer so dramatischen Entwicklung gerechnet und bislang bei der Frage, ob er wirklich vor Toten warnen sollte, entschieden: "Da hält man sich sehr zurück."

"Das hätte man besser machen müssen", kritisierte "Welt"-Journalist Bojanowski insbesondere die Wetterberichte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. "Unwetterartig" sei in den Nachrichten das härteste Wort gewesen: "Da denken Leute nicht 'Oh, ich muss mein Haus verlassen'." Politiker, die die verheerenden Folgen der Unwetterkatastrophe jetzt dem Klimawandel zuschreiben, machen es sich seiner Ansicht nach aber viel zu leicht. Natürlich gebe es einen gefährlichen Klimawandel und steigende Temperaturen. Aber: "Diese Regenmengen sind zu erwarten. Die gehören zum deutschen Klima dazu. Das ist keine neue Dimension", sagte der studierte Geologe, der seine Diplomarbeit über Klimaforschung geschrieben hat. Deshalb "darf man nicht den Fehler machen, dass man es den Politikern durchgehen lässt, die den Leuten vormachen: 'Da konnten wir nichts machen'. Auf solche Ereignisse konnte man sich vorbereiten."

"Das war ein 10.000-jähriges Hochwasser"

Andreas Geron, Bürgermeister von Sinzig, widersprach hier ausdrücklich. Er und die freiwillige Feuerwehr vor Ort hätten sich aufgrund der Warnungen vorbereitet und zum Beispiel Sandsäcke aufgeschichtet. Die seien dann aber von den Fluten einfach mitgerissen worden. "Wir haben maximal mit einem 200-jährigen Hochwasser gerechnet", schilderte der Bürgermeister. Gekommen sei aber ein "10.000-jähriges Hochwasser". Das "hat unsere Vorstellungskraft gesprengt. Das konnte sich bei uns niemand vorstellen", sagte der parteilose Politiker.

Geografin Beate Ratter nahm die betroffenen Lokalpolitiker in Schutz. "Das ist ein klassischer schwarzer Schwan – ein Ereignis, das man sich nicht vorstellen kann, das aber doch möglich ist", urteilte die Professorin. Niemand habe sich vorher vorstellen können, dass sich ein winziges Bächlein binnen kurzer Zeit in einen reißenden Strom verwandelt, der ganze Häuser wegschwemmt. Über solche Extremereignisse sei seit Jahren beim Klimawandel nur aus fernen Regionen wie Bangladesch berichtet worden: "Jetzt ist es bei uns passiert."

Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen, mahnte, nach der Katastrophe längst überfällige Investitionen anzugehen. "Unsere Infrastruktur muss verbessert werden", sagte sie mit Blick auf marode Brücken oder überlastete Kanalisation, aber auch fehlende Überflutungsflächen an Flüssen. "Das ist eine Aufgabe für die Nation", appellierte Messari-Becker angesichts der immensen Kosten.

Friedrich Merz (CDU) hat gefordert, in bestimmten Hochwassergebieten künftig nicht mehr zu bauen. Ähnlich äußerte sich Matthias Berger, Bürgermeister der zweimal von Hochwasser heimgesuchten Stadt Grimma in Sachsen. "Überlegt, ob ihr alles wieder an der Stelle wiederaufbaut, wie es war", riet er Flutopfer Tina Rass. "Man muss jetzt auch die Chance nutzen, Dinge anders zu machen", appellierte Berger auch an die Politiker vor Ort. "Es muss nicht alles so sein, wie es vorher war. Das wäre falsch." Lanz ließ das so kommentarlos stehen und leitete abrupt zur letzten Frage des Abends an Messari-Becker über. Rass blieb nur ein stummes, stoisches Nicken. Man hätte gern gehört, was sie zu diesem gut gemeinten Ratschlag zu sagen gehabt hätte.

Verwendete Quellen
  • "Markus Lanz" vom 20. Juli 2021
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