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Pflege — SPD-Expertin: Politiker wissen oft nicht, wie es in der Praxis ist


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SPD-Expertin will Pflege reformieren
"Es ist viel zu wenig passiert"


21.10.2020Lesedauer: 4 Min.
Claudia Moll: Die SPD-Bundestagsabgeordnete hat lange in der Altenpflege gearbeitet – und will nun die Pflege reformieren.Vergrößern des Bildes
Claudia Moll: Die SPD-Bundestagsabgeordnete hat lange in der Altenpflege gearbeitet – und will nun die Pflege reformieren. (Quelle: Nikolai Kues/SPD)

Die Pflege muss reformiert werden – da sind sich alle einig. Nur wie? Claudia Moll hat da ein paar Ideen. Und die sind ihr nicht am Schreibtisch gekommen – sondern in ihrem früheren Job.

Es ist fast zwanzig Jahre her, da ist Claudia Moll das erste Mal gegen den Pflegenotstand auf die Straße gegangen: Viel zu viel Arbeit für viel zu wenig Personal, und das auch noch mies bezahlt. Seitdem sind die Jahre vergangen, die Politik hat sich an Reformen und Reförmchen versucht. Doch Moll sagt: "Es ist viel zu wenig passiert."

Sie weiß, wovon sie redet. Moll hat viele Jahre in der Altenpflege gearbeitet. Seit 2017 sitzt sie für die SPD im Parlament. "Ich habe für den Bundestag kandidiert, um diesen schönen Beruf zu retten", sagt sie. "Wer kann die Probleme besser beurteilen als eine Pflegefachkraft?"

Damit endlich mehr und endlich das richtige passiert, macht Claudia Moll jetzt selbst Vorschläge für Reformen. "Gute Pflege – Machen!" heißt das Papier, das sie geschrieben hat und das t-online vorliegt. Neben kleinen, konkreten Reformschritten, die aus ihrer Sicht recht schnell umzusetzen sind, formuliert es auch ein großes Ziel: die Pflegeversicherung zu einer echten Vollversicherung machen. Denn klar ist: bessere Pflege wird auch teurer.

Mehr Geld und vor allem mehr Personal

Moll nimmt in ihrem Papier sowohl die Situation der Pflegekräfte als auch der Angehörigen und Pflegebedürftigen in den Blick. Um den Beruf attraktiver zu machen, setzt sich die SPD-Politikerin wie andere dafür ein, Pflegekräfte besser zu bezahlen. Sie fordert einen allgemeinverbindlichen Branchentarifvertrag, und bis der ausgehandelt ist zumindest einen Pflegemindestlohn in Anlehnung an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes.

Doch Moll sagt auch: "Eine höhere Bezahlung ist wichtig – aber sie reicht nicht aus." Es braucht aus ihrer Sicht vor allem: mehr Personal. Um junge Menschen an den Beruf heranzuführen, schlägt sie etwa einen Pflege-Freiwilligendienst vor, so wie es ein Freiwilliges Soziales Jahr gibt. Das zuletzt beschlossene Sofortprogram Pflege, durch das 13.000 Pflegekräfte eingestellt werden sollen, ist aus ihrer Sicht zu bürokratisch. Sie fordert, dass auch Pflegehilfskräfte durch das Programm sofort bezuschusst werden können – und nicht erst nach vier Monaten vergeblicher Suche nach einer höher qualifizierten Pflegefachkraft. Denn davon gibt es derzeit schlicht nicht genug.

Mehr Betreuungskräfte, anderer Personalschlüssel

Um die Pflegefachkräfte zu entlasten, will Moll, dass es mehr Betreuungskräfte gibt und die mehr Kompetenzen bekommen. Also statt nur für Freizeitbeschäftigungen da zu sein, auch mal Essen zubereiten oder mit zur Toilette gehen dürfen. Statt eine Betreuungskraft für 20 Bewohner stellt sich Moll eine Kraft für zehn Bewohner vor.

Generell ist Molls Ziel, nachhaltig und langfristig mehr Personal in der Pflege zu bekommen. Dafür will sie den Personalschlüssel verändern, also die Vorgabe, wie viele Beschäftigte wie viele Menschen in einem Heim pflegen müssen. Der Schlüssel bemesse sich derzeit an den Pflegegraden der Bewohner – und nicht am tatsächlichen Aufwand der Pflege. Das will Moll ändern. Und auch in der ambulanten Pflege fordert sie Entlastung für die Pflegekräfte. Die Kassen sollen den Pflegediensten mehr zahlen, damit sie mehr Personal einstellen können.

Denn nur höhere Löhne reichen aus Molls Sicht eben nicht aus. "Wenn mich der Job kaputt macht, nutzt mir Geld auch nichts", sagt sie. "Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Sonst kann ich so viel Geld verdienen, wie ich will."

Weniger Hürden in der Kurzzeitpflege

Die Rahmenbedingungen will Claudia Moll auch für Angehörige und Pflegebedürftige verbessern. Um Hürden abzubauen, fordert sie, mehr Pflegeberatung anzubieten, Antragsformulare zu vereinfachen und vermehrt digitale Wege zu schaffen. Für die Suche nach Kurzzeitpflegeplätzen schwebt der SPD-Politikerin etwa ein Online-Buchungsportal vor.

Zudem schlägt Moll vor, für die vielen pflegenden Angehörigen den Weg zu einer Verhinderungs-, Tages-, Nacht- oder Kurzzeitpflege zu vereinfachen. Um ihnen Verschnaufpausen zu verschaffen. Statt für jede spezielle Pflegeart einen eigenen Antrag und eigenes Geld vorzuhalten, fordert Moll ein Entlastungsbudget für Angehörige, das flexibel ausgegeben werden kann. Damit es dann auch genug Plätze für Kurzzeitpflege gibt, sollen die Kassen den Einrichtungen mehr zahlen, damit es sich für sie lohnt, Plätze anzubieten.

"Die Menschen sind bereit, mehr für Pflege zu zahlen"

All das kostet Geld, dem ist sich auch Claudia Moll bewusst. Nur sagt sie: "Die Menschen sind bereit, mehr für Pflege zu zahlen, wenn die Qualität stimmt." Wie viel ihre Vorschläge kosten würden, hat sie nicht genau durchgerechnet, das ist nicht ihre Baustelle. Nicht alles kostet Unsummen, manches aber wohl schon.

Und das geht aus ihrer Sicht dann eben doch mittelfristig nur durch eine größere Reform. "Die Pflegeversicherung muss eine Vollversicherung werden, so wie die Krankenversicherung", fordert sie. Nur wenn man Geld in die Hand nähme, würden Angehörige wirklich entlastet und Pfleger könnten den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen gerecht werden.

Dafür müssten die Pflegebeiträge zunächst steigen, heißt es in Molls Papier. "Minimale Erhöhungen zum Beispiel um einen Wert unter einem Prozentpunkt des Bruttolohns bedeuten jährliche Mehreinnahmen von mehreren Milliarden Euro", schreibt sie dort.

Doch die Beitragslast dürfe auch nicht unendlich steigen. "Es müssen sich alle gute Pflege leisten können", sagt Moll. Deshalb will sie die Beiträge deckeln – und alles weitere mit Steuerzuschüssen finanzieren.

Politik und Praxis

Nicht nur bei der Finanzierung dürfte Moll noch einige Überzeugungsarbeit zu leisten haben. "Politiker wissen oft nicht, wie es in der Praxis wirklich läuft", sagt sie. Für ihren Reformplan will sie nun erst einmal in der NRW-Landesgruppe der SPD und der Fraktion werben. Dann müsste die Union als Koalitionspartner überzeugt werden.

Einfach wird das alles nicht, im Gegenteil. Doch Claudia Moll ist Widerstand gewohnt. In ihren drei Jahren im Bundestag hat sie eines gelernt: "Ich muss keine Bretter bohren, sondern ganze Bäume."

Verwendete Quellen
  • Exklusives Papier von Claudia Moll: Gute Pflege – Machen!
  • Telefonat mit Claudia Moll
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