"Wir sind hier nicht in der Türkei" Anzeige gegen Journalistin? Scharfe Kritik an Seehofer
Bundesinnenminister Horst Seehofer muss sich heftige Kritik anhören, weil er eine Journalistin wegen eines missliebigen Textes anzeigen will. Er überschreite eine Grenze, heißt es dazu aus der Opposition.
Bundesinnenminister Horst Seehofer erntet heftige Kritik, nachdem er wegen einer umstrittenen Zeitungskolumne über die Polizei eine Strafanzeige angekündigt hat.
Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, schrieb auf Twitter: "Das ist ein Angriff auf die Pressefreiheit, unabhängig, ob man den Meinungsbeitrag gut oder schlecht findet." Mit Blick auf den ungarischen Ministerpräsidenten und den Chef der polnischen Regierungspartei, denen jeweils Illiberalismus vorgeworfen wird, fügte er hinzu: "Ein Innenminister, der eine Journalistin anzeigt, klingt nach Orban oder Kaczynski."
"Seehofer überschreitet eine Grenze"
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz äußerte Verständnis für Kritik an der Kolumne der Zeitung "taz". Aber Seehofer "überschreitet eine Grenze", schrieb Notz in dem Kurznachrichtendienst. Seine Fraktionskollegin Renate Künast nannte Seehofers Vorgehen dort "ungeheuerlich" und fragte: "Das soll eine Botschaft sein!? Gegen Pressefreiheit!? Seehofer am Ende."
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In dem "taz"-Text ging es darum, wo Polizisten arbeiten könnten, wenn die Polizei abgeschafft würde, der Kapitalismus aber nicht. Darin wurde auch die Option der Mülldeponie aufgegriffen. Aus der Berufsgruppe und von Politikern kam danach viel Kritik. "taz"-Chefredakteurin Barbara Junge äußerte wegen der Kolumne ihr Bedauern.
Der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz befand Seehofers Ankündigung für falsch. "Natürlich führen Hassreden zu Gewalt. Aber es geht nicht um Zensur, sondern um (Selbst-)Verantwortung der Redenden und Schreibenden", twitterte er.
Jan Böhmermann: "Gefährliche Effekthascherei"
Der Fernsehsatiriker Jan Böhmermann schrieb: "Wir sind hier nicht in der Türkei, in Russland oder im Jahr 1962! Mit dieser gefährlichen Effekthascherei beschädigt Horst Seehofer nicht nur das Vertrauen in den Staat. Welche Autorität hat ein Minister noch, der so eine Axt aus seinem Amt heraus an die Debatte setzen muss?"
Der Chefredakteur der "Welt"-Gruppe, Ulf Poschardt, sieht das eigentliche Problem aber nicht bei Seehofer: "Wie gerne hätte der Elfenbeinturm jetzt, dass sich alle über Seehofer empören anstatt über das 'taz'-Elend oder die rechtsfreien Räume in Stuttgart. Mal sehen, ob’s klappt", twitterte er.
Der CSU-Politiker Seehofer hatte in der "Bild"-Zeitung am Sonntagabend angekündigt: "Ich werde morgen als Bundesinnenminister Strafanzeige gegen die Kolumnistin wegen des unsäglichen Artikels in der 'taz' über die Polizei stellen." Er erklärte mit Bezug auf die Angriffe von Randalierern gegen die Polizei in Stuttgart: "Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso wie wir es jetzt in Stuttgart gesehen haben. Das dürfen wir nicht weiter hinnehmen."
Am Montag relativierte ein Ministeriumssprecher Seehofers Ankündigung: Über eine Anzeige sei noch nicht endgültig entschieden. Aber: "Die Presse- und Meinungsfreiheit, sie werden nicht schrankenlos gewährleistet." Sie fänden zum Beispiel ihre Grenzen in den Strafgesetzen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei zu dem Thema mit Seehofer im Gespräch.
- Nachrichtenagentur dpa