Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Drohungen im Netz "Wir sind nicht machtlos gegen diese Form der Gewalt"
Für viele Menschen ist das Netz kein geschützter Raum mehr. Beleidigungen und Drohungen vergiften den Austausch – insbesondere in sozialen Netzwerken.
Wer einen anderen Menschen beleidigt oder gar bedroht macht sich nach deutschem Recht strafbar. Doch im Internet sind Beschimpfungen und Gewaltandrohungen an der Tagesordnung – und Anzeigen laufen allzu oft ins Leere. Dabei stören solche Übergriffe eine freiheitliche Debatte. Die Grünen-Politikerin Laura Dornheim fordert daher in einem Gastbeitrag für t-online.de verbindliche politische Maßnahmen.
Ich bin politisch aktiv, weil ich es als meinen Beitrag zu einer lebendigen Demokratie sehe. Ich bin keine Berufspolitikerin, ich engagiere mich ehrenamtlich, nach Feierabend sowie ab und an am Wochenende.
Das reicht allerdings für manche Menschen, um mich auf sozialen Medien mit übelsten Beschimpfungen zu überschütten, mir Gewalt anzudrohen, um mir über Online-Shops anonym Pakete an meine Privatadresse zu schicken.
Leider weiß ich, dass das nicht nur für Bundestagsabgeordnete traurige Realität ist, sondern auch für sehr viele andere Menschen, die sich im Internet an politischen Diskussionen beteiligen. Es trifft vor allem die, die Rechte von Frauen, Geflüchteten oder anderen Minderheiten schützen wollen. Und es trifft die, die schlicht selbst Teil einer Minderheit sind, als Muslima, als nicht-weißer Deutscher, als Rollstuhlfahrer. Minderheitenschutz ist eine der fundamentalen Errungenschaft funktionierender Demokratien, in unserem Grundgesetz steht es an dritter Stelle als unveräußerliches Grundrecht aller Menschen.
Wenn die Demokratie im Netz nicht mehr funktioniert
Wenn Angehörige von Minderheiten oder die, die sich an ihre Seite stellen, im Netz systematisch beschimpft, bedroht und damit letztendlich zum Schweigen gebracht werden, dann funktioniert dort unsere Demokratie nicht mehr. Das ist fatal, denn das Internet ist längst zu einem der wichtigsten Räume für gesellschaftliche Debatten und politische Teilhabe geworden. Wenn selbst Behörden den von "Hate Speech" Betroffenen raten, einfach eine Weile offline zu gehen, tragen sie dazu bei, dass im Netz das Recht des Stärkeren beziehungsweise Lauteren, mehr Wert hat als eine Debatte, in der unterschiedliche Perspektiven zu Wort kommen können.
Der Mord an Walter Lübcke und die Morddrohungen an Spitzenpolitiker*innen wie Cem Özdemir und Claudia Roth, denen allesamt digitale Bedrohungen vorausgingen, lassen keinen Zweifel daran, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht. Und es ist eben nicht nur eine Bedrohung "für die da oben". Digitale Gewalt zersetzt unsere Demokratie gleichzeitig von ganz unten.
Bündnis gegen Gewalt im Netz
Welche Auswirkungen hat es auf eine Jugendliche, die sich für ein politisches Anliegen engagieren will, wenn sie sieht, wie eine Lokalpolitikerin in sozialen Medien mit Hass und Häme überschüttet wird? Wenn noch nicht einmal das Nürnberger Christkind vor rassistischer Hetze im Netz sicher ist, wie können wir erwarten, dass Menschen mit Migrationshintergrund sich aktiv in politische Diskussionen einbringen?
Wir sind nicht machtlos gegen diese Form der Gewalt.
Ein Bündnis aus Aktivistinnen und Expertinnen, zu denen auch ich gehöre, hat unter dem Motto #NetzohneGewalt vier zentrale Forderungen aufgestellt: Eine öffentliche Informationskampagne, den Ausbau von Beratungsstellen, Studien zur Erfassung von digitaler Gewalt und vor allem eine bessere Strafverfolgung.
Der erste notwendige Schritt
Ein öffentliches Problembewusstsein ist der erste notwendige Schritt, sowohl um das Ausmaß digitaler Gewalt sichtbar zu machen, als auch um Betroffene zu unterstützen und die existierenden Beratungs- und Unterstützungsangebote bekannter zu machen.
Um das Ausmaß von Hass und Gewalt im digitalen Raum wirksam einzudämmen, sind eine effektive Strafverfolgung und abschreckende Verurteilungen essentiell. Derzeit können Social-Media-Nutzer mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass ihnen nichts passiert, wenn sie andere öffentlich sichtbar beleidigen und bedrohen. Die wenigsten solcher Kommentare werden überhaupt angezeigt, geschweige denn verfolgt, selbst wenn sie strafrechtlich relevant sind.
Das muss sich dringend ändern. Dazu brauchen wir Schwerpunkstaatsanwaltschaften zu digitaler Gewalt und Hate Speech, denn aktuell werden viele Fälle nicht verfolgt, weil Ressourcen fehlen oder den Verantwortlichen die Tragweite digitaler Gewalt nicht bewusst ist. Wir brauchen fachlich und technisch gut ausgestattete Strafverfolgungsbehörden, die es Betroffenen möglichst einfach machen, Bedrohungen anzuzeigen und verfolgen zu lassen.
Laura Dornheim ist Dipl. Wirtschaftsinformatikerin und Dr. der Gender Studies. Ehemals Mitglied der Piratenpartei setzt sie sich für die Grünen im Bereich Netzpolitik ein.
Dazu müssen natürlich auch Polizei und existierende Informations- und Beratungsstellen besser vernetzt werden. Und diese Stellen müssen besser gefördert und weitere aufgebaut werden, um flächendeckend allen Angegriffenen die notwendige Unterstützung bieten zu können. Solche Stellen dürfen nicht von privaten Spenden abhängig sein sondern müssen langfristig finanziert werden.
Um die Erfahrungswerte dieser Einrichtungen zu untermauern, und um bessere Aufklärungs- und Schutzmaßnahmen zu entwickeln, sind belastbare Daten notwendig. Behörden sollen deshalb digitale Gewalt und welche Personengruppen von ihr betroffen sind explizit erfassen.
Jeder und jede einzelne kann etwas tun
Diese Forderungen wurden von einem überparteilichen Bündnis erstellt und sollen nun über mehrere progressive Parteien in die Politik getragen werden. Auftakt hierfür ist der Bundesparteitag der Grünen am kommenden Wochenende, Renate Künast und ich haben die Forderungen als Antrag eingebracht.
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Es ist dringend und notwendig, dass sich die Politik diesem Thema annimmt, aber auch jeder und jede einzelne von uns kann etwas gegen Hass und Gewalt im Internet tun. Nehmen Sie es nicht mehr schweigend hin, wenn Sie das nächste Mal einen Hasskommentar sehen. Wenn Sie vermuten, dass der Inhalt strafrechtlich relevant sein könnte (Beleidigung, üble Nachrede, Gewaltandrohung), können Sie selbst Anzeige erstatten. Das geht bundesweit in den Online-Wachen der Polizei. Die Beratungstelle Hate Aid leistet Akuthilfe für Betroffene, und hat auf ihrer Website hilfreiche Informationen zu Anzeige und Strafverfolgung von digitaler Gewalt.
Aber auch schon ein schlichtes “Nicht in diesem Ton!” unter einer verbalen Entgleisung ist ein guter Anfang!
Die in Gastbeiträgen geäußerte Meinung ist die der Autoren und entspricht nicht unbedingt derjenigen der t-online.de-Redaktion.