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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.TV-Kritik "Anne Will" zu Iran "Deutschland hat praktisch keinen Einfluss mehr in Washington"
Machen die USA ihre Drohungen gegenüber dem Iran wahr? Alexander Graf Lambsdorff hält Angriffe der USA auf Atomanlagen für nicht unwahrscheinlich.
Die Gäste
- Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages
- Melody Sucharewicz, Deutsch-israelische Beraterin für Kommunikation und Strategie
- Alexander Graf Lambsdorff (FDP), Stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag
- Katajun Amirpur, Islamwissenschaftlerin
- Martin Schirdewan (Die Linke), Spitzenkandidat bei der Europawahl und Mitglied des EU-Parlaments
Die Fronten
Ein Jahr nachdem die USA das Atomabkommen aufgekündigt haben, setzt nun der iranische Präsident Hassan Rohani ein Ultimatum: Die EU-Staaten sollen binnen 60 Tagen einen Weg finden, die US-Sanktionen gegen den Iran zu umgehen. Wenn das nicht gelänge, werde das Land wieder mehr Uran anreichern und afghanische Flüchtlinge nach Europa durchlassen. US-Präsident Trump schließt militärische Mittel nicht mehr aus.
Ist die jüngste Eskalation die undankbare Reaktion der Mullahs auf eine moderate europäische Politik gegenüber dem Iran? Ja, sagte die Deutsch-Israelin Sucharewicz: "Europa wird nicht mehr richtig ernst genommen, weil es Schwäche gezeigt hat." Der Iran baue sein ballistisches Raketenprogramm aus, lasse Menschen steinigen und fördere den Terror in Nahost. Die Lage sei der Beweis, dass die Politik des "Appeasement", der Beschwichtigung durch Verhandlungen und Zugeständnisse, nicht funktioniere.
Röttgen verteidigte jedoch diese Linie: Es sei richtig gewesen, am Abkommen festzuhalten. Es gebe keinen besseren Weg. "Es militärisch zu versuchen, würde einen Brandherd verursachen." Islamwissenschaftlerin Amirpur zufolge stehe Präsident Rohani unter großem innenpolitischen Druck. "Es gibt keinen Handel, einen wahnsinnigen Währungsverfall, Lebensmittel werden unfassbar teuer." Viele Menschen seien von Europa enttäuscht: Nachdem die USA das Abkommen einseitig aufgekündigt haben, hätten die verbleibenden Partner zu wenig getan, um den Handel am Leben zu halten. Die von der EU ins Leben gerufene Handelsplattform reiche nicht aus. Wenn sich Unternehmen zwischen Handel mit den USA und Handel mit dem Iran entscheiden müssten, würden sich die meisten für die USA entscheiden – den deutlich größeren Markt.
Der Aufreger des Abends
Wie viel bringt die Trump-Doktrin des maximalen Drucks? Hier gab es in der Runde recht eindeutige Positionen. Auf der einen Seite trat Sucharewicz als Hardlinerin auf, die kein gutes Haar an der politischen Führung Irans ließ und das Abkommen wie Trump nur mit weitreichenden Änderungen akzeptieren würde. Mit dieser Haltung war die PR-Beraterin recht allein. Graf Lambsdorff und Röttgen brachen wiederholt die Lanze für die Diplomatie. Wobei Ersterer ernüchtert feststellte: "Deutschland hat praktisch keinen Einfluss mehr in Washington." Aber auf Ebene der Europäischen Union könne man nach wie vor den wirtschaftlichen Einfluss Europas in die Waagschale werfen. Prinzipiell war sich die Runde – ausgenommen Sucharewicz – einig, dass die Drohungen Washingtons und der ausgeübte Druck kontraproduktiv seien, da sie den Hardlinern in Teheran in die Karten spielten. Röttgen warf den USA vor, den Dollar als Kampfinstrument zu nutzen: "Wirtschaftlich haben die USA das Abkommen im Wesentlichen zerstört."
Aber kann der Druck nicht zu einem besseren Deal für Washington führen? Amirpur zeigte sich skeptisch: "Rohani könnte die Totalkapitulation nicht durchsetzen." Die USA setzten auf einen Verfall, aber die Menschen wandten sich immer stärker den Falken zu. "Nicht alles, was von Trump kommt, ist gut", sagte Schirdewan. Er wünsche sich eine europäische Außenpolitik, die auf Frieden und Abrüstung setze. Aussagen, die auch beim Publikum Zustimmung fanden. Wie ernst die militärischen Drohungen der Amerikaner zu nehmen sind, war umstritten. Röttgen zufolge sähe sich Trump als "Dealmaker" und wolle keinen Krieg. Graf Lambsdorff hingegen verwies auf den nationalen Sicherheitsberater John Bolton. Dieser sei schon 2015 der Meinung gewesen, Iran nur durch Bomben vom Bau der Bombe abhalten zu können. "Gezielte Bombardements auf Atom-Einrichtungen halte ich für denkbar." Dann versammelten sich die Menschen jedoch erst recht hinter den Hardlinern.
Der Faktencheck
Sucharewicz kritisierte in der Sendung mehrfach die Inhalte des Atomabkommens mit dem Iran. "Wenn der Vertrag ausgelaufen ist, werden alle Restriktionen fallen. Der Iran kann in der Laufzeit weiter geringfügig Iran anreichern." Graf Lambsdorff war anderer Meinung: "Die Anreicherung ist zahlenmäßig begrenzt." Sucharewicz nahm vermutlich Bezug auf die sogenannte "Sonnenscheinklausel". Sie legt fest, dass bis 2025 nach und nach alle Beschränkungen für die Uran-Anreicherung auslaufen. Kritiker wie Donald Trump sind der Auffassung, dass hierdurch der Iran nach Ablauf des Abkommens binnen weniger Monate an Atomwaffen gelangen könnte.
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Somit liegt die Wahrheit in der Mitte: Es fallen zwar planmäßig die zentralen Einschränkungen der Anreicherung. Gleichzeitig dürfte es, wie Graf Lambsdorff betonte, von hohem diplomatischem Interesse sein, noch vor Ablauf des Abkommens die Gespräche wieder aufzunehmen.
- "Süddeutsche Zeitung": Was stört Trump am Atomabkommen mit Iran?