TV-Kritik "Anne Will" Wagenknecht über ihren Rücktritt: "Ich will nicht nachtreten"
War es Mobbing? Sahra Wagenknecht liefert im Studio Details zu den Grabenkämpfen in ihrer Partei – und zu ihrer Krankheit.
Die Gäste:
- Sahra Wagenknecht (Die Linke), Fraktionsvorsitzende
- Thomas de Maizière (CDU): Ehemaliger Bundesinnen- und Verteidigungsminister
- Katja Suding (FDP), stellvertretende Fraktionsvorsitzende
- Alexander Jorde: Der Auszubildende in der Gesundheits- und Krankenpflege hat Angela Merkel in der ARD-Wahlarena mit den Missständen im Pflegesystem konfrontiert.
- Klaus Lieb: Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz
Die Fronten:
Es war ein in vielerlei Hinsicht ungewöhnlicher Talk-Abend: Für das Thema "Stress im Job" haben sich noch nicht viele Programm-Macher erwärmen können. Anne Will hatte außerdem eine Reihe Politiker aus der ersten Reihe eingeladen, aus dem Nähkästchen zu plaudern – und auch von persönlichen Belastungssituationen zu berichten. Gleichzeitig wehte ein Wind von Abschiedssendung durchs Studio. Denn der Rückzug Wagenknechts von ihrem Amt als Fraktionsvorsitzende aus gesundheitlichen Gründen diente als Aufhänger für die Sendung. Für ihre Entscheidung erntete die Linken-Politikerin in der Runde viele Solidaritätsbekundungen.
War es Burn-out? "Es ist so, dass ich erst mal überhaupt nicht mehr konnte", berichtete Wagenknecht aufgeräumt von ihrer rund zweimonatigen Auszeit. Sie habe eine innere Leere verspürt und sich nicht fähig gefühlt, öffentlich zu sprechen. Wie man die Krankheit nennen wolle, müssten Ärzte entscheiden. "Mir geht es wieder gut, aber ich will nie wieder in diese Situation kommen." War es Mobbing? Schließlich hatte Wagenknecht erst im Jahr 2017 in einem offenen Brief an die Parteispitze genau diesen Vorwurf erhoben. "Es kam viel zusammen, ich will nicht nachtreten. Wir hatten Konflikte, das ist öffentlich bekannt, aber es nur darauf zurückzuführen, wäre auch nicht richtig." In allen Parteien gäbe es solche Konflikte, nur täte sich einzig die Linkspartei schwer, diese aus der Öffentlichkeit herauszuhalten.
Auch de Maizière war kein Groll anzumerken. Gründe dazu hätte er eigentlich genug, wie Will erinnerte: Zum Beispiel erfuhr er bei der letzten Kabinettsbildung aus der Presse, dass er kein Minister mehr sein wird. "Die Kanzlerin hat mich dann schnell nach 20 Minuten angerufen", erinnerte sich der CDU-Politiker. Man habe alles persönlich geklärt, sein Abschied sei ehrenvoll gewesen.
Macht der Politikbetrieb krank? Lieb, selbst mit der rheinland-pfälzischen Bildungsministerin verheiratet, sah auf Bundesebene extreme Belastungen. "Es gibt eine Bandbreite an Themen, zu denen man immer sprechfähig sein muss. Was nicht gelingen kann." Zudem werde man ständig medial bewertet. Der Burn-out sei ein chronischer Stresszustand, der sich auch wieder zurückbilden könne. In diesem Zusammenhang bewertete er das Kürzertreten Wagenknechts als "sehr respektable Entscheidung". Auch die positive Bewertung von bestimmten Ereignissen – siehe das Abservieren de Maizières – könne helfen. "Das ist ein Resilienzfaktor", lobte Lieb den Ex-Minister.
Der Aufreger des Abends:
Politikerinnen wie sie könnten einfach aus der ersten Reihe zurücktreten, sagte Wagenknecht. "Doch in vielen Berufen hat man diese Möglichkeit überhaupt nicht. Deshalb haben wir immer mehr Menschen, die ausgebrannt und kaputt sind." Dass die Zahl der Burn-out-Erkrankungen zunehme, habe etwas mit der Arbeitswelt und politischen Entscheidungen der letzten Jahre zu tun. Auch die Angst, nach nur einem Jahr Arbeitslosigkeit in Hartz IV zu fallen, spiele eine Rolle. Die Zahlen, die der Einspieler präsentierte, unterstrichen dies: In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkrankungen in Deutschland mehr als verdoppelt. In keinem Sektor fehlten 2017 so viele Menschen aufgrund solcher Erkrankungen wie im Gesundheits- und Sozialwesen.
De Maizière befand dennoch: "Ich finde, dass unser Arbeitsrecht nicht unterreguliert ist, sondern eher überreguliert." Schließlich sei etwa gedeckelt, wie viele Stunden man am Stück arbeiten müsse. Für ganze Branchen, wie in der Pflege, gebe es aber deutliche Ausnahmen, hielt Azubi Jorde prompt dagegen. 12 Tage am Stück arbeiten und dabei munter zwischen Tag- und Nachtschicht wechseln müssen, das alles sei dort möglich. "Viele schaffen es nicht bis zur Rente." Lieb war ähnlicher Meinung. "In den Krankenhäusern gibt es eine kürzere Liegedauer, das ist für Ärzte und Pfleger schwierig." Jorde sah den Hauptgrund des schnelleren Durchlaufs in der Privatisierung vieler Krankenhäuser.
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Der Faktencheck:
"Die Arbeitszeit ist im Vergleich gesunken", sagte de Maizière im Hinblick auf die Entwicklung der vergangenen Jahre in Deutschland. Ein Blick in die Statistik stützt diese Aussage: Leistete der durchschnittliche Arbeitnehmer im Jahr 2001 rund 1.655 Arbeitsstunden, waren es im vergangenen Jahr 1.647. Allerdings arbeiteten die Deutschen in den Jahren dazwischen teils deutlich mehr. Im Jahr 2007 kamen pro Arbeitnehmer im Jahr 1.693 Stunden zusammen. Seit 2015 sank die Zahl wieder leicht. Die Zahlen spiegeln jedoch nicht alle Überstunden wieder – hier gibt es stets eine Dunkelziffer.