Zukunftsfragen Strom, Klima, Jobs Was sich hinter der "Kohlekommission" verbirgt
Deutschland muss aus der Stromgewinnung aus Braunkohle aussteigen. Aber wann und wie? Das sind umstrittene Fragen. Beantworten soll sie eine Kommission – unter Zeitdruck.
Als CDU, CSU und SPD Anfang des Jahres über die Energiepolitik der künftigen großen Koalition verhandelten, da standen sich zwei Demonstranten-Lager gegenüber: die Klimaschützer auf der einen Seite, die Kohlekumpel auf der anderen. Raus aus der Braunkohle, forderten die einen. Schützt unsere Jobs, forderten die anderen.
Die Bundesregierung will beides unter einen Hut bekommen. Dafür hat sie am Mittwoch ein 31-köpfiges Gremium eingesetzt, für das sich der Name Kohlekommission durchgesetzt hat. Offiziell heißt sie Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung".
Die wichtigsten Fragen rund um die "Kohlekommission":
Warum überhaupt Kohleausstieg?
Deutschland hat sich national und international zum Kampf gegen die Erderwärmung verpflichtet – insbesondere im Klimaschutzabkommen von Paris. Dass die Energiewirtschaft langfristig kaum noch CO2 ausstoßen darf, steht damit fest. Ohne den Ausstieg aus der Braunkohle ist das nicht zu machen. Es geht also nicht um das "Ob", sondern das "Wie".
Warum gibt es diese Kommission?
Der Kohleausstieg ist eine echte Mammutaufgabe. Was passiert mit den Menschen, die ihre Arbeit verlieren? Wie wird die Stromversorgung gesichert? Was passiert mit alten Tagebauen? Müssen die Energiekonzerne entschädigt werden – und wenn ja, wie? Dafür braucht es Fachwissen, aber es müssen auch verschiedene Gruppen der Gesellschaft beteiligt werden, um einen Konsens zu erreichen.
Wer sitzt in der Kommission?
Das Gremium hat vier Vorsitzende. Für die ostdeutschen Kohleländer Brandenburg und Sachsen stehen die Ex-Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) und Stanislaw Tillich (CDU). Dritter Co-Chef ist der bestens vernetzte Bahn-Vorstand Ronald Pofalla. Der frühere CDU-Generalsekretär und Kanzleramtsminister kommt aus dem Kohleland Nordrhein-Westfalen. Für die Interessen der Umweltverbände steht als Vierte im Bunde die Volkswirtin Barbara Praetorius, früher Vize-Direktorin der Denkfabrik Agora Energiewende. Daneben sind Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Wissenschaft sowie von Umweltverbänden und Kommunen in dem Gremium.
Wer ist im Bund zuständig?
Gleich vier Minister: Peter Altmaier (CDU/Wirtschaft), Svenja Schulze (SPD/Umwelt), Hubertus Heil (SPD/Arbeit) und Horst Seehofer (CSU/Inneres und Heimat). Die Geschäftsstelle der Kommission ist beim Wirtschaftsministerium angesiedelt, was viele als einen kleinen Sieg Altmaiers über Schulze deuten. Die SPD betont daher, dass deren Aufgaben nur die eines Sekretariats sind, also organisatorisch.
Was sind Aufgaben und Zeitplan der Kommission?
Es geht um den Strukturwandel in den Kohleregionen, vor allem in der Lausitz, im mitteldeutschen Braunkohlerevier und im rheinischen Revier. Die Kommission soll bis Ende Oktober konkrete Perspektiven für neue Jobs schaffen. Vorschläge, wie Deutschland möglichst nah an sein Klimaschutzziel für das Jahr 2020 herankommen kann, sollen bis zum Beginn der UN-Klimakonferenz in Polen am 3. Dezember vorliegen. Ende des Jahres ist dann der Abschlussbericht fällig – inklusive Ausstiegsplan und Enddatum für den Strom aus Braunkohle. Die erste Sitzung ist bisher für den 26. Juni geplant.
Und was die Kommission beschließt, das gilt dann?
Nein. Die Ergebnisse sollen im kommenden Jahr in ein Klimaschutzgesetz fließen, das der Bundestag verabschiedet.
Was sind die Streitpunkte?
Greenpeace etwa will den Ausstieg schon bis 2030. Umweltschützer pochen auch auf ein sofortiges Aus für besonders schmutzige Kraftwerke – vielen ist der schnelle Einstieg in den Ausstieg wichtiger als ein Enddatum, weil es auf jede nicht ausgestoßene Tonne CO2 ankomme. Vertreter der Wirtschaft und der Kohleländer halten dagegen, es sei ausgeschlossen, innerhalb weniger Jahre den Energiebedarf durch Wind und Sonne zu decken, da Deutschland bis 2022 auch noch aus der Atomkraft aussteige. Manche nennen das Jahr 2045.
Wie viele Jobs hängen an der Braunkohle?
Laut Bundesverband Braunkohle (DEBRIV) waren 2017 in den deutschen Braunkohlerevieren rund 20.900 Menschen beschäftigt, davon die meisten (rund 8600) in der Lausitz in Ostdeutschland. Der Verband geht aber davon aus, dass insgesamt 70.000 Arbeitsplätze direkt und indirekt von der Braunkohle abhängen. Andere halten das für zu hoch gegriffen. Fest steht, dass die Zahl der Beschäftigten in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen ist.
Und was für neue Arbeitsplätze könnten entstehen?
Arbeitsminister Heil nennt als Beispiel die Produktion von Batteriezellen. Wichtig sei, an die industrielle Tradition der Regionen anzuknüpfen. Wirtschaftsminister Altmaier sieht Bund und Länder in der Pflicht, Behörden, Forschungseinrichtungen und Fachhochschulen zu verlagern.
Welche Ziele hat Deutschland im Klimaschutz überhaupt?
Es gibt das nationale Ziel, bis 2020 den CO2-Ausstoß um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Bis 2030 sollen es 55 Prozent weniger sein, bis 2050 sogar 80 bis 95 Prozent. Auch die EU hat Ziele: 20 Prozent Reduktion bis 2020, 40 Prozent weniger bis 2030 und 80 bis 95 Prozent bis 2050. Kompliziert wird es, weil die auf Staaten heruntergebrochenen EU-Ziele sich auf das Vergleichsjahr 2005 beziehen. Im Klimaabkommen von Paris haben die Staaten sich zur Reduktion ihres Treibhausgas-Ausstoßes verpflichtet. Es gibt selbst aber keine genauen nationalen Ziele vor.
Drohen Stromausfälle, wenn Kraftwerke abgeschaltet werden?
Klar ist, dass mehr Ökostromanlagen und Stromnetze gebaut werden müssen. Schon jetzt deckt Deutschland an manchen Tagen seinen Strombedarf rein rechnerisch zu einem sehr großen Anteil aus Ökostrom. Wenn allerdings die Sonne nicht scheint und es windstill ist – Stichwort "Dunkelflaute" – geht die Ökostrom-Produktion zurück. 2017 lag der Erneuerbaren-Anteil bei 36 Prozent, etwa gleichauf mit der Braun- und Steinkohle. Nach Berechnungen der Bundesnetzagentur könnte bis 2030 die Hälfte der Kohlemeiler vom Netz, ohne dass Versorgungssicherheit in Gefahr gerät. Allerdings müsse dazu unter anderem der Netzausbau planmäßig vorankommen.
- dpa