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"Gauck ist eben Gauck": Bundespräsident 100 Tage im Amt


Gesellschaft
"Gauck ist eben Gauck"

Von dapd
Aktualisiert am 25.06.2012Lesedauer: 4 Min.
Bundespräsident Joachim Gauck verblüfft in seinen ersten 100 Tagen im AmtVergrößern des Bildes
Bundespräsident Joachim Gauck verblüfft in seinen ersten 100 Tagen im Amt (Quelle: dapd)
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Er ist erst seit 100 Tagen im Amt, aber es fühlt sich an, als sei er es schon ganz, ganz lange. Er äußert sich freimütig zu allem und jedem, aber kaum jemand nimmt es ihm übel. Seine glücklosen Vorgänger mussten sich fragen lassen, welche politischen Akzente sie denn zu setzen gedächten. Ihn fragt das keiner. Er ist sein eigener Schwerpunkt. "Ich bin eben der, der ich geworden bin", sagt Joachim Gauck und lächelt milde - er ist der Schicksals-Präsident.

"Gauck ist eben Gauck", sagen sie auch im Bundespräsidialamt. Mit dem früheren DDR-Bürgerrechtler hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Staatsoberhaupt des offenen Wortes eingehandelt. Dabei wäre es irrig zu glauben, der Bundespräsident wolle sich gegenüber der Kanzlerin profilieren oder sich gar von ihr distanzieren.

"Freiheit und Verantwortung"

Gauck nimmt sich vielmehr auch im Schloss Bellevue die Freiheit, öffentlich nachzudenken. Er dekliniert sein Mantra von "Freiheit und Verantwortung" durch - und nimmt dabei in Kauf, dass nicht jede Formulierung gänzlich zu Ende gedacht ist.

Dieser Bundespräsident hat auf diese Weise bereits in den ersten Tagen seiner Amtszeit einen Akzent nach dem anderen gesetzt. Bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel äußerte sich Gauck optimistisch, dass das Bundesverfassungsgericht die Euro-Rettungschirme nicht "konterkarieren" werden. Das wurde ihm als Einmischung in die Karlsruher Rechtsprechung ausgelegt. Mit Blick auf die inhaftierte Oppositionsführerin Julia Timoschenko sagte er kurz darauf eine Reise in die Ukraine ab, dann stellte er die Position der Kanzlerin infrage, Israel sei "Teil der Staatsräson" Deutschlands.

Gauck relativierte die Äußerung seines Vorgängers Christian Wulff, dass der Islam inzwischen auch zu Deutschland gehöre, warnte vor einem "Übermaß an Subventionen" bei der Energiewende und forderte eine stärkere gesellschaftliche Debatte über die Auslandseinsätze der Bundeswehr. "Und dass es wieder deutsche Gefallene gibt, ist für unsere glückssüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen", fügte Gauck in Hamburg hinzu - eine seiner Äußerungen, die als "unglücklich" kritisiert wurden.

Der zutiefst emotionale Theologe kennt seine Neigung zum Pathos, zum Pastoralen. Meist hat sich der Bundespräsident im Griff. Als begnadetem Redner fällt es ihm aber sichtlich schwer, sich ans Manuskript zu halten. Und manchmal geht dann eben doch der Bürger Gauck mit ihm durch. Das Adjektiv "glückssüchtig" stand nicht im vorbereiteten Redetext.

"Ich sollte der bleiben, der ich bin"

Gauck verteidigt sich mit einem einfachen Hinweis. Bei seiner Wahl zum Bundespräsidenten habe es niemanden gegeben, "der sich nicht gewünscht hätte, ich sollte der bleiben, der ich bin". Der 72-jährige stellt klar, dass er sich im strapaziösen Amt nicht verbiegen lassen will: "Dass ich nach fünf Jahren überhaupt nicht mehr Gauck bin, das will ich überhaupt nicht." Auch dabei ist ihm seine sympathische und aufgeschlossene Lebensgefährtin, die Journalistin Daniela Schadt, eine große Hilfe.

In Artikel 54 Absatz eins des Grundgesetzes ist festgelegt, dass nur Staatsoberhaupt werden kann, "der das vierzigste Lebensjahr vollendet hat". Der 1959 geborene Wulff hatte immer wieder betont, wie wichtig es sei, dass ein vergleichsweise junger Mann nun Bundespräsident geworden sei. Mit Verve stürzte er sich in die Außenpolitik, schaltete sich in internationale Konflikte ein. Letztlich wurde es ihm zum Verhängnis, dass ihn die Schatten seiner eben erst beendeten Laufbahn als CDU-Machtpolitiker einholten.

Gauck ist fast zwanzig Jahre älter. Er will es außenpolitisch ruhiger angehen lassen und mehr nach innen wirken. Wenn seine erste Amtszeit zu Ende geht, wird er 77 Jahre alt sein. Eine Verlängerung wird Gauck vermutlich nicht anstreben. Auch das macht ihn unabhängig, schenkt ihm die Freiheit des Präsidentenmenschen.

Ratschläge von allen Seiten

Durch die Rücktritte seiner Vorgänger Horst Köhler und Wulff ist das höchste Amt arg ramponiert und in die Niederungen der Alltagspolitik gezerrt worden. Jeder Hinterbänkler darf ungestraft Gaucks Thesen attackieren, ohne dass dieser sich wehren kann. Gerade erst bat das Bundesverfassungsgericht den Bundespräsidenten in aller Öffentlichkeit, das Gesetz zum Euro-Rettungsschirm ESM vorerst nicht zu unterschreiben, bis es über Eilanträge entschieden habe. Gauck akzeptierte, schließlich ist er kein Unterschriftenautomat. Dann hagelte es Ratschläge von allen Seiten, ob er nun unterzeichnen solle oder nicht.

Manch einer hatte vor der Wahl Gaucks gute Gründe dafür geltend gemacht, dass das Staatsoberhaupt in der inzwischen gewachsenen deutschen Demokratie überflüssig ist. Nach den ersten 100 Tagen Gaucks wird allerdings deutlich: Ein Bundespräsident zum Nachdenken passt gut zum hektischen Berliner Betrieb. Er wird gebraucht. Und er hat ein dickes Fell, was im höchsten Amt überlebenswichtig ist.

Der ehemalige Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde und Ex-DDR-Bürgerrechtler ist nicht einfach nur ein Mann mit Berufserfahrung. Dieser Bundespräsident verkörpert ein Schicksal. Seine Lebensgeschichte stellt er nun in den Dienst der Bundesrepublik Deutschland. Mit Erfolg: Bereits in seinen ersten 100 Tagen, die am kommenden Dienstag zu Ende gehen, hat Gauck die Würde zurück ins Schloss Bellevue gebracht. Die Bürger danken es ihm: mit Platz eins auf allen Beliebtheitsskalen.

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