Wut der Bürger und Angst der Klimakleber Der Kampf auf der Straße eskaliert
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Egal, wie man zu den Aktionen der "Letzten Generation" steht: Die Politik muss endlich reagieren. Wie das geht, zeigt ein Oberbürgermeister.
Diese Szene sollte uns aufrütteln: Ein Lkw-Fahrer wird von Klimaklebern aufgehalten, versucht zunächst, sie gewaltsam von der Straße zu reißen, und fährt dann einen Aktivisten mit seinem tonnenschweren Laster an.
Ein Video des Vorfalls erschütterte das Land. Der Mann, der zunächst Fahrerflucht beging, sich dann aber stellte, ist inzwischen seinen Führerschein und seinen Job los. Gegen ihn wird zudem wegen Körperverletzung und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr ermittelt.
Seine Reaktion war vollkommen inakzeptabel und ist durch nichts zu entschuldigen. Aber: Seine Wut ist verständlich (nicht die Konsequenzen, die er daraus zog). Genauso wie die Wut der Urlauber, die am Donnerstag in die Ferien fliegen wollten und deren Flüge wegen Flughafenblockaden durch Aktivisten und Aktivistinnen der "Letzten Generation" ausfielen.
Auch diese Aktionen sind durch nichts zu rechtfertigen. Und doch sollte sich jeder auch in die Position der Aktivisten und Aktivistinnen versetzen: Auch ihre Angst ist verständlich. Denn beim Klimaschutz läuft uns die Zeit tatsächlich davon.
Das Zeitfenster könnte sich schneller schließen
Gerade sorgte die Meldung für Aufsehen, dass die Temperatur der Meeresoberflächen gestiegen ist. Das könnte dramatische Folgen wie mehr Wetterextreme und eine weitere Beschleunigung des Klimawandels haben. Das Zeitfenster, um eine Klimakatastrophe zu verhindern, könnte schneller geschlossen sein, als bislang angenommen. Geleugnet wird die gigantische Herausforderung nur noch von Menschen, die sich von allen Fakten verabschiedet haben.
Es wäre Aufgabe der Politik, hier Lösungen zu finden. Stattdessen verfährt sie nach dem Motto: ein Schritt vor, zwei zurück. Da verabschiedet das Kabinett ein Klimaanpassungsgesetz, nachdem es zuvor die sogenannten Sektorziele aufgeweicht hat, die Klimaschutzziele für einzelne, besonders energieintensive Bereiche vorschrieben.
Das Heizungsgesetz, das die dringend benötigte Wärmewende bringen sollte, war handwerklich so stümperhaft und kommunikativ ein solches Desaster, dass es nun nur noch ein Kompromissschatten seiner selbst ist. Das offizielle Ziel, bis 2045 klimaneutral zu sein, wird so nicht mehr erreichbar sein. Dabei wäre – Stand jetzt – sogar 2045 vermutlich zu spät, um das Klima wirklich zu retten.
Es geht auch anders
Das Ergebnis: Keine Seite fühlt sich mehr ernst genommen. Weder die Klimaaktivisten noch die Bürger, die genug mit ihren Alltagsherausforderungen zu tun haben und dafür einen verlässlichen Rahmen von der Politik erwarten. Stattdessen tragen alle jetzt auf der Straße jene Konflikte aus, die doch an ganz anderer Stelle angegangen und gelöst werden müssten.
Wie es anders gehen kann, hat Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay vorgemacht. Der 42-Jährige bot den Mitgliedern der "Letzten Generation" erst ein Gespräch und dann einen Deal an: Die Stadt unterstützt die Gruppe bei ihren Forderungen (etwa nach einem Tempolimit), wenn sie dafür ihre Aktionen in Hannover künftig unterlässt. Das hat ihm die Gruppe zugesagt. So ist am Ende allen gedient: Den Bürgern, die nicht mehr permanent Aktionen auf der Straße ausgesetzt sind. Und den Aktivisten, die den Eindruck gewinnen, dass ihr Anliegen gehört wird.
Natürlich darf sich Politik nicht erpressen lassen. Aber wenn sie aufhört, zuzuhören und Kompromisse zu suchen, verliert sie die Menschen. Diese werden selbst versuchen, die Probleme zu lösen, einige von ihnen mit Gewalt. Das kann keiner wollen.
- Eigene Recherchen