Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Berlin-Talk Lanz vermutet: Giffey will mit Verzicht hoch hinaus
Franziska Giffey verspricht mehr Sicherheit für Berlin. Die Hälfte der Silvesternacht-Verfahren wurde aber eingestellt, wie sie bei Lanz berichtet. Der Moderator argwöhnt: Will Giffey in ganz Deutschland für Ordnung sorgen?
Wenn eine Regierungschefin auf Macht verzichtet, wirft das Fragen auf. "Das ist ja ein ungewöhnlicher Schritt", stellte Berlins noch amtierende Regierende Bürgermeisterin, Franziska Giffey (SPD), am Donnerstagabend bei "Markus Lanz" selbst fest. "So selbstlos? Wir reden immer noch über Politik", meinte der Moderator misstrauisch. Giffey bekannte sich denn auch zu einem klaren machtpolitischen Schachzug. Der könnte die Sozialdemokratin gar in ein ganz anderes politisches Berlin befördern, argwöhnte Lanz.
Die Gäste
- Franziska Giffey (SPD), Berlins Regierende Bürgermeisterin
- Michael Bröcker, Chefredakteur von "The Pioneer"
- Christine Lemaitre, Bauingenieurin
- Fabienne Hoelzel, Stadtplanerin
"Das ist natürlich kein leichter Schritt", kommentierte Giffey ihre Entscheidung, in eine Große Koalition unter CDU-Bürgermeister Kai Wegner einzutreten. "Es geht dabei nicht um eine Liebesheirat. Es geht um Verantwortung für die Stadt", erklärte sie. Die Sondierungen hätten gezeigt, "dass wir pragmatische, lösungsorientierte Politik besser mit der CDU machen können, als es bisher der Fall" gewesen sei. "Es braucht Veränderung, Erneuerung."
"Lanz": Giffey will sich mit der CDU profilieren
Sie habe auch einen Partner gesucht, der "eine Perspektive eröffnen kann für eigene Profilierung – und die SPD ist die soziale Kraft in der Stadt", räumte Giffey unumwunden bei "Markus Lanz" ein. Michael Bröcker von "The Pioneer" vermutete: Giffey gehe einen Schritt zurück, um in drei Jahren wieder Aussicht auf den Posten als Regierende Bürgermeisterin zu haben. Dem Votum der Wähler in Form der "sehr bitteren" Niederlage der SPD bei der Wiederholungswahl habe sie Rechnung tragen müssen, unterstrich Giffey: "So wie es war, kann es nicht weitergehen."
Auf eine angebliche Fehde mit der Spitzenkandidatin der Grünen, Bettina Jarasch, angesprochen, meinte Giffey: "Wir haben im vergangenen Jahr professionell zusammengearbeitet." Sie sprach aber auch von einem "teilweise erbitterten Kampf" um die Führung im Roten Rathaus.
Verkehr, Sicherheit und bezahlbarer Wohnraum waren laut Giffey die Themen, mit denen auch sie selbst Stammwähler in ihrem Bezirk Neukölln verloren habe. "Natürlich hat das mit der Silvesternacht zu tun", meinte Bröcker. Auch Menschen mit Migrationshintergrund "haben die Schnauze voll von den Halbstarken", die keinen Respekt für Autoritäten erkennen ließen. Diese verärgerten Wähler hätten dieses Mal ihr Kreuz bei der CDU statt der SPD gemacht. Deren Forderungen: "Da müssen mal Strafen folgen."
Silvester: Hälfte der Verfahren eingestellt
Wie genau denn der Stand bei den Ermittlungen nach den Angriffen auf Rettungskräfte sei, hakte Lanz gleich bei Giffey nach. Nach ihren Angaben wurden 40 Verfahren aufgenommen, 20 davon mittlerweile eingestellt. Einige Verfahren würden noch laufen, in manchen Fällen seien Strafbefehle verhängt worden. "Es gibt noch kein einziges Urteil", stellte Bröcker klar. "Es ist schwierig, die Beweislage zu ermitteln in so einer Nacht", erklärte Giffey und wandte sich an den Moderator. "Es geht aber um Beweise, Herr Lanz, Sie können nicht einfach jemanden in Haft nehmen, wo Sie keine Beweise haben. Deswegen ist das Thema Beweisführung so wichtig, deswegen ist das Thema Bodycams so wichtig."
All das soll unter der neuen Großen Koalition in Berlin besser werden. "Wir haben in den Polizeiautos und in den Feuerwehrwagen nicht überall die Kameraausstattung. Das muss sich verändern. Das ist vereinbart im Koalitionsvertrag", versprach Giffey. "Das Thema ist Ihnen ein Anliegen. Also könnten Sie sich vorstellen, mal Bundesinnenministerin zu werden?", leitete Lanz zu dem Thema über, das er seit Beginn der Sendung als kaum verhohlenen Trumpf in der Hinterhand zu haben meinte.
Giffey hatte Spekulationen, dass sie bald die Nachfolge ihrer Parteifreundin Nancy Faeser antreten will, vor der Wiederholungswahl im Februar noch als "hanebüchen" zurückgewiesen. Nun klang Giffeys Dementi bei Lanz etwas weniger kategorisch. "Das steht überhaupt nicht zur Debatte im Moment", antwortete sie. Faeser will im Herbst zur hessischen Ministerpräsidentin gewählt werden.
Merkel zollt Giffey Respekt
Nach Ansicht von Bröcker hat Giffey die besten Voraussetzungen geschaffen, um sich und die SPD in Berlin wieder zu profilieren. "Das ist eigentlich ein Linksbündnis mit einem schwarzen Bürgermeister", kommentierte der Journalist den stark von SPD-Themen geprägten Koalitionsvertrag und die ausgeglichene Zahl von Senatorenposten. "Wie haben Sie das gemacht?", wollte Lanz von Giffey wissen. Die verwies auf das aktuell laufende Votum der Parteibasis über die Koalition. Die Genossen hätten überzeugt werden müssen, dass Schwarz-Rot wichtige sozialdemokratische Themen umsetzen wird. "Das ist eine gute Basis", versprach Giffey mit Blick auf den Koalitionsvertrag.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Ähnlich sah das offenbar Altbundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die hatte Giffey erst eine Nachricht geschickt, dann folgte ein Telefonat. Ob Merkel zum Koalitionsvertrag gratuliert habe, wollte Lanz wissen. "Sie hat mit dem Wort 'Chapeau' kommentiert", sagte Giffey. Ob sie wie vermutet Berliner Bausenatorin werden wird, ließ die Regierende Bürgermeisterin offen. "Frau Giffey, wir sind nur eingeladen worden, weil es hieß, wir können Ihnen alles mitgeben, und Sie machen es dann", scherzte die Bauingenieurin Christine Lemaitre von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen.
- "Markus Lanz" vom 13. April 2023