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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Thüringer Chefredakteur über Döpfner "Er beleidigt einen großen Teil Deutschlands"
Der Chef des Axel-Springer-Konzerns beleidigt Ostdeutsche. Unwürdig findet das der Thüringer Chefredakteur Jan Hollitzer. Aber nicht nur Döpfner habe ein Problem mit dem Osten.
Es ist eine Veröffentlichung, die für Wut und Rücktrittsforderungen sorgt: Mathias Döpfner, Chef des Axel-Springer-Konzerns, soll laut einer Recherche der "Zeit" in internen Nachrichten Ostdeutsche mehrfach beleidigt haben. Bei der "Bild"-Zeitung, dem wirkmächtigsten Springer-Blatt, soll er außerdem darauf gedrungen haben, vor der Bundestagswahl 2021 die FDP hochzuschreiben.
Die Reaktionen auf die Enthüllung sind heftig: Mit Carsten Schneider fordert der Ostbeauftragte der Bundesregierung Döpfners Aus an der Spitze des Medienkonzerns, Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) will eine Verbraucherwarnung für ostdeutsche Leser auf Springer-Blättern. (Mehr zu den Reaktionen Schneiders und Ramelows lesen Sie hier.)
Wie blicken Journalisten aus Ostdeutschland auf den Fall? Jan Hollitzer, Chefredakteur der "Thüringer Allgemeinen", betont: Ein Problem mit dem unverstellten Blick auf den Osten hat nicht nur Döpfner.
Zur Person
Jan Hollitzer, 43 Jahre alt, geboren in Thüringen, ist seit November 2018 Chefredakteur der "Thüringer Allgemeinen". Zuvor war er stellvertretender Chefredakteur bei t-online sowie Online-Chef bei der Berliner Morgenpost und stellvertretender Chefredakteur.
t-online: Herr Hollitzer, Mathias Döpfner, einer der mächtigsten Männer in Deutschlands Medienlandschaft, schreibt laut "Zeit" in konzerninternen Nachrichten: "Die ossis sind entweder Kommunisten oder faschisten. Dazwischen tun sie es nicht. Eklig." Was haben Sie gedacht, als Sie diese Sätze gelesen haben?
Jan Hollitzer: Die Wortwahl ist erstaunlich. Herr Döpfner diffamiert so eine ganze Bevölkerungsgruppe, er beleidigt einen großen Teil des Landes. Das ist eines so einflussreichen Medienmanagers unwürdig. Und das zeigt, wie schlecht es um sein Verständnis für Gesamtdeutschland steht. Als ostdeutscher Springer-Mitarbeiter würde ich mir ernsthafte Gedanken machen. Für einen Chef mit einer solchen Einstellung zu arbeiten, kann nicht leicht sein.
Sie beobachten die Konkurrenz als Chefredakteur genau. Ist Döpfners Haltung auch in den Springer-Medien spürbar?
Döpfner versucht mit seinen Nachrichten zumindest deutlich, Einfluss auf die Redaktion zu nehmen. Er will seinen Redakteuren vorschreiben, was sie schreiben sollen – und das mit einer klaren politischen Agenda. Das ist aus meiner Sicht ein großes Problem. Denn das ist nicht Aufgabe des Journalismus. Das ist sogar ein Verstoß gegen seine Grundregeln: die Trennung von Verlag und Redaktion.
Ist die Sicht auf Ostdeutschland, die Döpfner zeigt, ein reines Springer-Problem?
Die ostdeutsche Perspektive ist in den Medien insgesamt völlig unterrepräsentiert. Das ist kein reines Döpfner- oder Springer-Problem. Als Ostdeutscher stellt man immer wieder fest: Wir spielen hier keine Rolle, unsere Probleme kommen hier nicht vor.
Ein Beispiel?
Das Grundproblem: Die Lebensleistung der Ostdeutschen wird zu wenig gewürdigt. Es fehlt immer wieder das Verständnis dafür, was die Wende für Ostdeutsche bedeutet hat. Für die Menschen im Westen lief 1989 alles weiter wie bisher, für die Menschen im Osten änderte sich alles radikal. Sie mussten eine 180-Grad-Wende vollziehen. Viele rutschten zumindest zeitweise in die Arbeitslosigkeit. Und vier Millionen Ostdeutsche – viele davon jung, gut gebildet, oft weiblich – gingen in den Westen. Das ist ein Schock, das macht sich noch heute sehr deutlich bemerkbar, individuell und strukturell. Für Menschen im Westen ist das oft gar nicht nachvollziehbar.
Welche konkreten Probleme kommen in Politik wie Medien zu kurz?
Blicken wir auf das Thema Renten: Im Osten erhält man meist noch immer eine wesentliche niedrigere Rente als Kollegen im Westen. Trotz derselben Zahl an Arbeitsjahren, auch in derselben Branche. Das ist ungerecht, so sehen es viele Leute zurecht. Zunehmend registrieren wir aber auch eine Müdigkeit bei diesen Themen: Es ändert sich ja eh nichts, ist inzwischen oft die Haltung. Das ist gefährlich.
Studien kritisieren immer wieder: Ostdeutsche sind in Führungspositionen von Unternehmen wie Redaktionen schlecht vertreten. Zuletzt ist ihre Zahl auf 43 Prozent in Chefredaktionen der großen Regionalzeitungen gesunken. Wie waren da Ihre Erfahrungen in der Praxis?
Ich war 2015, also 26 Jahre nach der Wende, der erste Ostdeutsche in der Chefredaktion der "Berliner Morgenpost". Immerhin, könnte man sagen. Oder: viel zu spät. Ich war gefragt, um bestimmte Themen aus ostdeutscher Sicht einzuschätzen oder den Spiegel vorzuhalten. Es gibt leider immer noch so viele Vorurteile, die sich sehr hartnäckig halten und das Land spalten. Um nur zwei zu nennen, die sich auch bei Döpfner zeigen: Alle Ossis sind dumm, alle sind Antidemokraten.
Die jüngere Generation wünscht sich oft das Überwinden der Ost-West-Spaltung, hin zu einem Gesamtdeutschland. Zementieren die Medien eine Spaltung, die gar nicht mehr sein muss?
Sicherlich kommt es zu Gegenreaktionen auf Aussagen wie die von Döpfner. Viele identifizieren sich dann erst recht stolz als "Ostdeutscher" oder "Ossi". Das ist ganz natürlich.
Im nächsten Jahr sind Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Was wünschen Sie sich da?
Dass differenziert und nicht pauschal über den Osten berichtet wird. Dass es nicht nur heißt: Die AfD kriegt Spitzenwerte. Sondern auch mal: Der Großteil der Menschen in Ostdeutschland wählt die AfD nicht. Und dass neutral berichtet wird, Meinung nicht mit Fakten vermischt wird. Das ist im Übrigen auch einer der größten Wünsche unserer Leser.
- Gespräch mit Jan Hollitzer