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Esoterik bei "Reichsbürgern": Mit den Außerirdischen falsch abgebogen


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Mit den Außerirdischen falsch abgebogen
Die bizarre Parallelwelt der "Reichsbürger"-Putschisten

  • Lars Wienand
InterviewVon Lars Wienand

Aktualisiert am 23.12.2022Lesedauer: 5 Min.
Mutmaßliche Terrorgruppe: Mitglieder sollen nicht nur an massenhaft entführte Kinder, sondern auch an Hilfe von Außerirdischen geglaubt haben.Vergrößern des Bildes
Mutmaßliche Terrorgruppe: Mitglieder sollen nicht nur an massenhaft entführte Kinder, sondern auch an die Hilfe von Außerirdischen geglaubt haben. (Quelle: IMAGO/Olaf Wagner, Schreyer/GettyImages, wolfszeit_naturkraft/Jewgen Roppel Montage: U.Frey/t-online)

Absurde Vorstellungen der mutmaßlichen "Reichsbürger"-Terrorgruppe finden sich auch in beliebten YouTube-Kanälen. Aus der Esoterik abzurutschen geht schnell, erklärt eine Expertin, die Verschwörungsgläubigen hilft.

Sie träumten vom Umsturz und befragten Astrologen und Seher. Sie sprachen über den Aufbau von Heimatschutzkompanien – und ihre Seher angeblich mit Lichtwesen. Sie wollten die Monarchie einführen und Rache nehmen an angeblichen pädophilen Eliten, die Kinderblut trinken: Bei Mitgliedern der mutmaßlichen "Reichsbürger"-Terrorgruppe lagen politische Ziele, Esoterik und wilde Verschwörungsmythen nach Recherchen von t-online ganz nah beieinander. 3.000 Polizisten hatten bei der Razzia Wohnungen durchsucht, 25 mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer landeten in U-Haft.

Die Ideen klingen zum Teil absurd, aber machen die radikalisierten Beteiligten aus Sicht von Kriminologen eher unberechenbarer als weniger gefährlich. Und sie kommen so oder so ähnlich in diversen YouTube-Kanälen vor. Kontakt mit "Plejadiern" und "Sirianern", um gemeinsam vermeintlich die Welt besser zu machen: Davon erzählen Frauen und Männer aus der Esoterik-Szene in Kanälen mit vielen Tausenden Abonnenten.

Es gibt viele Überlappungen zwischen Esoterik und zerstörerischem sowie selbstzerstörerischem Verschwörungsglauben, sagt im Gespräch Sarah Pohl, Leiterin der vom Land Baden-Württemberg finanzierten Zentralen Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen. Dort landen verzweifelte Menschen, die Angehörige abgleiten sehen.

Frau Pohl, dass "Seher" unter den Mitgliedern der mutmaßlichen Terrorgruppe sein sollen, war bekannt. Was haben Sie gedacht, als Sie hörten, dass da sogar an Verbindungen zu Außerirdischen geglaubt wurde?

Sarah Pohl: Das hat mich und das Team nicht mehr sonderlich überrascht. Es ist nicht so ungewöhnlich, dass Esoterik und Verschwörungsglauben miteinander vermischt werden. Heute neigen viele Menschen dazu, sich ihren eigenen Glauben ganz im Sinne einer Do-it-yourself-Mentalität zurechtzuzimmern. Erzählungen von Reptiloiden, also Mischwesen aus Echsen und Menschen, und anderen Außerirdischen sind in der Szene auch schon seit geraumer Zeit verbreitet.

Aber von Esoterik bis zu Verschwörungsmythen ist es ja noch ein Stück Weg, oder?

In der Beratung erleben wir immer wieder, dass esoterische Angebote für Menschen auch der Einstieg in problematische Verschwörungsideologien sein können. Das liegt an den großen Schnittmengen: Oft wird das politische System abgelehnt oder kritisch gesehen, es gibt klare Feindbilder. Esoteriker neigen zudem genau wie Verschwörungsgläubige zu Weltbildern, die Gut und Böse klar voneinander abgrenzen. Man selbst hat exklusives Wissen und kann sich auserkoren fühlen, für das Bessere zu kämpfen, und wird dazu ermutigt.

Esoterik ist aber nicht per se schlecht oder gefährlich?

Zunächst haben wir hierzulande ja Glaubensfreiheit. Der Glaube wird zunehmend individueller und selbstbestimmter. Manche Anbieter präsentieren auch sehr positiv belegte Begriffe und vertreten auch gute Ideen und Werte. Sie erfüllen in unserer rationalen Welt unterschiedliche Bedürfnisse, zum Beispiel auch das nach Magie und Fantastischem im Leben.

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Das klingt nach Fantasy-Roman.

Ja. Viele sind als religiöse Touristen auch nur kurz bei solchen Anbietern und suchen sich dann neue, ganz im Sinne der To-go-Mentalität. Darin liegt zugleich die Gefahr. Die Menschen finden für Probleme Erklärungen, die stark vereinfachen. Das rückt mögliche Sündenböcke in den Fokus. Manch eine Erfahrung, die auf dem Esoterik-Markt gemacht wird, kann auch verstörend wirken und trotz der Schnelllebigkeit in Abhängigkeiten führen.

Expertin für Beratungsarbeit

Sarah Pohl ist promovierte Diplompädagogin und leitet die Zentrale Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen – kurz Zebra – in Freiburg. Sie ist Autorin des Grunldagenwerks "Einführung in die Beratung von Menschen mit außergewöhnlichen Erfahrungen" und hat mit Teammitglied Isabella Dichtel auch das Buch "Alles Spinner oder was? Wie Sie mit Verschwörungsgläubigen gelassener umgehen" geschrieben.

Was meinen Sie damit konkret?

Zum Beispiel wenn es um Gruppenerlebnisse geht. Die können dazu führen, dass Menschen ihre kritischen Impulse unterdrücken und sich der Gruppe unterordnen. Der Esoterik-Markt bietet auch schnelle, einfache Lösungen für Gesundheitsprobleme an. Und wenn da vieles vertraut klingt, kann dies für Menschen in Krisenzeiten ein Einstieg in weit gefährlichere Überzeugungen sein.

Manche esoterische Bewegungen haben ja auch eine historisch problematische Tradition ....

Ja, es gibt eindeutig braune Tendenzen, die an Gedankengut aus der NS-Zeit anknüpfen. Diese ideologische Vermengung findet sich beispielsweise in Vorstellungen von überlegenen Rassen oder antisemitischem Gedankengut wieder. Es gibt auch "Seher", die die aktuelle politische Stimmung nutzen und die Feindbilder ihrer Klienten und Klientinnen kennen und dann deren Weltbilder verstärken und bedienen. Jede Weltanschauung, die Bösewichte benennt, sollte sich darüber im Klaren sein, dass solche Feindbilder unter Umständen ungünstige Entwicklungen verstärken können und wie ein Brennglas wirken.

Wie groß ist der Anteil solch brauner Esoteriker am gesamten Markt?

Die meisten Anbieter sind eher unpolitisch oder lediglich gesellschafts- und pharmakritisch. Meist geht es ums Geschäft oder darum, Bestätigung und Selbstbestätigung und Bedeutung zu bekommen, nicht darum, Aufstände anzuzetteln.

Und wie schnell kann es dann trotzdem gehen, bis jemand vom Esoterikkanal auf YouTube beim Glauben landet, dass es einen Kampf gegen eine satanistische Elite gibt und Kinder massenweise wegen ihres Bluts in Höhlen gefangen gehalten werden?

Gerade die Ideen von Kindern, die gefoltert werden, emotionalisieren stark und können rasch zu Wut und Hass führen. Dieses Narrativ wurde im Laufe der Geschichte immer wieder genutzt, um Feindbilder zu erzeugen. Wir alle haben das dringende Bedürfnis, Kinder schützen zu wollen. Wenn dem Staat vorgeworfen wird, dass er seine Finger bei solchen Aktionen im Spiel habe, wenn man vermutet, hochrangige Politiker seien involviert, dann führt dies im schlimmeren Fall auch zu dem Bedürfnis, Rache nehmen zu wollen. Man kämpft ja schließlich den Kampf der "Gerechten". Viele haben dann den Eindruck, sich für eine gute Sache zu engagieren. Gerade in Krisen neigen Menschen verstärkt zu geschlossenen Weltbildern.

Gibt es von dort einen Weg zurück?

Menschen tun sich grundsätzlich schwer, sich selbst einen Irrtum einzugestehen. Deswegen ist die Veränderung von Meinungen und Glaubensüberzeugungen oft ein schleichender Prozess. Ein erster Schritt ist es, wenn Menschen neben der eigenen Meinung auch wieder andere Meinungen zulassen können und aus der perspektivischen Verengung herausfinden. Wenn aber schon Kontakte abgebrochen wurden, ist der Rückweg meist besonders schwer. Dann kann man in der eigenen Filterblase rasch verlorengehen. Deswegen raten wir, trotz unterschiedlicher Meinungen miteinander in Kontakt zu bleiben.

An Weihnachten lässt sich das manchmal auch kaum vermeiden und kann zu besonderen Konflikten führen. Jeder Fall ist sicher anders, haben Sie Tipps für den Umgang mit nahen Menschen, die an absurde Erzählungen glauben?

Wir machen manchmal den Fehler, dass wir Menschen mit ihrer Meinung verwechseln. Hart auf der Sachebene zu bleiben, aber weich auf der Beziehungsebene zu sein, kann helfen, die Bedürfnisse eines Menschen besser zu verstehen, der an absurde Theorien glaubt. Wenn sich Menschen in ihren Gefühlen und Bedürfnissen besser verstanden fühlen, können Sie auch wieder das Gegenüber besser hören. Vermeiden Sie deswegen Diskussionen auf der Sachebene, sondern fragen Sie stattdessen nach, wie es dem anderen geht. Begrenzen Sie das Thema und achten Sie auf das, was Sie miteinander verbindet, wo Sie einer Meinung sind. (Ratschläge dazu von der Psychologie Pia Lamberty lesen Sie auch hier).

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