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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Union und Grüne Wie soll das denn passen?
Die Wahlprogramme von Union und Grünen widersprechen sich in vielen Punkten. Regieren könnten die beiden wohl trotzdem zusammen. Die Frage ist nur: wie gut?
Das Wahlprogramm der Union war am Montag gerade veröffentlicht, da verschickten die Grünen schon eine E-Mail an ihre Unterstützer. "Unsozial und ungerecht" sei das Programm, erklärten sie ihnen darin, "unkonkret und unseriös" auch, "unbezahlbar und unehrlich" allemal und sowieso einfach "unmodern und unfamiliär".
Klang: Ziemlich ungut.
Die Parteispitzen von Union und Grünen trugen auf ihren Pressekonferenzen ordentlich dazu bei, den Eindruck des erbitterten Kampfes zwischen den Lagern zu nähren. "Die Union will offensichtlich so weitermachen wie bisher, nach dem Motto: Augen zu und durch", urteilte Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. CSU-Chef Markus Söder setzte noch einen drauf und erklärte Baerbocks Partei schlicht für überflüssig: "Man kann auch grüne Politik machen ohne die Grünen."
Das kann man bestimmt. Nur spricht im Moment nicht viel dafür, dass es nach der Bundestagswahl im Herbst dazu kommen wird. Eine Regierung aus Union und Grünen ist nach aktuellen Umfragen eines der wenigen Bündnisse, das überhaupt realistisch ist, neben der Ampel aus Grünen, SPD und FDP. Viele halten Schwarz-Grün eindeutig für die wahrscheinlichste Option. Auch jetzt noch.
Wirklich? Mit diesen Wahlprogrammen? Durchaus, denn die Krawall-Rhetorik täuscht darüber hinweg, dass sich Grüne und Union in den vergangenen Jahren und auch noch zuletzt aufeinander zubewegt haben. Manche sagen: Aus weiser Voraussicht, um die Koalitionsverhandlungen zu erleichtern.
Dass irgendetwas in den Wahlprogrammen im Herbst eine Regierung verhindern würde, glauben weder führende Vertreter der Union noch der Grünen. Die Frage ist nur: Wie viel Aufbruch, wie viel Umbruch wird eine solche Regierung wirklich bringen? Und wie viel Weiter-so?
Die Union und das Weiter-so
Liest man das Unions-Wahlprogramm, findet sich tatsächlich reichlich Weiter-so. Armin Laschet spricht in diesen Tagen gern davon, dass man nun in ein "Modernisierungsjahrzehnt" starten wolle. Aber wie das so konkret ablaufen soll mit der Modernisierung, dazu findet sich im Programm kaum etwas.
Stattdessen steht dort vieles, was die Union auf keinen Fall haben will: keine neuen Schulden für den Staat, kein generelles Tempolimit auf den deutschen Autobahnen, und keinen Solidaritätszuschlag mehr für niemanden. Grundtenor: Es soll alles ein bisschen bleiben, wie es ist.
Von "Stabilität und Erneuerung" ist im Programm die Rede, nett klingende Worte, die jedoch kaum mit Inhalt gefüllt werden. Das Auffällige am Programm ist, an wie vielen Stellen es im Vagen, im Unkonkreten bleibt.
Das ist auch beim Klimaschutz so, wo viel von Zielen und wenig von Maßnahmen die Rede ist. Eine Ausnahme, wenn auch eine etwas verklausulierte, stellt die Position beim CO2-Preis dar. Dessen "Aufwuchspfad" wolle man "straffen", heißt es. Übersetzt bedeutet das: Der Preis soll stärker steigen, als es bisher von der großen Koalition geplant war.
Man braucht nicht viel Fantasie, um das als ein erstes Zugeständnis an eine schwarz-grüne Koalition zu lesen. Denn genau das wollen die Grünen auch.
Unkonkret bleibt das Unionsprogramm auch bei der Frage, woher eigentlich das ganze Geld kommen soll. Denn die Union will zwar an der Schwarzen Null festhalten. Gleichzeitig aber sollen kleinere Einkommen und auch Unternehmen entlastet werden. Insgesamt dürften dem Staat damit künftig Milliarden fehlen.
Und trotzdem will die Union ordentlich investieren: Die Wasserstofftechnologie soll gefördert werden, die Bahn finanziell unterstützt und der Ausbau der Stromnetze vorangetrieben. Hinzu kommt Geld für Digitalisierung und das Gesundheitswesen. Und das alles ohne Steuererhöhungen.
Scholz ist schuld
Es war Markus Söder, der die Verantwortung für die Luftbuchungen bei der Vorstellung des Programms listig auszulagern versuchte. Das Vertrauen in Finanzminister Olaf Scholz, sagte Söder, habe "nicht nur wegen der Streitigkeiten innerhalb der Regierung", sondern auch "wegen mancher schneller Versprechen gelitten". Eine klare Speerspitze.
Er habe ein "komisches Gefühl" bei Scholz, raunte Söder später dann noch. Nach der Wahl müsse man "noch mal genau in die Kassen hineinschauen". Erst im Herbst könne man dann "Schritt für Schritt die Prioritäten im Programm" definieren. Die Botschaft war klar: Der Scholz ist schuld, dass wir das alles nicht durchgerechnet haben, nicht wir.
Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock machte die unklare Finanzierung des Unionsprogramms zu einem ihrer Hauptkritikpunkte. Sie sei überrascht, sagte sie, dass sich die Union für ein Wahlprogramm entschieden habe, "das sehr unsolide aufgeschrieben und finanziert ist". Die Grünen hielten hingegen nichts von "ungedeckten Schecks".
Nehme man das Programm ernst, sagte Baerbock, dann würde es etwa bedeuten, "dass es zu einem massiven Rückgang der öffentlichen Investitionen in Deutschland kommt, um auf der anderen Seite die milliardenschweren Steuersenkungen zu finanzieren".
Doch die eigentliche Chance für ein Bündnis dürfte sein: So richtig ernst nimmt die Union ihre Projekte selbst nicht, siehe Söder und Scholz und den angekündigten Kassensturz nach der Wahl, nach dem man dann mal sehen will, was wirklich möglich ist.
Nicht gerade ein linksradikales Programm
Flexibilität haben sich auch die Grünen auf ihrem Parteitag vor gut einer Woche bewahrt – und zum Teil sogar noch vergrößert. Trotz aller Unkenrufe der politischen Gegner zuvor, dass die Parteibasis den Aufstand plane und quasi ein linksradikales Programm durchsetzen wolle.
Von anfangs mehr als 3.200 Änderungsanträgen am Programm wurden nur wenige angenommen. Beim grünen Kernthema Klimaschutz war es kein einziger. Auch der Antrag, den CO2-Preis doch noch etwas schneller anzuheben, als es die Grünen ohnehin planen, hatte keinen Erfolg.
Die Schuldenbremse abschaffen, statt sie für mehr Investitionen nur zu reformieren? Abgelehnt. Mit der Union und ihrer Schwarzen Null wäre das ohnehin nicht zu machen gewesen. Aber Investitionen, die will die Union ja auch. Und irgendwie müssen sie finanziert werden.
Die Unternehmen wollen die Grünen zwar nicht mit Steuersenkungen beglücken. Aber Baerbock hat zumindest der Industrie gerade erst sehr viel Geld versprochen, mit einem Klimapakt für die CO2-intensiven Branchen.
Beim Einsatz bewaffneter Drohnen gingen die Grünen sogar ein paar weitere Schritte auf die Union zu. Statt sich zum Einsatz von Kampfdrohnen gar nicht zu positionieren, wie es anfangs im Programmentwurf vorgesehen war, wird nun explizit klargemacht, dass man den Einsatz unter bestimmten Voraussetzungen nicht ausschließe. Eine bemerkenswerte Kurskorrektur für die Grünen mit ihren Wurzeln in der Friedensbewegung.
Unkonkret – und flexibel
Es bleibt natürlich trotzdem dabei: Grüne und Union präsentieren sich in ihren Programmen als Parteien, die einen sehr unterschiedlichen Blick auf die Welt haben und deshalb sehr unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Weil Wahlkampf ist, werden die Unterschiede nun auch noch besonders betont. Denn beide wollen sich als Hauptgegner präsentieren – und damit die SPD unsichtbar machen.
Sollte es nach der Wahl zu Koalitionsverhandlungen zwischen Grünen und Union kommen, dann gibt es einiges zu besprechen. Die Grünen müssen dann zeigen, dass sie sich nicht zu billig verkaufen. Und die Union muss zeigen, dass sie nicht zu weit nach links rutscht. Ein gewaltiger Umbruch im Land, wie ihn sich einige Grüne erträumen, wird am Ende wohl nicht dabei herauskommen.
Doch zusammenfinden, das würde man wohl schon irgendwie. Gerade das Unkonkrete, Vage im Unionsprogramm dürfte bei der Kompromissfindung helfen. Die Union hat den Grünen die Tür damit weit aufgestoßen. Jetzt müssen sie nur noch hindurchgehen.
- Eigene Recherchen