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Corona-Talk bei "Lanz": Epidemiologe schießt gegen AfD-Politikerin Weidel


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"Markus Lanz"-Talk
Epidemiologe gegen Weidel: "Die AfD hat mit Fakten ein Problem"

Eine TV-Kritik von Nina Jerzy

Aktualisiert am 05.05.2021Lesedauer: 5 Min.
Alice Weidel: Im Talk von Markus Lanz musste sie sich Kritik gefallen lassen.Vergrößern des Bildes
Alice Weidel: Im Talk von Markus Lanz musste sie sich Kritik gefallen lassen. (Quelle: Political-Moments/imago-images-bilder)

Endlich war Alice Weidel der Einladung in Markus Lanz' Show gefolgt. Der Moderator wollte Stärke demonstrieren und verzettelte sich. Dann machte ihm die AfD-Fraktionschefin auch noch ein Geschenk.

Die Gäste

  • Alice Weidel, Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion
  • Volker Wissing, FDP-Generalsekretär
  • Timo Ulrichs, Epidemiologe, Akkon Hochschule Berlin
  • Ann-Katrin Müller, "Spiegel"-Journalistin

Fast hätte Markus Lanz tatsächlich den AfD-Coup gehabt. "Die Spitzenkandidatur mit Tino Chrupalla. Das werde ich wohl machen, Herr Lanz", sagte Alice Weidel und zwinkerte dem Gastgeber verschwörerisch zu. Denn bei der Aufzeichnung der Talkshow am Dienstagnachmittag war das noch eine ganz heiße Neuigkeit. Doch unmittelbar vor der späten Ausstrahlung der Sendung um 23.30 Uhr war die Katze aus dem Sack und mehrere Medien meldeten unter Berufung auf Weidel und Chrupalla, dass die Bundestagsfraktionschefin und der Parteichef gemeinsam ins Rennen um die AfD-Spitzenkandidatur gehen. Vielleicht war das Timing Zufall. Vielleicht aber hat sich Weidel eine kleine Spitze gegen Lanz gegönnt. Denn ihr Besuch hatte eine Vorgeschichte.

Der ohnehin nicht Talkshow-erpichten Weidel war angeblich parteiintern vorgeworfen worden, die beliebte Sendung mit dem gern mal penetrant nachfragenden Moderator zu meiden und sich geradezu wegzuducken. "Wenn das einer aus der dritten Parteireihe nicht macht, okay, aber als Fraktionschefin und eventuell Spitzenkandidatin geht das so nicht", zitierte "Bild" Mitte April ein Mitglied des AfD-Bundesvorstands. Lanz hatte demnach einige Wochen zuvor in der Sendung geklagt: "Von Alice Weidel fangen wir uns seit Monaten immer wieder eine Abfuhr nach der anderen ein. Woche um Woche um Woche. Ich verstehe nicht, warum sie sich dem Gespräch nicht einfach mal stellt." Frisch zur Spitzenkandidatur kam Weidel also doch – und wurde von Lanz erst mal demonstrativ ignoriert.

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Lanz lässt Weidel warten

Der Moderator schien deutlich machen zu wollen: Weidel ist hier nicht der Stargast. Das war selbstverständlich Blödsinn und jeder der Anwesenden wusste es besser. Auf dem inoffiziellen Ehrenplatz zur Linken des Moderators wurde aber stattdessen FDP-Generalsekretär Volker Wissing positioniert. An ihm arbeitete sich Lanz zuerst ab. Es entspann sich eine hitzige Debatte über Sinn und Unsinn von Ausgangssperren in der Pandemie. Alle Anwesenden diskutierten fleißig mit. Nur ausgerechnet Weidel blieb in der Mitte sitzend stumm. Fast 20 Minuten verstrichen, ehe Lanz die erste Frage an die AfD-Fraktionschefin richtete. "Wir setzen auf Eigenverantwortung", sagte Weidel mit Blick auf eine Testpflicht in Unternehmen oder auch nächtliche Ausgangsbeschränkungen.

Lanz verwies hier wie so oft auf die sinkenden Fallzahlen in Hamburg, seitdem dort nach Ostern eine strikte Ausgangssperre eingeführt wurde. "Scheinkorrelation", zog Weidel einen direkten Zusammenhang zwischen den beiden Faktoren in Zweifel. Dann überraschte die AfD-Spitzenpolitikerin mit zwei erstaunlich simplen Fragen an den Epidemiologen Timo Ulrichs: Wo sollen sich Menschen zwischen 22 Uhr und 5 Uhr eigentlich draußen anstecken? Und was bedeutet überhaupt eine Inzidenz von 100 Corona-Fällen je 100.000 Einwohner? "Das ist nicht mal ein eintausendstel Prozent", unterstrich Weidel.

"Ich glaube, mit Zahlen, Daten, Fakten hat Ihre Partei ein wenig ein Problem", erwiderte der Wissenschaftler, der Weidel teils stärker Contra gab als Lanz. Ulrichs erklärte, dass die Ausgangssperre in erster Linie vermeiden soll, dass sich Menschen in Innenräumen treffen. Der Aufenthalt an der frischen Luft sei nicht das Problem. Und am Inzidenzwert lasse sich dank der bisherigen Erfahrungen gut abschätzen, wie viele Patienten künftig auf den Intensivstationen behandelt werden müssten. "Deshalb ist es nicht zulässig, einfach zu sagen: Das sind ja so kleine Prozentzahlen", sagte der Virologe und bezeichnete die AfD als den politischen Arm der Corona-Leugner. "Da wird nicht nur gefischt, da wird richtig geschmust", meinte auch "Spiegel"-Journalistin Ann-Katrin Müller.

"Das weise ich sehr weit von mir", entgegnete Weidel. "Wir haben als Partei und als Fraktion mit den 'Querdenkern' nichts zu tun." Das Virus sei zweifelsohne für ältere Menschen und Risikogruppen, etwa Patienten mit Vorerkrankungen, gefährlich. "Das kann man auch nicht leugnen. Und darum verbitte ich mir, dass unsere Partei in irgendeiner Form der politische Arm von Corona-Leugnern ist. Das sind wir nämlich definitiv nicht. Wir sind das Gegenteil", sagte Weidel. "Wir müssen als Politiker mit gutem Vorbild vorangehen." Wissing wollte die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen, hier doch mal auf Lanz' Frage "Wo ist der Unterschied zur Afd?" eine klare Antwort zu geben. "Wir leugnen nicht die Gefahr, die von Corona ausgeht", bekräftigte der Generalsekretär der FDP. Es sei falsch, wenn Weidel sage, dass das Virus nur bestimmte Gruppen betreffen würde.

Bei der angeblichen Verletzung bürgerlicher Grundrechte durch die Ausgangssperren sind die beiden Oppositionsparteien hingegen weitgehend auf einer Linie und klagen getrennt in Karlsruhe gegen die Maßnahme. Allerdings klagt die AfD nicht nur gegen Einschränkungen von Geimpften, sondern auch gegen Einschränkungen für ungeimpfte Menschen. Denn wenn über die Wiederherstellung von Freiheitsrechten nur für geimpfte Menschen diskutiert werde, dann gebe es in Deutschland de facto eine Impfpflicht, warf Weidel der Bundesregierung vor.

Lanz vs. Weidel

"Es gibt keine De-facto-Impfpflicht, ich bitte Sie. Das kann man hier nicht so stehen lassen", widersprach Lanz vehement. "Nur weil man Behauptungen wiederholt, werden sie nicht wahrer", warf Epidemiologe Ulrichs ein. Lanz schlug den Bogen zurück zu den "Querdenkern", von denen sich Weidel distanziert hatte: "Wenn man insinuiert: Da gibt es diesen bösen Staat, der eine Impfpflicht durch die Hintertür einführen will, mit allem, was da an Verschwörungsnarrativen unterwegs ist – dann ist das schwierig. Wir haben eine Verantwortung. Wir können so etwas nicht einfach erzählen, weil es Quatsch ist. Es gibt in Deutschland keine Impfpflicht für Covid-19."

Erst in den letzten Minuten wandte sich Lanz dem eigentlichen Thema seiner Sendung zu: Alice Weidel. Das war dramaturgisch-dramatisch vielleicht hübsch gedacht. Aber der sonst so bohrende Talkshow-Moderator hatte derart viele Baustellen, dass er nirgends zum Ziel kam. Was hält die Fraktionschefin heute von Björn Höcke? Wie steht sie zu Andreas Kalbitz? War der Parteitag nicht absurd chaotisch? Wie kann Weidel mit einer Lebensgefährtin aus Sri Lanka zwei Kinder haben, aber in einer Partei sein, die sich gegen Immigration und Integration stellt? "Wir sind für eine geregelte Zuwanderung", erwiderte Weidel und antwortete auch auf die übrigen Fragen, ohne dass Lanz da zu irgendeinem Erkenntnisgewinn kam.

Dann aber machte Weidel ihm in buchstäblich letzter Minute das Geschenk mit der Verkündung der Spitzenkandidatur. "Lagerwahlkampf?", griff Lanz die Frage der "Spiegel"-Journalistin Müller auf. "Nö, überhaupt nicht", entgegnete Weidel. Da war die Sendung auch schon abrupt und unerwartet harmonisch zu Ende. "Frau Weidel, ich danke Ihnen sehr. Wir haben uns länger nicht gesehen", spielte Lanz vielleicht auf die vielen ergebnislosen Einladungen an. "Ich komme gerne", versprach Weidel. Die Musik spielte schon, da war Lanz noch einmal zu hören. "Spannend, spannend", murmelte er und klang zufrieden.

Vor dem Studio in Hamburg hatte es übrigens wegen des Weidel-Besuchs einen Polizeieinsatz gegeben. Laut der "Mopo" hatten am Nachmittag rund 30 AfD-Gegner spontan vor dem Studio demonstriert. Die Polizei meldete demnach aber keine Zwischenfälle. Auch ein Anwohner hatte offenbar als Reaktion auf den AfD-Gast ein Protestschild ins Fenster gehängt. Hausarzt Christian Kröner teilte ein Foto auf Twitter. Der Mediziner war Ende 2020 durch einen humorvollen Corona-Infozettel gegen Verschwörungstheorien bundesweit bekannt geworden und ebenfalls bei Lanz zu Gast. Sein Auftritt soll am Mittwoch ausgestrahlt werden.

Verwendete Quellen
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