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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Dreikönigstreffen der FDP "Ich bin der Albtraum des linksgrünen Mainstreams"
Der Wahlkampf wird hart für die FDP. Parteichef Lindner macht den Liberalen beim Dreikönigstreffen Mut. Und attackiert die Union scharf.
Der Mann, den alle kennen, stellt sich erst mal vor. "Mein Name ist Christian Lindner. Ich bin – noch – 45 Jahre alt und offensichtlich der schlimmste Albtraum des linksgrünen Mainstreams in unserem Land." Applaus, Gelächter, noch mehr Applaus – der Start seiner Rede ist dem FDP-Chef bei diesem vielleicht seit Langem wichtigsten Jahresauftakt der Liberalen im Stuttgarter Opernhaus geglückt.
Lindner weiß, was auf dem Spiel steht. Seine Partei steht in Umfragen bei wahlweise 3 oder 4 Prozent. Mindestens 5 Prozent wären nötig, damit es bei den Neuwahlen am 23. Februar mit dem Wiedereinzug in den Bundestag klappt. Entsprechend geht es beim traditionellen Dreikönigstreffen im Ländle um zweierlei: Selbstvergewisserung, Mutmachen zum Beginn des Blitzwahlkampfs – und um Kampfansagen, um Parolen, die verfangen, vor allem bei jenen, die noch schwanken, die ihre Stimme doch eher der Union geben könnten.
Linder muss liefern. Und er liefert.
Ein letztes Mal Lindner in Stuttgart?
"Es gibt ein Defizit an Zuversicht", stellt er zunächst fest. Es scheine, als dominierten in Deutschland die Ängste. "Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, die Befürchtung, dass die eigenen Kinder einmal schlechter dastehen." In solchen Zeiten, sagt er, gehe es nicht darum, diese Ängste zu bestärken, sondern darum, "jede und jeden so stark zu machen, sich aus diesen Ängsten zu befreien". Um ein "neues Aufstiegsversprechen". Diese Zuversicht, so Lindner, sei nicht gottgegeben. Er und die Freien Demokraten zögen sie aus sich selbst – voll im Bewusstsein des Wahlkampfslogans: "Alles lässt sich ändern, wenn wir nur wollen."
Es ist die zwölfte Rede Lindners hier auf den Bühnenbrettern, die für Liberale tatsächlich so etwas wie die Welt bedeuten. Inzwischen amtiert er auf dem Posten des Parteichefs länger als FDP-Übervater Hans-Dietrich Genscher. Was bei Dreikönig 2025 aber auch mitschwingt: Geht die Mission Fünfprozenthürde schief, könnte es auch sein letzter Auftritt gewesen sein – auch wenn daran in der Partei wohl niemand so recht zu denken wagt.
In den vier Jahren, die die FDP von 2013 bis 2017 nicht im Bundestag vertreten war, hat Lindner die Partei quasi im Alleingang wieder aufgebaut, herausgeführt aus dem Tal der Außerparlamentarischen Opposition. Mit dem Albumtitel des bekannten Deutschrappers Bushido ließe sich sagen: "Vom Bordstein bis zur Skyline". Würde Lindner nun scheitern, stünde die FDP dort, wo er sie einst übernahm. Bushido brachte später ein weiteres Album heraus: "Von der Skyline zum Bordstein zurück".
"Kein Patriot darf darauf hereinfallen"
Ist Lindner also nervös, angespannt, wenn er sich in Stuttgart für die kommenden Wochen warmredet und bei den anwesenden Überzeugten wohlwollenden Applaus tankt? Anzumerken jedenfalls ist ihm nichts, im Gegenteil.
Das Gereizte, das bei ihm im Zuge der D-Day-Affäre vor Weihnachten noch zu spüren war, ist verschwunden. Auf der Bühne steht ein Christian Lindner, wie man ihn kennt: Rhetorisch brillant, inhaltlich auf den Punkt spricht er mehr als eine Stunde frei. Nur einmal scheint er den Faden zu verlieren, muss sich per Sprechzettel aus der Hosentasche vergewissern, wie es weitergeht.
Nach elf Minuten schon kommt er erstmals auf jenen zu sprechen, den er jüngst als Vorbild nannte – und dessen AfD-Sympathien Lindner zuletzt wie ein Bumerang einholten. "Es ist bekannt, dass ich beeindruckt bin von der unternehmerischen Gestaltungskraft eines Elon Musk", sagt Lindner. "Aber das ist nicht zwingend verbunden mit politischem Urteilsvermögen." Seine Erklärung für Musks unverhohlene Wahlkampfeinmischung: Wenn Musk oder der Kreml Sympathien für die AfD hege, dann gehe es "nicht um die Stärkung des Vaterlands", sondern darum, Deutschland zu chaotisieren. Lindner: "Kein Patriot und keine Patriotin darf darauf hereinfallen." War er selbst, Lindner, auf Musk reingefallen? Dazu sagt der FDP-Chef nichts – und das Publikum vermisst nichts.
Warmer Applaus vom Publikum
Vielmehr ist es ihm wichtig zu betonen, was sich auch anhand von Statistiken und ökonomischen Studien belegen lässt: Die Schwäche der deutschen Wirtschaft hänge nicht allein mit den schweren Rahmbedingungen zusammen, sondern auch damit, dass Deutschland "hinsichtlich der inneren Einstellung falsch abgebogen" sei. Was er damit meint: Das Land hat das Leisten verlernt. Und die Anerkennung, den Respekt für das Geleistete.
"Leistung ist für viele nicht etwas, das man erbringt, sondern etwas, das man beantragt", ruft er in den Saal. "Wenn wir in die Weltspitze zurückkehren wollen, dann müssen wir eine Gesellschaft sein, die auf herausragende Einzelleistungen nicht länger mit Neid oder Steuererhöhungen reagiert, sondern mit Respekt und Würdigung der Leistung."
Lindner hat sich jetzt warmgeredet. Und das Publikum hat sich warmgeklatscht. Bis auf den letzten Platz besetzt sind die Stuhlreihen zwar nicht, hier und da sind Lücken zu sehen. Der Lautstärke aber tut das keinen Abbruch. Als Lindner appelliert, es brauche eine "Art Imagekampagne für Arbeit" und: "Arbeit ist keine lästige Unterbrechung der Freizeit, Arbeit kann Sinn stiften!", setzen einzelne Anwesende ungelogen zu Jauchzern an.
Selbstkritik für manche Ampelentscheidung
Der FDP-Chef bekommt im Opernhaus von Stuttgart – natürlicherweise – Zuspruch zu allem und jedem. Auch zu den Punkten, bei der er auf der Wahlkampftour in den nächsten 48 Tagen eher Gegenwind erwarten darf. So scheint es wenig wahrscheinlich, dass Lindner Ende Januar auf dem Erfurter Domplatz "Jawoll"-Rufe hören wird, wenn er den Bürgern verklausuliert zuruft, dass die doch bitteschön mal mehr anpacken sollten, damit es mit der wirtschaftlichen Misere endlich ein Ende hat.
Was in der nächsten Dreiviertelstunde seiner Rede folgt, ist erwartbar ein Ritt quer durch den Wahlprogrammgemüsegarten, von A wie Abschaffung des Umweltbundesamts über S wie Soli-Aus bis W wie wettbewerbsfähige Arbeitsplätze. Dabei schwenkt er im Stil hin und her zwischen Kampfeslust und Offensive und ruhigen Abschnitten, die fast wirken wie ein liberales Proseminar, etwa als er den Freiheitsindex bemüht, um zu erläutern, dass sich viele Menschen in Deutschland nicht mehr trauten, alles zu sagen, was ihnen durch den Kopf geht.
Im Saal kommen auch diese nachdenklichen Stellen offenkundig an. Es werden bedächtig Köpfe gewogen, es wird zustimmend genickt. Grummeln macht sich kaum breit, auch nicht, als Lindner auf die Ampelzeit selbst zu sprechen kommt.
Diesen Part hat er sich bis zum Schluss aufgehoben, genauso wie den Ausblick auf den Wahltag, bei dem inzwischen die Unionsparteien zur größten Konkurrenz für die Liberalen geworden sind. "Vielleicht", hebt Lindner an, "hätten wir das Heizungsgesetz so nicht im Kabinett beschließen sollen." Vielleicht hätte man den Buchungstricks Olaf Scholz' zu Beginn der Legislaturperiode nicht zustimmen dürfen. "Vielleicht hätten wir nicht so lange über das Demokratiefördergesetz sprechen sollen."
Sätze zum Nachplappern am Wahlkampfstand
Es ist Selbstkritik, die sich vor allem nach innen richtet. Denn all das sind kaum Vorwürfe des politischen Gegners, von SPD oder Grünen, sondern vor allem Dinge, die Lindner aus den eigenen Reihen allzu oft zu hören bekam. Lindner: "Das mag sein!" Und doch habe man eben in der Ampel viel erreicht. Und das Ampel-Aus? "Uns ging es immer um das Land", so Lindner. "Nichts belegt das mehr, als dass wir unsere gesamte politische Existenz in die Waagschale werfen."
Es sind Sätze wie diese, für die mancher Zuhörer und Zuschauer auch nach Stuttgart gekommen ist. Sätze zum Nachplappern am Straßenstand, wenn ein Bürger beim Einkauf im kalten Winterwahlkampf doch mal stehen bleibt, um sich seinen Frust von der Seele zu reden.
Und genau für diese Situationen gibt der Parteichef abschließend auch noch andere, noch wichtigere Parolen mit: Damit die deutsche Wirtschaft und damit das Land insgesamt wieder auf Touren kämen, brauche es "nicht nur einen Kanzlerwechsel": "Wir brauchen einen Politikwechsel!"
"Die CDU/CSU ist ein politisches Chamäleon"
Den aber gebe es nur, wenn die Union nicht zusammen mit Grünen oder SPD regiere. Die Unionsparteien, so Lindner, nähmen "stets die Farbe ihres Koalitionspartners an". "Die CDU/CSU ist ein politisches Chamäleon. Und Gelb täte diesem Land gut, jedenfalls besser als Rot und Grün."
Entsprechend gehe es am 23. Februar auch "nicht um die FDP". "Es geht um die Zukunft unseres Landes. Es um alles und deshalb gilt es für uns jetzt erst recht!" Gelingt dem Parteichef der nun startende Wahlkampf und wird sich das Dreikönigstreffen in 48 Tagen wirklich als der erhoffte Auftakt zur Aufholjagd herausstellen, dann könnten noch viele weitere Reden Lindners in Stuttgart folgen.
- Eigene Beobachtungen vor Ort