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Zum journalistischen Leitbild von t-online.SPD-General attackiert von der Leyen "Das ist schizophren"
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat sich offen für ein Bündnis mit Rechtspopulisten gezeigt. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert macht ihr deswegen nun schwere Vorwürfe.
In knapp zwei Wochen ist Europawahl – und die Machtverhältnisse auf dem Kontinent sind unsicher wie nie. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) hat sich jüngst offen gezeigt, mit Kräften der rechten EKR-Fraktion (Europäische Konservative und Reformer) zusammenzuarbeiten.
Von der Leyen sieht dabei vor allem die Partei der italienischen Ministerpräsidentin Georgia Meloni (Fratelli d'Italia) als potenzielle Bündnispartnerin. Meloni erfülle ihre drei Bedingungen für eine Zusammenarbeit, sagte von der Leyen nun in einer TV-Debatte: Sie sei "proeuropäisch", "gegen Putin" und für den Rechtsstaat. Wer diese Voraussetzungen mitbringe, könne – unabhängig der Fraktion – ein Gesprächspartner sein, so von der Leyen am vergangenen Donnerstag.
Aus Sicht der SPD begeht die EU-Kommissionspräsidentin damit einen schweren Fehler. Der Generalsekretär der deutschen Kanzlerpartei, Kevin Kühnert, wirft von der Leyen nun vor, vor allem an ihrem eigenen Machterhalt interessiert zu sein. "Von der Leyens wichtigstes politisches Anliegen ist ihre eigene Wiederwahl. Dafür ist sie nach eigenem Bekunden bereit, sich von radikal-rechten Parteien ins Amt tragen zu lassen", sagt Kühnert am Dienstag t-online. Dabei sei klar, dass sie den Rechtsaußen-Parteien politische Angebote unterbreiten müsse, um deren Stimmen zu bekommen. Doch dazu schweige sie.
"Unappetitlicher Flirt mit der radikalen Rechten"
"Frau von der Leyen erwägt sich abhängig zu machen von europafeindlichen Kräften wie der PiS-Partei und den italienischen Fratelli, aber erklärt nicht, welchen Preis sie dafür zahlt." Sie bandele mit Parteien an, "die in ihren Ländern den Rechtsstaat angreifen, die Pressefreiheit beschränken und Frauenrechte abbauen, die von einem 'vierten Reich' in Deutschland fabulieren und deren Abgeordnete im Parlament auch mal den Hitlergruß zeigen."
Kühnert spielt auf zwei Vorfälle der letzten Jahre an: 2022 hatte ein bulgarischer Abgeordneter der EKR-Fraktion den Hitlergruß im Plenarsaal des EU-Parlaments gezeigt. Der Vorwurf, Deutschland würde ein "Viertes Deutsches Reich" aufbauen wollen, stammt vom Chef der polnischen PiS-Partei, die ebenfalls zur EKR gehört. Aus Sicht von Kühnert klare Grenzüberschreitungen, die auch Folgen für die Bündnissuche in Europa haben sollten.
"Von der Leyens wichtigstes politisches Anliegen ist ihre eigene Wiederwahl."
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert
"Für die gesamte europäische Sozialdemokratie ist klar: Es gibt für uns keine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen im EU-Parlament. Unser Ehrenwort gilt", so der SPD-Generalsekretär. Man werde nicht zu Steigbügelhaltern für Kräfte, die die EU erzkonservativ und autoritär umbauen wollen. "Ich fordere Frau von der Leyen auf, im Interesse des freien Europas ihren unappetitlichen Flirt mit der radikalen Rechten umgehend zu beenden", so Kühnert.
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"Öffentlichkeitsarbeit nicht bei Xi Jinping abschauen"
Der Kurs der deutschen Genossen wird von der Fraktion der europäischen Sozialdemokraten S&D geteilt. Deren Spitzenkandidat, der Luxemburger Nicolas Schmit, hatte Meloni kürzlich als "Nationalistin" bezeichnet. Anfang Mai unterschrieben die europäischen Genossen zudem die "Berliner Demokratieerklärung", in der sie Koalitionen oder Kooperationen mit Europas Rechtsparteien ausschlossen.
Doch von der Leyens Flirt mit Rechtspopulisten ist nicht das Einzige, das die SPD stört. "Der Wahlkampf, den Frau von der Leyen führt, ist einem demokratischen Wettstreit der Argumente nicht würdig", so Generalsekretär Kühnert. Die derzeit wichtigste Politikerin Europas gebe seit Monaten praktisch keine Interviews, bestreite stattdessen lieber "Wohlfühl-Termine".
"Wer das freie Europa gegenüber den Autokraten dieser Welt vertreten will, sollte sich die Öffentlichkeitsarbeit nicht bei Xi Jinping abschauen: Per Einbahnstraße über die eigenen Kanäle und ohne Möglichkeit für kritische Nachfragen", kritisiert Kühnert. Die Wählerinnen und Wähler hätten das Recht zu erfahren, wofür von der Leyen inhaltlich stehe und ob das mit CDU-Politik noch etwas zu tun habe. Von der Leyen habe den European Green Deal maßgeblich vorangetrieben, während CDU-Chef Friedrich Merz und andere ihn fortwährend kritisieren.
"Nun macht die CDU sogar eine Kampagne gegen das EU-Verbrenner-Aus ab 2035, ein Prestigeprojekt von Ursula von der Leyen", so Kühnert. Die CDU sammele zwei Wochen vor der Europawahl Unterschriften gegen die Politik ihrer Spitzenkandidatin. "Das ist schizophren."
- Gespräch mit Kevin Kühnert