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Karl Lauterbach: "Ich werde fürs Nerven bezahlt"


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Karl Lauterbach über Einschränkungen
"So super kompliziert ist das auch wieder nicht"


Aktualisiert am 19.08.2022Lesedauer: 8 Min.
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Lauterbach (Archivbild): "Es ist meine Aufgabe, diese Diskussion schon jetzt zu führen." (Quelle: IMAGO/Bernd Elmenthaler)
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Sein Plan für den Corona-Herbst steht massiv in der Kritik. Im Interview verteidigt Gesundheitsminister Lauterbach sich – und teilt aus.

t-online: Herr Lauterbach, würden Sie sich alle drei Monate gegen das Coronavirus impfen lassen?

Karl Lauterbach: Auf gar keinen Fall. Das ist nicht im neuen Infektionsschutzgesetz vorgesehen, das würde auch kein Arzt jemandem raten.

Ihre Kritiker leiten aus Ihrem Entwurf für die Corona-Regeln für den Herbst ab, dass Sie genau das indirekt erzwingen wollen. Weil man von der Maskenpflicht in Innenräumen durch Impfung nur dann befreit wird, wenn die letzte Immunisierung weniger als drei Monate alt ist. Wollen Sie den Impfdruck so erhöhen?

Das ist natürlich nicht meine Absicht, darauf dränge ich nicht – auch nicht indirekt. Wer würde sich auch alle drei Monate impfen lassen, nur damit er ohne Maske ins Restaurant gehen kann?

Warum sind es denn drei Monate – und nicht zwei, sechs oder zwölf?

Die bisherigen Studien legen nahe, dass sich Menschen, die frisch geimpft sind, in den ersten drei Monaten danach nicht so leicht infizieren können.

Anstecken kann sich aber auch jemand, der vor weniger als drei Monaten geimpft wurde.

Studien aus Israel zu unter 65-Jährigen zeigen, dass die vierte Impfung das Infektionsrisiko mit den jetzt schon vorhandenen Impfstoffen um etwa Zweidrittel senkt. Das ist eine sehr nennenswerte Schutzwirkung. Bei den neuen Impfstoffen rechnen wir damit, dass sie noch besser wird.

Wer nicht frisch geimpft, genesen oder getestet ist, der soll im Herbst in Gastronomie, Sport- und Kultureinrichtungen wieder Maske tragen. Alle anderen nicht. Nicht nur der Dehoga, der Lobbyverband für Gastronomen, läuft dagegen Sturm: Das erfordere permanente Kontrolle, sei nicht leistbar. Ist Ihr Gesetz realitätsfern?

Ich verstehe die Einwände der Dehoga. Am liebsten wäre auch mir, wenn wir wieder Restaurants und Bars besuchen könnten, wie wir es 2019 getan haben – ganz ohne Einschränkungen. Aber so weit sind wir noch nicht. Wir haben den endemischen Zustand noch nicht erreicht. Zurzeit haben wir 150 Corona-Tote pro Tag. Das ist eine Tragödie, die sich im Hintergrund abspielt. Im Herbst könnten es noch deutlich mehr werden.

Wie stellen Sie sich die Umsetzung in Gastronomie, Sport- und Freizeitbereichen in der Praxis denn konkret vor? Permanente Kontrollen in den Innenräumen?

Überhaupt nicht! Wenn ein Wirt das vermeiden will, kann er von seiner Kundschaft zum Beispiel grundsätzlich ein negatives Testergebnis zum Eintritt verlangen. Oder ein negatives Testergebnis oder eine frische Impfung. Ein Kino könnte Masken für alle vorschreiben.

Das hieße unter bestimmten Umständen, dass ungeimpfte Ungetestete gar nicht mehr reinkommen. Dann sind wir zurück bei 3G – was extrem polarisiert hat und die Ampel doch unbedingt vermeiden wollte.

Wirte und Veranstalter werden im Herbst unterschiedliche Optionen haben. Wie gesagt: Ein Veranstalter kann zum Beispiel sagen, er lässt nur Getestete, Geimpfte und Genesene ein, dafür verzichtet er auf die Masken. Er kann aber auch auf Masken setzen und dann alle einlassen. Wir lassen den Betreibern hier einen gewissen Spielraum.

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die Wirte Ihnen folgen? Schließlich mussten sie zwei Jahre lang enorme Einbußen verkraften.

Immerhin sorgen wir dafür, dass die Gastronomie weiter läuft. Und viele Gastwirte sind sich immer noch im Klaren darüber, dass wir in dieser Krise zusammenhalten müssen. Ihnen danke ich ganz besonders. Sie haben in der Pandemie viel geleistet. Es entspricht aber auch dem Wunsch vieler Restaurantbesucher, im Restaurant sicher zu sein. Umfragen zeigen: Jeder Zweite kennt jemanden mit Long-Covid. Und Dreiviertel der Bevölkerung, also die große Mehrheit, hat davor Angst. Jenen Restaurants, in denen es drunter und drüber geht, in denen gar nicht kontrolliert wird, werden die Kunden wegbrechen.

Aber die Regeln können schon von Bundesland zu Bundesland variieren, mit dem neuen Plan auch noch von Etablissement zu Etablissement. Wie sollen Bürger das noch verstehen?

Die Bürger haben jetzt zwei Jahre Erfahrung in der Umsetzung solcher Einschränkungen. Und so super kompliziert ist es dann auch wieder nicht. In den Innenräumen gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ich trage die Maske – oder ich bin frisch geimpft, genesen oder getestet. Das ist eigentlich sehr simpel.

Sie sagen schon jetzt, dass Sie ab Oktober mit einer flächendeckenden Maskenpflicht in Deutschland rechnen. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat gerade erwidert: Ihr Alarmismus nerve.

Ich schätze Karl-Josef Laumann sehr. Aber ich werde fürs Nerven bezahlt. Es ist meine Aufgabe, diese Diskussion schon jetzt zu führen. Sonst will sie gerade niemand führen, die Leute genießen lieber Urlaub, den Sommer, die lockere Zeit. Aber nur, wenn wir uns jetzt kümmern, können wir im Herbst besser vorbereitet sein, als wir es bisher waren. Das muss Karl-Josef Laumann aushalten. Ich helfe schließlich, dass auch er im Herbst gut vorbereitet ist.

Was wollen Sie denn tun, wenn Länder sich im Herbst trotz hoher Infektionszahlen sträuben, in die härtere Gangart zu schalten?

Ich denke nicht, dass die Länder sich weigern werden. Die sind ja vernünftig. Wenn die Fallzahlen steigen, wenn die Kliniken volllaufen, wenn wir viele Corona-Tote haben – dann werden die Länder reagieren. Derzeit rufen sie ja auch nach strengeren Regeln. Warum sollten sie die dann nicht umsetzen, wenn sie die Möglichkeit dazu bekommen.

Die Erfahrungen Ihres Vorgängers und auch von Frau Merkel sind andere: Da waren Ministerpräsidentenkonferenzen (MPK) nötig, um alle in ein Boot zu holen – und oft scheiterte dieses Vorhaben trotzdem. Wird es die im Herbst auch wieder brauchen?

Darüber möchte ich nicht spekulieren. Wir schaffen die Möglichkeiten, adäquat auf das Infektionsgeschehen zu reagieren. Die Länder entscheiden, ob sie die nutzen.

Die Stiko hat die vierte Impfung bisher nur für Menschen ab 70 empfohlen, seit gestern tut sie es auch für alle Menschen ab 60. Genügt das aus Ihrer Perspektive?

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Ich bin froh, dass die Stiko diesen wichtigen und aus meiner Sicht fälligen Schritt gegangen ist. Wir haben immer noch zu hohe Fall- und Sterbezahlen, die bei uns verfügbaren Impfstoffe schützen zuverlässig vor Tod und schwerem Verlauf. Ich rate den Bürgerinnen und Bürgern über 60 unbedingt, dem Rat der Stiko zu folgen und nicht auf die neuen Impfstoffe zu warten.

Im Juni noch haben Sie auch sehr viel jüngeren Bürgern empfohlen, sich zum vierten Mal impfen zu lassen. Wissen Sie es besser als die Stiko?

Der Konflikt zwischen mir und der Stiko ist konstruiert. Herr Mertens und ich arbeiten sehr gut und sehr eng zusammen. Die Empfehlungen der Stiko sind richtig und wichtig. Hausärzte nutzen sie als Orientierung. Aber sie können den Impfstoff auch darüber hinaus im Rahmen der Zulassung anwenden. Darauf habe ich lediglich hingewiesen.

Konstruiert ist da wenig. Sie haben der Stiko widersprochen. Die Stiko hat die vierte Impfung Mitte Juli nur für Leute ab 70 empfohlen, Sie hingegen haben zum Beispiel betont: "Wenn jemand den Sommer genießen will und kein Risiko eingehen will zu erkranken, dann würde ich in Absprache mit dem Hausarzt auch Jüngeren die Impfung empfehlen."

Das ist kein Widerspruch. Das ist eine Ergänzung dessen, was die Stiko sagt. Die Stiko hat nie gesagt, dass sich Jüngere nicht impfen lassen sollen. Sie hat lediglich keine Empfehlung dazu gegeben, dass sie es tun. Ich kenne viele junge Menschen, die sich impfen lassen wollen, um Long-Covid zu vermeiden.

Auch Menschen, die geimpft sind, können Long-Covid entwickeln.

Das stimmt, ihr Risiko ist aber geringer. Denn erstens ist das Risiko reduziert, dass man sich überhaupt infiziert. Zweitens senkt die Impfung, wenn man sich denn infiziert, auch das Risiko, Long-Covid zu bekommen.

Der Immunologe Andreas Radbruch, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Immunologie und Mitglied der Leopoldina, sagte im Interview mit t-online kürzlich, er halte eine vierte Impfung für Jüngere für relativ sinnlos. Ihr Nutzen sei gering.

Ich schätze Radbruch, vor allem seine früheren Werke. Sein Blick auf die Covid-Impfung ist legitim, er ist eine wichtige Stimme im wissenschaftlichen Diskurs. Aber seine Sicht wird bei Weitem nicht von jedem Experten geteilt.

Die Kritik an Ihrem Kommunikationsstil ist im Moment groß. Warum passiert es so oft, dass Sie unklar kommunizieren und die Menschen verwirren?

Ich denke nicht, dass ich das tue. Aber ich bin da in einer Zwickmühle. Einfache Erklärungen gefallen der Wissenschaft nicht. Komplizierte Erklärungen werden von Medien kritisiert. Zwischen diesen beiden Polen versuche ich mich zu bewegen.

Der Druck auf Sie scheint von außen enorm. Die "Bild" hat in dieser Woche getitelt: "Kanzler, stoppen Sie Chaos-Karl!" Was denken Sie, wenn Sie morgens die Zeitung aufschlagen und so etwas lesen?

Ich interessiere mich für die Schlagzeilen, sie sind für mich aber nicht entscheidend. Für mich steht im Vordergrund, dass wir Politiker die Bevölkerung gut schützen und auf den Herbst vorbereiten. Dafür arbeite ich, daran orientiere ich mich. Deswegen ist für mich tausendmal relevanter, wie sich die Fallzahlen entwickeln, als das, was irgendeine Zeitung titelt. Auch, wenn es in großen Buchstaben geschrieben ist.

Was soll das heißen?

Manche Verlage verfolgen eine Linie, die meiner widerspricht. Die haben sich festgelegt auf die Richtung: Corona muss jetzt vorbei sein.

Respektieren Sie das?

Natürlich, warum nicht?

Weil viele Prognosen dagegen sprechen, weil es Ihrer gesamten Arbeit widerspricht.

Corona-Politik ist immer Abwägungssache. Und meine Abwägungen sind andere als die bestimmter Medien. Das ist ganz normal.

Wie bewerten Sie die Kommunikation der Wissenschaft – muss sich da etwas verbessern?

Wir haben insgesamt eine sehr gute Wissenschaftskommunikation. Im Sommerloch habe ich aber ein besonderes Problem: Da sind die etablierten Experten auch mal im Urlaub. Dann übernehmen Außenseiter das Wort und predigen die gute Botschaft: "Das ist doch alles Wahnsinn, im Ausland gibt es keine Regeln mehr, alle Maßnahmen müssen weg ..."

Im September soll ein angepasster Omikron-Impfstoff kommen. Droht wieder eine Situation, in der es gefühlt Impfstoffe erster und zweiter Klasse gibt?

Wir haben so viel angepassten Omikron-Impfstoff geordert, dass er für alle reicht. Aber natürlich können nicht am ersten Tag alle auf einmal geimpft werden.

Es häufen sich Fälle von Berichten über Post-Vac-Betroffene – also Menschen, die nach einer Impfung unter Nebenwirkungen leiden. Von Ärzten werden sie oft als Simulanten abgetan, es gibt bundesweit nur zwei Anlaufstellen für sie. Was wollen Sie für die Betroffenen tun?

Wir müssen Post-Vac ernst nehmen, ohne dabei zu vergessen, dass die Impfung Menschenleben rettet, vor schwerer Krankheit schützt und zusätzlich sehr sicher ist. Es gibt zum Glück nur sehr wenige Post-Vac-Fälle bisher. Das Paul-Ehrlich-Institut wertet sie aus. Die Symptome sind ähnlich wie bei Long-Covid, treten aber sehr viel seltener auf und verlaufen offenbar leichter.

Muss dazu nicht noch viel mehr aufgeklärt werden?

Aufklären sollten wir, ja. Aber mit Augenmaß. Wesentlich relevanter als Post-Vac ist Long-Covid. Jeden Tag kommen Tausende Patienten dazu, die darunter leiden.

Natürlich führt das aber bei Post-Vac-Betroffenen auch zu einem Gefühl von: Ich werde nicht ernst genommen, ich werde nicht gesehen.

Das ist nicht korrekt. Ich äußere mich gerne dazu, ich finde es wichtig, alle unsere Behörden arbeiten dazu. Ich will es nur nicht durch eine Sensationsberichterstattung größer machen, als es ist. Sonst laufen wir Gefahr, dass die Menschen glauben, dass Post-Vac das Problem ist und nicht Long-Covid.

Herr Lauterbach, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Karl Lauterbach
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