Trumps Vize-Kandidat J.D. Vance Er ärgerte sich an der Supermarktkasse
Mit dem Buch "Hillbilly-Elegie" gelang J.D. Vance 2016 ein Welterfolg. Acht Jahre später ist Vance treuer Trump-Anhänger und sein Kandidat als Vizepräsident. Was sagt das Werk über Vance und seinen Aufstieg aus?
Zu Beginn stapelt J.D. Vance erst einmal tief. "Ich bin kein Senator und kein Gouverneur, und ich war noch nie Kabinettssekretär. Ich habe keine Firma gegründet, die heute Milliarden wert ist, und auch keine Non-Profit-Organisation, die die Welt verändert", schrieb der damals 31-Jährige in der Einleitung zu seinem Buch "Hillbilly-Elegie", das 2016 erschienen war.
Dabei wird beim Lesen deutlich, dass Vance trotz seiner Beteuerungen alles andere als ein gewöhnlicher Mann ist: Er wuchs im sogenannten Rust Belt (auf Deutsch: Rostgürtel) auf, dem Nordosten der USA, der einst für seine Stahlindustrie berühmt wurde, die aber schon lange nicht mehr der florierende Wirtschaftsstandort ist, sondern – der Name verrät es – mittlerweile vor sich hin rostet.
Wanderung der Wähler
Anders als vielen Menschen dort gelang Vance aber trotzdem der Aufstieg: Sieben Jahre nach Veröffentlichung seines Buches wurde der Autor tatsächlich Senator in seiner Heimat Ohio, mit großer Unterstützung von Donald Trump. Seit Montag ist Vance Trumps Kandidat auf das Amt des Vizepräsidenten.
Wer den Aufstieg von Vance, aber noch mehr den von Donald Trump verstehen will, soll in dem Buch des heutigen Vizepräsidentschaftskandidaten viele Antworten finden, heißt es immer wieder. Tatsächlich war es nur drei Tage nach dem überraschenden Wahlerfolg Trumps im November 2016 erschienen, später kletterte es auf die Spitze der Bestsellerlisten und wurde mittlerweile auch verfilmt.
Vance schrieb dort genau über die Region, die traditionell demokratisch wählte, sich aber in dieser Wahl für Trump entschieden hatte. Doch was genau sagt das Buch über Trump und seine Wähler aus?
"Leute sollen verstehen"
Vance verarbeitet in dem Buch seine Herkunft und wie es für ihn war, im "Rust Belt" aufzuwachsen: Er wurde dort von seinen Großeltern aufgezogen, beide ohne Schulabschluss. Seine Eltern hatten mit Drogen zu kämpfen, er selbst hatte die Schule fast nicht geschafft. Und trotzdem gelang ihm das, was vielen Leuten in der Region nicht gelang: Vance schaffte den Abschluss, beendete später erfolgreich ein Jurastudium an der Eliteuniversität Yale.
"Die Leute sollen wissen, wie es sich anfühlt, wenn man sich fast schon selbst aufgegeben hat, und warum es tatsächlich so weit kommen kann. Die Leute sollen verstehen, was im Leben der Armen vor sich geht, welche psychologische Wirkung diese geistige und materielle Armut auf ihre Kinder hat", schreibt Vance über die Motivation hinter seinem Buch.
Armut erfährt der junge J.D. beim Aufwachsen in der Stadt Middletown im Bundesstaat Ohio. Im Sommer 1984 geboren, erlebt Vance die Stadt bereits im Niedergang. Der große Arbeitgeber der Stadt, der Stahlproduzent Armco, fusioniert 1985 mit Kawasaki. Der Großvater kann dort noch gutes Geld verdienen, hat aber auch Alkoholprobleme und ist gewalttätig.
"Warum unser Leben so mühsam war"
Später klagt Vance über die soziale Ungleichheit, die er als Kassierer in einem Supermarkt erlebt: Wohlhabende Leute können in dem Laden Rechnungen von mehr als 1.000 Dollar anschreiben lassen, während Angehörige von Vance' Familie immer alles sofort zahlen mussten. Gleichzeitig ärgert sich Vance über Sozialhilfeempfänger, die ihre Essensgutscheine verkauften und an der Kasse mit Handys telefonierten, die sich Vance selbst nie leisten konnte. "Ich verstand nie, warum unser Leben so mühsam war, während diese Leute, die von der Großzügigkeit des Staates lebten, Dinge besaßen, von denen ich nur träumen konnte."
In dieser Zeit schwor sich der junge Vance, eines Tages selbst seine Rechnungen anschreiben zu können. Warum er es am Ende tatsächlich schafft im Gegensatz zu vielen anderen in seinem Umfeld, das lässt das Buch an vielen Stellen offen. Trotzdem liefert es viele Details und Hintergründe, warum sich eine traditionell demokratische Wählerschaft einem Mann wie Trump zuwendete, der sich gegen das "Establishment" stellte und die amerikanische Wirtschaft vor äußeren Einflüssen abschotten wollte.
Auch Scholz unter den Lesern
Einer der prominenten Leser war auch Bundeskanzler Olaf Scholz: Vance' Buch habe ihm geholfen, die Ursachen des Trumpismus zu verstehen, sagte Scholz in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung". "Und es hat mir auch geholfen, mein eigenes Verständnis für das zu schärfen, was für eine moderne, fortschrittliche, ich würde sagen sozialdemokratische Politik im 21. Jahrhundert wichtig ist: All die vielen, die arbeiten, sich anstrengen und den Laden am Laufen halten, müssen relevant bleiben. Sie müssen die Aussicht auf eine gute Zukunft für sich und ihre Kinder haben und Respekt erfahren."
Vance selbst wandelte sich im Nachgang seines Erfolges: Während er 2016 noch ein scharfer Kritiker Trumps war, übernahm er im Laufe der Zeit einen Großteil von Trumps Programmatik. Die Ernennung zu seinem "Running Mate" dürfte da der vorläufige Höhepunkt sein.
- Vance, J.D.: "Hillbilly-Elegie: Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise" 2017, Ullstein
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa