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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Biden braucht Befreiungsschlag Was war das für ein Interview?
Die Erwartungen an Joe Bidens erstes Interview seit der missratenen Debatte waren immens. Ein medialer Befreiungsschlag ist dem Präsidenten nicht gelungen. Geholfen haben dürfte dieser Auftritt trotzdem.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Womöglich empfinden viele Menschen Joe Biden inzwischen nur noch als starrsinnig. Aufgeben kommt für den US-Präsidenten offenbar einfach nicht infrage. Zumindest gibt er sich durchgängig kämpferisch seit seinem desolaten Debattenauftritt gegen Donald Trump. "Ich trete an", "Niemand wird mich rausdrängen" und "Ich bleibe im Rennen" sind die Sätze, die Joe Biden, das Weiße Haus und sein Wahlkampfteam so und ähnlich jeden Tag wiederholen.
Joe Biden blieb dieser Linie auch in dem am Freitagabend ausgestrahlten Interview beim amerikanischen Fernsehsender ABC treu. Der US-Präsident machte unmissverständlich klar: Wenn "der Allmächtige" nicht kommen würde, um ihn zu holen, wird ihn sonst auch keiner von seiner Präsidentschaftskandidatur abbringen. Niemand außer Gott, so die Botschaft Bidens, habe die Macht, seinen Willen zu brechen, erneut anzutreten.
Dabei war der amerikanische Präsident weit entfernt von einem medialen Befreiungsschlag. Zu hoch sind inzwischen die Erwartungen an ihn. Joe Biden müsste im Grunde schon zehn Jahre jünger sein, um diese auch nur annähernd zu erfüllen. Also tat er, was er eben tun kann.
Wie schon in den vergangenen Tagen wehrte er auch im Interview die hartnäckigen Nachfragen des früheren Kommunikationschefs Bill Clintons und heutigen ABC-Journalisten George Stephanopoulos zu seinem Fitnesszustand vehement ab. "Ich habe mich schrecklich gefühlt", "Ich war krank", "Ich war erschöpft", "Ein Virus" und "Ich hatte einen ganz schlechten Abend", sagte Biden immer wieder. Ganz so, als würde es bei der heftigen Diskussion um ihn wirklich nur um die 90 Minuten im CNN-Studio von Atlanta gehen.
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Ein weitgehend solider Auftritt
Einen echten Aussetzer hatte der US-Präsident in dem laut ABC-Angaben nicht geschnittenen Interview allerdings nicht. Lediglich in einem Moment antwortete Biden merkwürdig auf die Frage von Stephanopoulos, ob er sich die eigene Debatte im Anschluss einmal angesehen hätte. Er blickte suchend in die Luft und sagte schließlich: "Das glaube ich nicht, nein." Das wirkte so, als könne er sich gar nicht erinnern, ob er die Debatte noch einmal angesehen hätte.
Insgesamt betrachtet lief das Interview für Biden trotzdem um Welten besser als der Debatten-Auftritt gegen Donald Trump. Biden wirkte nicht wie ein Jungspund. Wie auch. Aber das, was er sagte, trug er weitgehend ruhig, konsistent und durchdacht vor. Anders als im Wettstreit mit Trump konnte der Präsident darlegen, was er aus seiner Sicht richtig gemacht habe. Die Erweiterung der Nato, gesunkene Medikamentenpreise, niedrige Arbeitslosenzahlen und vieles mehr.
Wer bei dem Interview einen gänzlich anderen Joe Biden erwartet hat, wurde enttäuscht. So gesehen, war dieser Auftritt auch kein echter Befreiungsschlag. Zumal am selben Tag Äußerungen weiterer demokratischer Gouverneure sowie von einem Senator und einem Kongressabgeordneten bekannt wurden, die den Präsidenten dazu drängen sollen, endlich ein Einsehen zu haben, und seine Kandidatur zum Wohle der Partei und des Landes zu beenden.
Die Trotz-Reaktion des Präsidenten
Doch Biden, sein Team und das Weiße Haus bleiben scheinbar unbeirrt auf Kurs. "Ich halte mich für den am Qualifiziertesten", sagte der Präsident auf die Frage, ob er wirklich der Einzige sei, der in der Lage ist, Donald Trump zu schlagen. An Ignoranz grenzte dann aber Bidens Reaktion auf Stephanopoulos' Hinweise auf die desolaten Umfragen. Er zog die Richtigkeit der Erhebungen so sehr in Zweifel, dass der Journalist irgendwann auch nicht mehr weiterwusste.
Bringt diese Strategie Biden durch den Sturm? Am selben Tag absolvierte er jedenfalls noch vor einer jubelnden Menge einen Wahlkampfauftritt im Bundesstaat Wisconsin. Es gäbe ja viele Spekulationen wegen dieser "kleinen Debatte" vergangene Woche, witzelte er dort. Um dann auch auf dieser Bühne zu rufen: "Ich werde antreten. Und ich werde wieder gewinnen." An Selbstbewusstsein mangelt es Biden offenbar nach wie vor nicht.
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Bevor der Präsident in Wisconsin wieder sein Flugzeug Air Force One bestieg, wandte er sich dann noch trotzig an die anwesenden Reporter: "Ihr lagt bislang alle falsch", sagte er und bezog sich auf mediale Negativszenarien aus den Jahren 2020 und 2022. Tatsächlich schnitten die Demokraten unter Biden etwa bei den Zwischenwahlen deutlich besser ab, als es prognostiziert worden war. Die sogenannte "rote Welle" blieb 2022 aus. Die Republikaner konnten im Repräsentantenhaus nur eine knappe Mehrheit erzielen.
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Die Normalitäts-Strategie
So wie das Interview lässt auch dieser Wahlkampf-Auftritt in Wisconsin die negative Berichterstattung über ihn wohl kaum verschwinden. Aber die Strategie des Präsidenten ist womöglich simpler als man erwarten könnte. Es geht darum, konsequent Normalität zu vermitteln. So ist der ganze Apparat des Weißen Hauses beispielsweise längst getrimmt auf den seit Monaten geplanten Nato-Gipfel zum 75-jährigen Bestehen des Verteidigungsbündnisses in Washington kommende Woche.
Joe Biden muss dabei zahlreiche Termine unter den Augen der Öffentlichkeit absolvieren. Auch diese Momente sollen ihm jetzt innenpolitische Chancen bieten, sich als starker, internationaler Anführer einer Supermacht zu präsentieren. Doch sie bergen, wie immer bei diesem Kandidaten, auch Risiken. Die ganze Welt wird darauf achten, ob er wieder stolpert, stammelt oder doch dem immensen Druck standhalten kann. Allein, dass darauf geachtet wird, ist ein Makel, den Biden wohl bis zum Ende des Wahlkampfes nicht mehr loswerden wird.
Offenbar um ihn weiter zu stabilisieren, ist während des Nato-Gipfels auch eine Pressekonferenz mit dem Präsidenten anberaumt. Einem hochrangigen Mitarbeiter des Weißen Hauses war es am Freitag wichtig, bewusst darauf hinzuweisen, dass der Präsident "dabei auch Fragen entgegennehmen wird". Tatsächlich sind die Möglichkeiten, Joe Biden Fragen zu stellen, in dessen Amtszeit rar. Zu oft kam es dabei schon zu Patzern, sodass das Weiße Haus ihn offenbar lieber zu verstecken scheint.
Jeder Auftritt, den Joe Biden in den kommenden Tagen ohne große Pannen absolvieren kann, wird seinen Kritikern nun aber möglicherweise Wind aus den Segeln nehmen. Auf diese Weise könnte es dem Präsidenten tatsächlich noch gelingen, diesen Sturm doch noch zu überstehen. Zumindest, solange sich die enorm wichtigen Spender nicht von ihm verabschieden. Einige drohten damit zuletzt.
Die Flut an Spendenaufrufen per E-Mail, SMS oder Wahlkampfspots nahm in den vergangenen Tagen immer weiter zu. Sie alle beginnen mit: "Hier ist Joe Biden. Lasst es mich deutlich sagen: 'Ich trete an'" In einer heißt es in seinem Namen: "I'm more fired up than ever" ("Ich bin mehr bereit, als je zuvor"). Das soll kraftvoll und motiviert klingen.
Biden bleibt wackeliger Kandidat
Aber einen Tag vor seinem Fernsehinterview unterlief Joe Biden bei einem kleinen Interview mit einem lokalen Radiosender in Philadelphia dann wieder ein Versprecher, der seither ausgeschlachtet wird. "Ich bin stolz, wie gesagt, die erste Vizepräsidentin und erste schwarze Frau zu sein … die unter einem schwarzen Präsidenten dient", holperte er.
Es ist wie so oft bei Biden. Man ahnt, was er damit eigentlich sagen will: Er diente unter einem schwarzen Präsidenten Obama und er förderte mit Kamala Harris die erste schwarze Frau als Vizepräsidentin. Aber selbst diese einfachen Dinge bringt er einfach nicht über die Lippen.
Ob die Demokraten ihm trotzdem einen Sieg bei den Wahlen im November gegen Donald Trump zutrauen, wird sich in den kommenden Tagen, spätestens Wochen entscheiden. Geht es nach Biden entscheiden das aber nur er selbst oder eben "der Allmächtige".
- Eigene Beobachtungen
- Interview des Präsidenten bei ABC