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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kampf gegen Hass und Fakes Wie ein Deutscher bei Twitter & Co. aufräumen will
In den USA tobt eine Debatte: Denn Elon Musk will das Twitter-Konto von Donald Trump entsperren. Ein junger Gründer aus Los Angeles hat eine Idee, wie das Internet trotzdem sicherer werden kann.
Die einen sehen einen Sieg der Meinungsfreiheit, die anderen fürchten Gewaltexzesse und Hetze. Nach der Ankündigung von Elon Musk, er wolle das Twitter-Konto des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump entsperren, diskutieren die USA einmal mehr über "Free Speech" und "Hate Speech".
Tatsächlich hat Elon Musk als künftiger Besitzer von Twitter einen Plan formuliert: Er will das soziale Netzwerk zu einem besseren Ort machen. Wie aber soll ihm das gelingen? Im Gespräch mit t-online erzählt der deutsche Gründer Bastian Purrer (35), wie er mit seinem Projekt humanID in Los Angeles genau an dieser Herausforderung arbeitet.
t-online: Herr Purrer, worum geht es bei Ihrem Projekt humanID?
Bastian Purrer: humanID ist als gemeinnützige Organisation in den USA ansässig. Wir haben eine Technologie entwickelt, mit der man sich auf sozialen Netzwerken und anderen Plattformen authentifiziert einloggen kann. Da wir gemeinnützig sind, speichern wir aber keine Daten und haben keinerlei Anreiz, sie zu verkaufen. Der Login wird über uns quasi anonymisiert weitergegeben an Webseiten oder Apps, in die man sich einloggen kann.
Wozu soll das gut sein?
Wir garantieren einerseits zum Beispiel sozialen Netzwerken, dass hinter jedem Nutzer eine reale Person steckt. Sie können damit ihre Communitys schützen, zum Beispiel vor Bots, aber auch vor Datenleaks. Andererseits garantieren wir den Nutzern, dass wir direkt nach dem Login alle Daten löschen. Wir leiten an Webseiten- oder App-Anbieter nur eine eindeutige Nummer weiter. Außerhalb dieser Anwendung sind die Daten also auch überhaupt nicht nutzbar, weil sie nicht zuzuordnen sind.
Wer nutzt diese Software bereits?
Wir sind inzwischen auf mehreren Webseiten integriert, inklusive einiger kleinerer Social-Media-Webseiten und auch im Bereich Whistleblowing. Der Umgang von sozialen Netzwerken mit schwierigen Situationen muss sich ändern. Wir brauchen als Gesellschaften etwas anderes als komplette Sperren.
Elon Musk will Twitter für 44 Milliarden Dollar kaufen und kündigte jetzt an, er würde den gesperrten Twitter-Account von Donald Trump wieder freischalten. Halten Sie das also für eine gute Idee?
Wir wollen mit unserem Projekt dazu beitragen, dass es bessere Lösungen und neue Denkansätze gibt. Das Motto "Lasst uns alles Schlechte löschen und sperren!" halten wir tatsächlich für keinen guten oder demokratischen Ansatz.
Bastian Purrer ist Mitbegründer und Erfinder von humanID. Er lebt und arbeitet in Los Angeles.
Auch Musk sprach bereits davon, alle Nutzer bei Twitter künftig authentifizieren zu wollen. Er will aber ebenfalls keine Klarnamenpflicht, um die Anonymität zu schützen. Das klingt fast nach Ihrem Projekt, oder?
Es wäre ein möglicher Ansatz, ja. Wer derzeit gesperrt wird, kann innerhalb weniger Minuten einen neuen Account kreieren. So können Regeln nicht durchgesetzt werden, und es entsteht keine Glaubwürdigkeit in einem sozialen Netzwerk. Wir müssen die Offline-Welt in die Online-Welt holen. Wer sich im realen Leben schlecht benimmt, hat irgendwann keine Freunde mehr. Online besteht dieses Prinzip aber eben nicht. Dabei sollte auch im Internet jeder nur eine Stimme haben dürfen. Andererseits ist Anonymität wichtig, vor allem auch für unterprivilegierte Gruppen, wie zum Beispiel Aktivisten oder sexuelle Minderheiten.
Viele befürchten, mit Elon Musk käme der Hass zu Twitter zurück.
"Zurück" ist gut, das impliziert ja, dass die derzeitige Situation zufriedenstellend ist. Ist sie aber nicht. Bots und automatisierte Accounts manipulieren den Diskurs. Lügen, Rassismus und Hasskampagnen haben es leicht. Die einen fühlen sich belästigt und beleidigt, die anderen eingeschränkt und zensiert. Das in die Balance zu bringen, ist eine große Herausforderung. Musk hat dafür aber sowohl die intellektuellen als auch die finanziellen Möglichkeiten. Die Lösung für das Internet lautet: Standards setzen, die Vertrauen schaffen. Denen werden dann andere nacheifern, weil sie keinen Wettbewerbsnachteil haben wollen. Was aktuell ebenfalls fehlt, ist Transparenz. Wenn man löscht, dann sollte man zumindest sagen, was, warum und wie der Algorithmus genau funktioniert.
Soziale Netzwerke sind derzeit nicht sehr transparent bezüglich ihrer Algorithmen.
Richtig, und das ist sehr gefährlich. Nehmen wir das chinesische Netzwerk TikTok. Die gesamte westliche Jugend ist dort zu Hause. Die chinesische Führung aber hat direkten Einfluss auf diese Plattform. Sollte dort etwa russische Propaganda per Algorithmus bevorzugt verbreitet werden, würden wir das nicht mitbekommen. Es würde keiner wissen und keiner sehen und keiner merken. Auf ähnliche Weise hat Russland auch in Deutschland, den USA und anderswo auf Wahlen Einfluss genommen. Ich selbst habe etwas Ähnliches in Indonesien miterlebt. Die Wahlen dort sind im Chaos geendet. Die Leute haben dann Wahlergebnisse nicht mehr geglaubt und es kam zu Gewalt. Eigentlich so ähnlich wie bei den amerikanischen Wahlen, nur dass Indonesien eben global niemanden interessiert hat. Es geht eben nicht um Wahrheit, sondern um Vertrauen.
Das soziale Netzwerk von Donald Trump heißt "Truth Social". Das heißt, Sie plädieren eher für eine Art "Trust Social"?
Wahrheit entsteht ohnehin in den Köpfen der Menschen. Die wirkliche Grundlage ist das Vertrauen, dass es keine Manipulationen gibt. Wenn der Algorithmus offengelegt ist, wenn keine aufhetzenden Bot-Armeen mehr die sozialen Netzwerke überschwemmen, dann kann Vertrauen entstehen und Polarisierung zurückgehen.
Facebook, Twitter und YouTube könnten schon jetzt stärker gegen Fake-Accounts vorgehen. Sie haben aber schlicht kein Interesse daran, weil sie mit der Masse ihrer Nutzer Geld verdienen. Warum sollten diese Netzwerke, ein Interesse daran haben, so etwas wie humanID einzubauen?
Das ist richtig, Facebook und andere haben finanziell überhaupt kein Interesse daran. Facebook muss jedes Quartal seine Nutzerzahlen mitteilen. Ein Rückgang würde Riesenprobleme bedeuten, weil Werbekunden und Investoren ihr Geld abziehen würden. Wenn nun aber Twitter von der Börse genommen wird, besteht dieser Druck erst mal nicht mehr. Musk hat angekündigt, dass Regierungen und Unternehmen womöglich Geld für ihre Accounts zahlen müssen. Twitter hätte dann zumindest die Chance, unabhängiger von Markterwartungen, einen Standard zu setzen, den die Nutzer schätzen und dem dann andere nachfolgen würden.
Sollten nicht auch Regierungen diese Standards vorgeben? Die EU hat mit ihrer Datenschutzgrundverordnung einen solchen Standard gesetzt.
Grundsätzlich ist es richtig, dass der Staat Regeln schafft. Aber ich persönlich habe Sorge davor, wenn sich der Gesetzgeber zu sehr einmischt. Da sind wir wieder beim Thema Vertrauen. Man stelle sich vor, die Regierungen gäben das vor und es käme eine Partei oder ein Regime an die Macht, die diese Regeln missbrauchen würden. Man muss dazu nur nach China schauen. Dort gibt es die Identifizierung einzelner Personen im Netz de facto schon. Die Regierung hat letztlich direkten Zugang zu den Daten. In Indien wird so etwas Ähnliches gerade ebenfalls ausgerollt.
Wie sollten Demokratien dem begegnen?
Der digitale Raum ist viel leichter zu überwachen als der reale. Wir sollten unsere Demokratien darum stets so aufstellen, dass sie auch eine autoritäre Administration überleben. In diesem Zusammenhang spielen gemeinnützige Organisationen und "Open Source"-Projekte bereits eine wichtige Rolle, wie zum Beispiel die Wikipedia, das Internet"-Adressverzeichnis" ICANN oder eine Vielzahl von Internetprotokollen und Programmiersprachen.
- Eigene Recherchen
- Video-Interview