Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Wahlen in Ostdeutschland Die perfiden Geschichtsfälscher von der AfD
In Sachsen und Brandenburg stilisieren sich ausgerechnet Björn Höcke und andere aus der AfD als Erben der friedlichen Revolution. Das ist absurd, trifft aber einen Nerv.
Im Osten Deutschlands möchte die AfD zur Volkspartei aufsteigen. Dort führt sie einen ebenso schlauen wie perfiden Wahlkampf, der in Sachsen wie in Brandenburg gut anschlägt, wenn wir den Meinungsforschungsinstituten Glauben schenken: um die 25 Prozent kann die rechte Partei erreichen.
Schlau ist der Wahlkampf, weil er das Gemüt der Menschen in Ostdeutschland ziemlich gut trifft. Damit sind die Abgehängten genauso gemeint wie das Bürgertum, das der CDU abtrünnig geworden ist und hier eine konservative Heimat findet. Dazu gehören die Buchhändlerin in Dresden genauso wie Schriftsteller von der Güte Uwe Tellkamps ("Der Turm"), Apotheker in Cottbus wie Rechtsanwälte in Potsdam.
Perfider Wahlkampf, der die Geschichte fälscht
Man kann sie zu den Wutbürgern zählen – Wut auf Angela Merkel, Wut auf die CDU, Wut über den Verlust der Werte, die Veränderungen der letzten Jahre, von der Energiewende bis zur Flüchtlingsaufnahme. Alexander Gauland, der Renegat an der Spitze der AfD, ist der idealtypische Gesamtwutbürger, der sich spät im Leben radikalisiert.
Perfide ist der Wahlkampf, weil er Geschichte fälscht. So wirbt die AfD mit einem Konterfei Willy Brandts und schreibt dessen berühmten Aufruf aus dem Wahlkampf im Jahr 1969 darunter: Mehr Demokratie wagen. Vor 50 Jahren hieß das: mehr Liberalität, mehr Weltläufigkeit, mehr Offenheit, mehr Selbstbewusstsein.
Natürlich findet die AfD Brandt schrecklich. Sie wütet gerade gegen das Linksliberale in den etablierten Parteien und in der politischen Öffentlichkeit. Sie tritt für mehr Staat ein und nicht etwa für weniger. Die Stars der AfD verehren Putin und Orbán und Salvini und zeigen Verständnis für die antidemokratischen Tiraden, die Heinz-Christian Strache auf Ibiza absonderte.
Plötzlich mussten die DDR-Bürger die Konsequenzen erdulden
Mit ihrem Wahlkampf zielt die AfD woanders hin. Im Herbst jährt sich zum dreißigsten Mal die friedliche Revolution in der DDR. Hunderttausende Menschen auf der Straße wollten die DDR verändern, reformieren, manche wollten sie auch los haben und sogar den Anschluss an die Bundesrepublik. Alles, was DDR war, löste sich auf: politisch, sozial, ökonomisch. Der Soziologe Claus Offen spricht von der "Selbstauslieferung einer realsozialistischen Konkursmasse". Gleichwohl sind die Überreste noch deutlich zu sehen.
Das Ende war ein Anfang, aber dieser Anfang fiel schmerzhafter aus, als viele gedacht hatten. Gerade waren sie noch die Handelnden im Aufstand gegen die Obrigkeit gewesen, jetzt mussten sie die Konsequenzen erdulden. Viele empfinden es so: Sie seien übers Ohr gehauen worden, sie würden benachteiligt und müssten sich deshalb wehren. Dazu kommt ihnen die AfD gelegen.
Sie jubeln, wenn ein AfD-Wahlkämpfer sagt: Wir wollen die Wende vollenden. Sie klatschen frenetisch Beifall, wenn sie hören: Wir wollen unser Land zurück. Aber welches Land denn? Andreas Kalbitz, der AfD-Spitzenkandidat in Brandenburg, stammt aus München, hat die rechtsextreme Szene durchlaufen, von den Republikanern bis zum Witiko-Bund.
Wovon redet Höcke da eigentlich?
Björn Höcke, der Messias der ganz Rechten, stammt aus Lünen im Kreis Unna und tut nur so, als hätte er 1989 mit demonstriert. Er sagt sinngemäß: Dafür sind wir damals nicht auf die Straße gegangen. Neulich in Cottbus erzählte er pathetisch von der Herrschaft des Unrechts, die über Deutschland verhängt worden sei, und von der Abschaffung des Deutschen durch die Fremden, die in westdeutschen Großstädten schon Wirklichkeit geworden sei. In welchen eigentlich?
Das Reden über das verlorene Land, über dem die AfD die Sonne wieder scheinen lassen will, hat zwei Vorteile. Einmal liegt es nahe, 30 Jahre danach darüber zu reden, was gewesen ist: die DDR, die verlorene Generation der Älteren, die auf der Strecke blieben, die Übernahme des Ostens durch den Westen, der Weggang der Ehrgeizigen.
Jede Partei, die SPD wie die CDU, hätte ihren Wahlkampf darauf konzentrieren können. Keine hat sich getraut, außer der AfD. Nun passiert, was immer passiert: Die AfD klittert nach Belieben die Geschichte und löst damit helle Empörung aus. Damit hat die Rechte ihr Ziel erreicht, ihre Mission erfüllt.
Die Landtagswahlen sind ein Stimmungstest für die AfD-Führung
Im Wahlkampf bleibt immer die Wahrheit auf der Strecke, daran sollten wir gewöhnt sein. Sie wird gebeugt und gestreckt, halbiert und verdoppelt. Die AfD geht allerdings weiter, sie macht es wie die SED früher: Sie lügt sich die Vergangenheit zurecht. Damit gelangt sie in die Offensive und zwingt die anderen Parteien in die Defensive.
Nur ist Empörung kein besonders starkes Argument. Das könnten sie langsam wissen, die CDU wie die SPD, und sich auch mal etwas einfallen lassen, womit sie den Ton angeben. Die Linke schweigt ohnehin stille. Was sollte sie auch sagen – wir wollen unser Land zurück?
Der zweite Vorteil liegt darin, dass die AfD ihren Machtkampf für die Dauer der drei ostdeutschen Wahlen – Thüringen ist am 27. Oktober dran – aussetzen kann. Zum Jahresende wird der Bundesvorstand der Partei neu gewählt. Dabei steht Björn Höcke gegen Alexander Gauland, darauf läuft es hinaus. Zwei Männer, zwei Generationen, zwei Grundhaltungen zur Zukunft der AfD.
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Jeder Wahlsieg in den Ländern wird Höcke zugerechnet werden. Jeder Wahlsieg kann zum Problem für Gauland werden. Und die AfD muss sich dann entscheiden, was sie sein will: eine rechte CDU oder eine halbfaschistische Führerpartei.
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