Trumps Richter-Kandidat Warum der Fall Kavanaugh so bedeutend ist
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mehrere Frauen werfen Brett Kavanaugh sexuelle Übergriffe vor. Die Republikaner drängen auf eine Abstimmung. Warum wäre seine Berufung in den Obersten Gerichtshof so folgenreich? Fragen und Antworten.
Gestern sagten Christine Blasey Ford und Brett Kavanaugh stundenlang vor dem Senat aus. Er möchte Richter am Obersten US-Gerichtshof werden. Sie wirft ihm sexuelle Übergriffe vor. In den USA gelten beide Anhörungen schon jetzt als historisch. Aber worum ging es genau und was steht auf dem Spiel?
Welche Vorwürfe gegen Kavanaugh gibt es?
Mittlerweile erheben drei Frauen offen Anschuldigungen gegen Brett Kavanaugh.
1. Christine Blasey Ford: Die heute 51-Jährige hat gestern vor dem US-Senat ausgesagt, der über Kavanaughs Nominierung entscheidet. Sie wirft Kavanaugh vor, sie zusammen mit Mark Judge, einem engen Freund, auf einer Party in einen Raum gedrängt, sich auf sie gelegt, ihr den Mund zugehalten, sie angefasst und versucht zu haben, sie auszuziehen. Also: eine versuchte Vergewaltigung. Sie war damals 15, Kavanaugh 17. Sie sagte vor dem Senat, sie sei zu 100 Prozent sicher, dass Kavanaugh der Täter war.
Zeugen gibt es nicht. Ford erzählte aber einem Therapeuten von einem sexuellen Übergriff, den Schüler einer "Elite-Schule für Jungen" begangen hätten, die heute "hochrangige Mitglieder der Gesellschaft in Washington" seien. Auch Freunde Fords bezeugen, dass sie im Laufe der Zeit von dem Angriff erzählt habe, und auch, dass der Täter heute Bundesrichter sei. Ein Lügendetektortest ergab, dass sie ihre Erinnerung wohl korrekt wiedergibt. Solche Tests sind in den USA zwar weit verbreitet, aber wissenschaftlich extrem umstritten.
2. Deborah Ramirez: Sie wirft Kavanaugh vor, er habe ihr vor 35 Jahren auf einer Party an der Universität in Yale seinen Penis ins Gesicht gedrückt. Namentliche Zeugen, die den Vorwurf stützen, sind nicht bekannt.
3. Julie Swetnick: In einem Statement, das ihr Anwalt Michael Avenatti veröffentlichte, berichtet sie von Partys in den Jahren 1981 bis 1983. Kavanaugh habe damals exzessiv getrunken. Er und Freunde hätten Frauen gezielt betrunken gemacht, um sie dann der Reihe nach zu vergewaltigen. Im Jahr 1982 sei sie selbst Opfer einer solchen Vergewaltigung geworden; Kavanaugh sei anwesend gewesen.
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Was sagt Kavanaugh dazu?
Er streitet alle Vorwürfe ab. Er bezweifelt nicht, dass Ford erlebt hat, was sie beschreibt – nur, dass sie sich an den richtigen Täter erinnert. Er habe damit nichts zu tun.
Die Vorwürfe stellt er als Rufmordkampagne der Demokraten dar, um seine Nominierung für den Obersten Gerichtshof zu verhindern. Er und seine Familie seien "komplett und dauerhaft zerstört" worden. "Dieser Nominierungsprozess ist zu einer nationalen Schande verkommen", sagte er.
Ist Kavanaugh also schuldig oder unschuldig?
Am Ende ist es wie meistens bei sexuellen Übergriffen: Wenige sehen zu, wenige wissen, was genau passiert ist.
Fords Vorwürfe sind schwerwiegend, weil sie sich zwar nicht an den genauen Tag erinnert, aber in ihrer Darstellung sehr konsistent ist, die sich auch mit Berichten an enge Freunde über Jahre deckt.
Kavanaugh dagegen hat mehrfach gelogen oder sich in Widersprüche verstrickt. Zuerst leugnete er beispielsweise, sich als Minderjähriger überhaupt so betrunken zu haben. In der Senatsanhörung gab er dann sein exzessives Trinken zu. Als die Vorwürfe bekannt wurden, sagte er, er sei nicht auf der fraglichen Party gewesen – dabei hatte Ford Zeit und Ort der Party nicht spezifiziert, weil sie sich daran nicht erinnern könne. Er konnte also gar nicht wissen, um welche Party es gegangen sein könnte. Kavanaugh sagte auch, er habe Frauen immer "mit Würde und Respekt" behandelt. Später stellte er sich heraus, dass er zu Studienzeiten Mitglied von Männergruppen war, die für machohafte und sexualisierende Behandlung von Frauen bekannt waren.
Dazu kommt: Ford wünscht sich eine Untersuchung durch das FBI, um Fakten zu sammeln. Kavanaugh lehnt das ab. Als er im Senat mehrfach gefragt wurde, warum, schwieg er irgendwann einfach.
Wie geht es jetzt weiter?
Ob Kavanaugh schuldig ist, wird schwer nachzuweisen sein. Es steht Wort gegen Wort. Aber die Berichte sind so schlüssig, dass jetzt auch die "American Bar Association", in der mehr als 400.000 Juristen zusammengeschlossen sind, eine Untersuchung durch das FBI fordert.
Trotzdem wollen die Republikaner seine Berufung nicht aussetzen und auch keinen anderen Kandidaten nominieren. Er soll möglichst schnell ernannt werden. Auch Präsident Donald Trump verteidigt ihn.
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Zuerst stimmt der Justizausschuss des Senats ab. Dort sitzen elf Republikaner und zehn Demokraten. Sollten alle Republikaner für Kavanaugh stimmen, käme es am Montag im ganzen Senat zur Abstimmung. Dort haben die Republikaner eine Mehrheit von 51 zu 49 Sitzen. Es bräuchte dann zwei Abweichler unter den Republikaner, um die Nominierung zu verhindern.
Warum halten die Republikaner an Kavanaugh fest?
Kavanaugh gilt als extrem konservativ. Aber das sind viele andere hohe Richter, die für das Amt in Frage kämen, auch. Dass die Republikaner so entschieden an ihm festhalten, dürfte mehrere Gründe haben.
Erstens nominiert der Präsident einen Richter am Obersten Gerichtshof – und Trump will Kavanaugh. Es ist nicht zu erwarten, dass Trump eine eigene Entscheidung widerruft. Die Republikaner folgen ihm.
Zweitens ist Kavanaugh ein Kritiker der Entscheidung "Roe v. Wade" von 1973, die zu den bekanntesten und umstrittensten Entscheidungen des Gerichts gehört. Das Gericht etablierte damit das Recht auf Abtreibung. Vor allem evangelikale Abtreibungsgegner wollen diese bislang unangefochtene Entscheidung revidieren. Kavanaugh gilt als offen dafür.
Außerdem vertrat Kavanaugh in einem Artikel 2009 die Ansicht, amtierende US-Präsidenten sollten vor Strafverfolgung geschützt sein, nicht einmal verhört werden können. Im Senat wurde er kürzlich gefragt, ob er glaube, dass ein US-Präsident das Recht habe, sich selbst zu begnadigen – Trump behauptet das nämlich. Kavanaugh verweigerte eine Antwort.
Dazu kommt: Im November sind Wahlen. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, könnten die Demokraten danach eine Mehrheit im Senat haben, und damit theoretisch jeden Kandidaten Trumps blockieren. Das wäre zwar ein Bruch mit den Normen, aber die Republikaner haben es bei Obamas Kandidaten Merrick Garland genauso gemacht. Nur deshalb konnte Trump später Neil Gorsuch ins Gericht bringen. So gefährdet jeder Aufschub die konservative Mehrheit im Supreme Court.
Was würde seine Nominierung bedeuten?
Oberste Richter in den USA werden auf Lebenszeit ernannt. Kavanaugh würde den Supreme Court auf lange Zeit noch konservativer machen: Vier Richter wurden von den demokratischen Präsidenten Clinton und Obama ernannt, vier von den republikanischen Präsidenten Bush, Bush Jr. und Trump. Kavanaugh wäre der fünfte.
Aber eine konservative Mehrheit entstünde auch mit jedem anderen konservativen Kandidaten. Die Senatoren könnten Trump klarmachen, dass er einen anderen Richter nominieren muss. Kavanaugh zu berufen, könnte gravierende Folgen haben. Er wäre ein Kandidat, der berufen wird, obwohl es ernsthafte Zweifel an seiner Integrität, seiner Rechtschaffenheit und seiner Wahrheitstreue gibt. Er würde berufen, ohne die Vorwürfe auch nur ernsthaft zu untersuchen. Einfach, weil der Präsident es will.
Kavanaugh wäre Trump und dem Senat etwas schuldig. Er wäre ein Richter von deren Gnaden. Seine Unabhängigkeit wäre zweifelhaft. Gleichzeitig hätten sich die republikanischen Senatoren entschieden, mit alten Normen zu brechen und einen potentiellen Straftäter zu berufen, nur weil er der Kandidat des Präsidenten ist. In den USA sagt man, sie würden "Party over Country" wählen, also das Wohl der Partei vor das des Landes stellen. Trump wüsste, dass sich die Senatoren danach umso schwerer gegen ihn stellen können. Der Supreme Court selbst und der Senat, zwei der wichtigsten Kontrollinstanzen, könnten ihre Funktion nicht mehr voll erfüllen.
- Berichte über die Anhörung, u.a. in der "Washington Post", bei "Vox" und "CNN"
- Überblick über die Vorwürfe in der "Washington Post"
- dpa, Reuters