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Kolumne zu Missbrauch in den USA: Unter Männerschweinen


Missbrauch in den USA
Unter Männerschweinen

Meinungt-online, Gerhard Spörl

27.11.2017Lesedauer: 5 Min.
In schlechter Gesellschaft: Der CBS-Moderator Charlie Rose (M.), der Senatskandidat Roy Moore (l.) sowie der Filmmogul Harvey Weinstein (r.).Vergrößern des Bildes
In schlechter Gesellschaft: Der CBS-Moderator Charlie Rose (M.), der Senatskandidat Roy Moore (l.) sowie der Filmmogul Harvey Weinstein (r.). (Quelle: dpa-bilder)

Was ist da los? Reihenweise müssen Stars in der US-Film- und Fernsehbranche eingestehen, dass sie sich an Frauen vergangen haben. Nur zwei Politiker, die unterschiedlicher nicht sein könnten, möchten Konsequenzen vermeiden.

Charlie Rose führte die besten Interviews im Fernsehen, die ich je gesehen habe. Meistens nur ein Gast, immer nur ein Thema, das er eine Stunde lang traktierte. Er ist 75 Jahre alt, sieht blendend aus, mit seinen melancholischen Augen und dem kantigen Kinn.

Damit ist es vorbei, seit die "Washington Post" acht Frauen zwischen 21 und 37 Jahren von ihren Begegnungen mit Charlie Rose in den letzten Jahren erzählen ließ: lüsterne Anrufe, Grapschen an den Brüsten, zwischen den Beinen, am Po; gelegentlich empfing Rose Frauen, die Angestellte seines Senders waren, nackt. "Unerwünschte sexuelle Übergriffe" nennt Amerika das Verhalten dieser seltsamen Männer, von denen wir fast Tag für Tag mehr erfahren, als wir je wissen wollten.

Zum Beispiel der Kabarettist Louis C.K., der die Angewohnheit hatte, Frauen zu fragen, ob er in ihrer Gegenwart masturbieren dürfe oder sie dazu aufforderte, es ihm gleich zu tun. Natürlich auch Kevin Spacey, vor allem aber Harvey Weinstein, der das Schweigen der missbrauchten Frauen mit Millionen Dollar erkauft hatte und dann Detektive auf jene Frauen ansetzte, die öffentlich von ihren Erfahrungen mit ihm erzählen wollten.

"Männer sind Schweine", haben Die Ärzte gesungen: "Traue ihnen nicht, mein Kind / Sie wollen alle das Eine / weil Männer nun mal so sind." Da ist mehr dran, als ich glaubte.

Macht, die Sex erzwingt, ist die brutale Krönung männlicher Machtausübung

Wo es ein Machtgefälle zwischen zwei Menschen gibt, eröffnet sich die Möglichkeit zum Missbrauch. Man kann den anderen oder die andere demütigen, erniedrigen, mit ihnen spielen, sie abwechselnd gut oder schlecht behandeln. Sadismus schwingt mit. Willkür ist die Methode, Kälte die Voraussetzung. Macht, die Sex erzwingt, ist die brutale Krönung männlicher Machtausübung. Harvey Weinstein war ein Serientäter, und Bill O’Reilly, dem der Sender Fox kündigte, als seine Schweigevereinbarungen mit Frauen herauskam, verhielt sich nicht anders.

Natürlich lösen die Missbrauchsfälle in Amerika eine heftige Debatte aus. In der ersten Phase ging es um das Showgeschäft als Tatort. Die meisten Übeltäter gestanden sofort ein, womöglich getan zu haben, wessen sie bezichtigt werden, obwohl sie sich nicht daran erinnern wollten. Was sollen sie auch sagen? Sie verlieren ihre Jobs und ihre bürgerliche Reputation. Sie sind Ausgestoßene, wo sie doch gerade noch die Spinnen im Netz gewesen waren, in Hollywood-Produktionen und Netflix-Serien. Fast alle sind zu alt für zweite Chancen.

Gibt es in Amerika besonders viele Männerschweine?

Was passiert da? Gibt es in Amerika besonders viele Männerschweine? Wohl kaum, wenn wir uns an Dominique Strauss-Kahn oder Silvio Berlusconi erinnern. In England veröffentlichte Ende Oktober das grelle Boulevardblatt "The Sun", dass es eine geheime WhatsApp-Gruppe gebe, der etliche Parlamentsabgeordnete angehörten und schilderte deren sexuelle Übergriffe. Seither mussten einige Abgeordnete beider Parteien ihr Mandat niederlegen.

Das historisch Besondere an Amerika ist der protestantische Purismus, der ein unfreies Verhältnis zur Sexualität nach sich zieht, offenbar immer noch und eben bis heute. Auch wenn die Ost- und die Westküste an kultureller Liberalität kaum zu überbieten sind, gibt es das Mehrheits-Amerika dazwischen, in dem Kleinkinder nur mit Pampers bekleidet nicht im Garten spielen dürfen und für Teenager seltsame Dating-Regeln gelten.

Richtig spannend wird die Debatte über Macht und Sex, sobald sie ins Politische hineinspielt. Das ist die zweite Phase, die der unvermeidliche Donald Trump einläutete, als man ihn in einem Video sagen hörte: "Wenn du ein Star bist, lassen sie doch das machen. Pack sie an der Pussy. Du kannst alles tun."

Für Trump erwuchsen keine Konsequenzen

Ja, so reden sie, wenn sie unter sich sind, so denkt ein mächtiger Star, der hin greift, wohin er greifen möchte, und Hingabe von den Frauen erwartet, weil er doch der Star ist. Für Trump erwuchsen daraus keine Konsequenzen. Der Star konnte ungestört Präsident werden.

Die dritte Phase entfaltet sich um Roy Moore in Alabama. Das ist ein durchgeknallter Spießer, der 9/11 für eine Strafe Gottes hält, weil Amerika Sodomie (das ist das Codewort für Homosexualität) duldet und Abtreibungen zulässt. Den Rechtsstaat würde er gerne abschaffen und Gottes Gesetz als einzig gültiges Recht einsetzen. Das ist der tiefe Süden, wie er im Bilderbuch steht.

Spinner wie Moore muss eine Demokratie ertragen und kann es auch, wenn sie auf niedriger politischer Ebene bleiben. Der "Ajatollah von Alabama" will aber am 12. Dezember in den Senat in Washington gewählt werden. Im Wahlkampf kam heraus, dass er vor vielen Jahren jungen Mädchen, 14 oder 15 Jahre alt, nachgestellt hatte; da war er Anfang 30 und stellvertretender Staatsanwalt. Moore streitet alles ab und will die "Washington Post", die mit den Frauen gesprochen hatte, wegen Verleumdung verklagen. Das soll er ruhig mal machen. Die Vorfälle sind polizeilich aktenkundig, Moore hatte sogar Hausverbot in einem Einkaufszentrum bekommen, in dem er auf Jagd gegangen war.

Mittlerweile sind wir in Phase vier der Geschlechterdebatte angelangt, mitten im Kulturkampf, der Amerikas politisches System durchdringt und dysfunktional macht. Denn natürlich ergab es sich, dass auch ein Demokrat unter den Männerschweinen zu finden ist: Al Franken, ein Kabarettist, der vor zehn Jahren in die Politik ging und Senator für den Bundesstaat Minnesota ist. Auf einem Foto fasst er einer schlafenden Frau an die Brüste. Er erinnere sich anders als die schlafende Frau an das Vorkommnis, sagte Al Franken. Ziemlich dürftig.

Unter den Demokraten ist das Entsetzen groß. Al Franken rührt an das Selbstbild von den moralisch überlegenen Demokraten, die sich nicht einzig an der Macht orientieren wie die Republikaner, sondern höhere Werte beachten. Frei von Heuchelei war dieses Selbstverständnis nie. Denn da war doch auch noch Bill Clinton, der ewige Fremdgeher und Weltmeister aller Ausreden.

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Als er wegen des Verhältnisses mit der Praktikantin Monica Lewinsky ("I didn’t have sex with this woman, Ms. Lewinsky") seines Amtes enthoben werden sollte, da haben seine Parteifreunde den Vorfall rein politisch interpretiert: als bösartigen Versuch der Opposition, den Wunderknaben Clinton aus dem Weißen Haus zu vertreiben. War das richtig, vor allem moralisch richtig, grübeln sie jetzt? Die Frage stellen, heißt sie verneinen.

Gefälle zwischen Männer und Frauen ändert sich

Momentan befinden wir uns in Phase fünf, in der wir herausfinden sollten, worum es eigentlich geht. Was passiert in Amerika jenseits der Männerschweinerein? Wofür eigentlich könnten sie ein Symptom sein?
Darauf gibt es eine spektakuläre Antwort, wenn man will: Im Jahre 2017 hat sich in Amerika das Gefälle zwischen Männer und Frauen diametral verändert. Nunmehr stellen Frauen die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung. Auch die Mehrheit der Manager sind Frauen. Von fünf Studierenden, die ihren Abschluss an einem College bestehen, sind drei weiblich. Die Männer: eine Minderheit, der die Felle wegschwimmen.

Eine Revolution deutet sich an. Womöglich sind Frauen für die postindustrielle Gesellschaft besonders gut vorbereitet. Es wird spannend, wie sich nun Männer und Frauen in dieser Arbeitswelt begegnen werden. Denn die Verkehrung der Verhältnisse wird sich auch kulturell ausprägen.
In dieser Perspektive erledigen sich die Männerschweine gerade selber. Der Skandal besiegelt das Ende der Stars, die glaubten, sie könnten sich alles erlauben. Ihre Ära hat ja auch wirklich zu lange genug gedauert und zu viele Menschen zerstört.

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