Krise im Nahen Osten Wilde Jungs wollen zeigen, wie stark sie sind
In Saudi-Arabien geht das Regime der Greise zu Ende und ein Dreißigjähriger darf für Aufruhr drinnen wie draußen sorgen: Mohammed bin Salman schürt die Angst vor einem Krieg mit Iran um die Vorherrschaft in der Region. Natürlich gefällt Donald Trump das markige Auftreten, während Israel still einverstanden ist.
Für mich war Saudi-Arabien bislang ein Buch mit sieben Siegeln, ein komisches Gebilde, eine absolute Monarchie aus Öl, Gas und einem altertümlichen Islam, der den Frauen alles verbietet, was auch nur annähernd mit Moderne zu tun hat. Dort herrschten alte Männer zwischen 80 und 90, die es einer Unzahl von nichtsnutzigen Prinzlingen erlaubten, sich zu greifen, was sie haben wollten. Der treffendste Satz über das Regime der Greise stand in der „New York Times“: In Saudi-Arabien regiert nicht der Kapitalismus oder der religiöse Fundamentalismus, sondern: Alzheimer.
Der gegenwärtige König ist 81 Jahre alt. Er könnte es noch ein paar Jahre machen und dann wäre Mohammed bin Naif dran, der erst 58 Jahre alt ist, ein Youngster nach den Maßstäben der Gerontokratie. So ging es immer zu, seitdem Saudi-Arabien im Jahr 1932 gegründet wurde, ein merkwürdiges Land, so reich und so absurd wie wenige andere. Eine Familie mit vielen Zweigen machte unter sich aus, welcher König aus welchem Zweig Nachfolger sein sollte, und der wurde es dann auch. Erbfolge auf Saudisch im 21. Jahrhundert.
Jetzt aber tut sich Erstaunliches: eine Revolution. Sie löste König Salman aus, der sich nicht an das Brauchtum hält. Als seinen Nachfolger bestimmt er den kleinen Cousin vom eigentlichen Thronfolger, der lächerliche 32 Jahre alt ist und nur MBS genannt wird, das steht für Mohammed bin Salman. Zuerst durfte er sich als Verteidigungsminister bewähren, was er offenbar mit der Intervention im Jemen, einem uralten Rivalen der Sauds, hinreichend erledigt hat. Ansonsten wissen wir nicht all zu viel über ihn, außer dass er einen Bachelor in islamischer Rechtswissenschaft hat und als „extrem korrupt, raffgierig und arrogant“ galt, wie die „Zeit“ schrieb.
Wir müssen uns wohl daran gewöhnen, dass auf alte Männer die Anfangsdreißiger folgen. Der neue Kanzler in Österreich ist der jüngste der neuen Garde, 31 Jahre alt, und großmachtstrategisch betrachtet der unwichtigste. Ein Jährchen älter ist MBS, 32, und der Älteste unter den wilden Jungs ist Kim Jong-un mit 33. Der Nordkoreaner hat für allerlei Unruhe gesorgt und sogar Alpträume über einen Nuklearkrieg verursacht. Nun sorgt der Saudi für eine Revolution im eigenen Land und auch dafür, dass im Nahen Osten die Angst vor noch mehr Krieg umgeht. So sind sie, die Jungs.
Saudi-Arabien ändert sich und seine Rolle. Der jeweils amtierende König wartet nicht mehr darauf, was aus Washington zu hören ist, wenn sich neue Konflikte abzeichnen. Die Entfremdung zwischen der Regionalmacht und der Supermacht ist ein Drama. Es begann damit, dass Amerika den ägyptischen Autokraten Mubarak fallen ließ und den arabischen Frühling als Zeitenwende verstand. Es setzte sich fort, als Barack Obama eine rote Linie in Syrien zog, für den Fall von Angriffen mit Giftgas, doch dann die Konsequenzen scheute.
Aus Sicht Saudi-Arabiens, genauso wie aus der Israels, war Amerika unzuverlässig geworden. Obama machte den Fehler, Stabilität durch Demokratie zu ersetzen, und nahm sich sogar heraus, ein Abkommen mit Iran einzugehen. Donald Trump hingegen ist für König Salman und seinen Zögling ein guter Präsident, weil er Iran für den Terrorismus in der Region verantwortlich macht und das Eingreifen in Syrien verurteilt und das Atomabkommen am liebsten kündigen würde.
Unter den neuen Umständen gibt es wieder die alte Dreifaltigkeit aus Amerika, Israel und Saudi-Arabien im Nahen Osten. Darauf kann MBS bei seiner Revolution nach innen und dem Machtanspruch nach außen bauen.
Revolution nach innen: Die Frauen dürfen jetzt Auto fahren. Das ist wenig und viel zugleich. Lächerlich wenig, gemessen an unseren Maßstäben, und viel, gemessen an der islamischen Tradition der Saudis. Was ein ordentlicher Wahhabit ist und den Koran wörtlich nimmt, sieht darin ein Sakrileg – den Anfang vom Ende der Unterdrückung der Frauen. Schön wär’s.
Es geht verdammt schnell, plötzlich, in diesem Land, in dem kulturell die Zeit stehen blieb. König Salman setzte ein Antikorruptions-Komitee ein, dem MBS vorsteht. Umstandslos ließ er elf Prinzen, vier Minister, einige ehemalige Minister und einen Milliardär verhaften. Nicht schlecht. Um die Prinzen ist es vermutlich nicht schade, wer kennt sie schon. Um die Minister eher auch nicht.
Nur die Verhaftung des Milliardärs erregte im Ausland Aufsehen. Al-Walid bin Talel ist der Enkel des saudischen Gründerkönigs und hat in Amerika viel Geld investiert, zum Beispiel bei der City Group oder bei Disney oder bei McDonald’s; in Deutschland hält er Aktien bei Möwenpick und verlor reichlich Geld bei der Kirchmedia. Er wird „der arabische Warren Buffett“ genannt. Es ist also so, als wäre in Amerika Warren Buffett verhaftet worden.
Vor ein paar Jahren habe ich bin Talel mit Bernhard Zand für den „Spiegel“ interviewt. Kluger Mann, massiv selbstbewusst, arabischer Macho mit blaugetönter Brille, in der Welt zu Hause, Botschaft: Ich komme aus bestem Haus, habe mir eine Menge aufgebaut, gebe viel Geld für Kultur aus und bin an stabilen Verhältnissen interessiert, weil ich Geschäfte machen will.
Was geht in Saudi-Arabien vor sich? Der Kampf gegen Korruption ist nur ein Vorwand. Klingt gut, macht sich prima. In Wirklichkeit geht es um präventive Machtabsicherung gegenüber Gegnern der Revolution nach innen und für die Wendung nach außen.
Seit langem sieht sich Saudi-Arabien als Schutzmacht der Sunniten im Konflikt mit dem schiitischen Iran. Wo es um Religion geht, geht es mehr noch um die Vorherrschaft im Nahen Osten. In Syrien, im Irak und im Jemen finden Stellvertreterkriege statt. Das könnte sich ändern. Denn vor ein paar Tagen flog eine ballistische Rakete aus dem Jemen in Richtung auf einen Flughafen bei Riad. Die saudische Flugabwehr holte sie rechtzeitig vom Himmel. MBS und seine Jungs machten zuerst die Hisbollah und gleich darauf Iran direkt dafür verantwortlich. Man könnte den Vorgang als einen kriegerischen Akt bewerten, sagte der Außenminister.
Die Hisbollah ist eine Macht von iranischen Gnaden in Libanon. Sie sitzt im Parlament wie eine normale Partei und gehörte auch der Regierung an, die immer ein Konglomerat des Unvereinbaren ist, aber so ist das nun einmal in diesem Land, das auch merkwürdig ist, gepeinigt von Bürgerkriegen, von der Intervention Syriens und Israels. Ministerpräsident bis gerade eben war Said Hariri, der nach Riad flog und von dort aus seinen Rücktritt verkündete. Dafür gab er zwei Gründe an: Morddrohungen (sein Vater war auch Premier und wurde umgebracht) und Irans Einmischung im Libanon.
Dass Hariri in Riad sitzt, sagt etwas über die Machtverhältnisse im Libanon aus und über den Wunsch nach Eskalation. Es sieht ganz so aus, als wollte MBS der Welt am Beispiel Libanon beweisen, was er will und kann. Mohammed bin Salman könnte versucht sein, einen Krieg anzetteln, zumal in Amerika alles auf Verständnis stößt, was nach maskuliner Entschlossenheit und Machtdemonstration aussieht. Und da gibt es ja auch noch das stille Einverständnis mit Israel.
Was folgt daraus? Im Nahen Osten ist immer alles möglich und man nimmt besser das Schlimmste an. Der Libanon ist immer gut für einen Stellvertreterkrieg, genauso wie für eine direkte Konfrontation zwischen Saudi-Arabien und Iran oder auch eine Intervention durch Israel. Jeder kann tun, was er will, denn es gibt nun einmal keine Ordnungsmacht.
Die Unruhe wirkte sich sofort auf dem Ölmarkt aus. Der Preis ging hoch bis um die 70 Dollar pro Barrel; das freut Amerika mit seinem Schiefergas, aber uns nicht. Käme es wirklich zu einem Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien, könnte die Straße von Hormuz geschlossen werden, durch die das Öl aus dem Persischen Golf für den Weltmarkt verschifft wird. Davon ist Amerika erheblich weniger abhängig als China oder Japan.
Der Nahe Osten ist die alte Welt, geformt nach dem Ersten Weltkrieg, ein Dauerproblem seit dem Zweiten. Dafür interessieren sich China, Japan und Südkorea nur deshalb, weil sie auf den Ölimport aus dem Persischen Golf angewiesen sind.
Der Nahe Osten ist aus dieser Perspektive ein Erbe Amerikas. Dort hat die Noch-Supermacht an Autorität und Glaubwürdigkeit verloren. Wie sie sich verhält, wenn aus dem Krieg der Worte zwischen Saudi-Arabien und Iran mehr werden sollte, wird in Asien genau beobachtet werden und hat Auswirkungen auf das Bündnissystem, das sich dort herausbildet, für und vor allem gegen China. Die kapitalistische Diktatur will ja bald schon sein, was Amerika kaum noch ist: die Supermacht, auf die es ankommt.