Das Massaker von Texas Eine Nation im Griff der Waffenfans
Nach dem Massaker an Kirchgängern in Texas werden härtere Waffengesetze gefordert – wieder einmal. Doch die wird es nicht geben. Drei Gründe, warum Amerika nicht von Waffen loskommt.
Eine Analyse von Fabian Reinbold
Amerika trauert, Amerika streitet. Es greifen dieselben Reflexe wie nach jedem Schusswaffen-Massaker. Konservative Politiker twittern, ihre Gebete und Gedanken seien bei den Opfern des Massakers von Sutherford Springs. 26 Besucher eines Gottesdienstes erschoss ein junger Mann in der texanischen Gemeinde. Linke Aktivisten schleudern den Konservativen auf Twitter entgegen, es fehle wahrlich nicht an Gebeten, sondern an Gesetzen gegen Schnellfeuerwaffen, deren Verbreitung in den USA die Opferzahlen Amoklauf um Amoklauf in die Höhe schießen lässt.
Gerade einmal fünf Wochen ist das schlimmste Blutbad, das ein Einzelschütze in der jüngeren US-Geschichte angerichtet hat, her. Dabei tötete Stephen Paddock mit seinen hochgerüsteten halbautomatischen Feuerwaffen in Las Vegas 58 Konzertbesucher und verletzte 550 (!).
Laut Ermittlern hat auch der Attentäter von Texas eine halbautomatische AR-15 benutzt – und war, wie sich im Laufe des Montags herausstellte, den Behörden bereits wegen Angriffen auf seine Ex-Frau und das gemeinsame Kind sowie wegen Tierquälerei bekannt. Und so schwillt der Chor derer wieder an, die sich nicht damit abfinden wollen, dass in den USA selbst Kriminelle und psychisch Kranke sogenannte military-style rifles oftmals im Handumdrehen erwerben können. Unterstützung kommt von Ex-Präsident Barack Obama: Er fordert konkrete Schritte, „um die Gewalt und die Waffen unter uns zu reduzieren."
Kommt jetzt eine neue große Waffendebatte? Werden die USA sich doch noch besinnen und zumindest auf ein paar ganz grundlegende Regeln für den Erwerb der tödlichsten Waffen einigen? Die Antwort lautet: Nein.
Warum ist das so?
Erstens: Donald Trump selbst wird nichts tun – der US-Präsident hat keinerlei Interesse an einer Debatte, weil er politisch nichts zu gewinnen hat. Einer seiner größten Wahlkampfschlager war die Lüge, seine Konkurrentin Hillary Clinton wolle den Bürgern ihre Waffen wegnehmen. Dabei hatte sie lediglich vorgeschlagen, dass es beim Kauf von halbautomatischen Waffen stärkere Überprüfungen der Kaufinteressenten geben sollte. Zum Massaker von Orlando vom Juni 2016 fiel Trump ein, dass sich die Bürger stärker bewaffnen sollten. Nach dem Blutbad von Las Vegas war es ihm wichtig zu betonen, was das Land jetzt auf keinen Fall bräuchte: eine Waffendebatte. Und nun gab er auf Nachfrage eines Journalisten zu Protokoll, der Fall zeige nicht, dass die USA ein Waffenproblem hätten, sondern ein Problem mit psychischen Erkrankungen. "Zum Glück hatte noch jemand eine Waffe und schoss zurück", so der Präsident. Mehr ist von ihm bei diesem Thema nicht zu erwarten.
Und selbst wenn der Präsident wollte, machen zweitens die politischen Machtverhältnisse im Land eine Regulierung nahezu unmöglich. Das hat auch Obama erfahren müssen, der es trotz vieler leidenschaftlicher Auftritte nicht schaffte, eine Mehrheit im Kongress hinter seinen Vorschlägen für ein Verbot von halbautomatischen Waffen und Begrenzung von Magazinen auf zehn Patronen zu vereinen. Die Republikaner, aktuell mit Mehrheiten in beiden Kammern, sind dagegen, auch ein relevanter Teil der Demokraten ist äußerst zögerlich. Auf beide Parteien wirkt die extrem mächtige Waffenlobby NRA ein, die sich viele Abgeordnete mit Großspendern im Wahlkampf gefügig macht – und quer durch 50 Bundesstaaten Initiativen unterstützt, die für eine Ausweitung von Waffenrechten kämpfen.
Und drittens ist die amerikanische Gesellschaft nicht mehr in der Lage, so etwas wie eine Waffendebatte überhaupt zu führen. Zwei Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber. Die einen fürchten Kriegswaffen in der Hand von Kriminellen und psychisch Kranken. Die anderen betrachten jeden Versuch einer Regulierung als Angriff auf ihre Freiheit – und sei es auch nur der Vorschlag, vor dem Verkauf von halbautomatischen Feuerwaffen den Interessenten etwas genauer zu überprüfen. Sie haben ein mächtiges Argument auf ihrer Seite. Der zweite Verfassungszusatz garantiert den Amerikanern seit 1791 das Recht auf Waffenbesitz, er kommt gleich nach Religions- und Meinungsfreiheit. Waffen sind damit nicht nur Waffen, die gun culture ist ein zentraler Teil amerikanischer Identität. Sie sorgt dafür, dass nach jedem Massaker die Waffenkäufe ansteigen.
Was müsste geschehen, damit sich etwas ändert in einem Land, in dem Jahr für Jahr zehntausende durch Waffengewalt sterben? Ein Massaker an Grundschulkindern? Das gab es bereits, kurz vor Weihnachten 2012 an der Grundschule Sandy Hook in Newtown, Connecticut. Ein 20-Jähriger marschierte mit einer halbautomatischen AR-15 und tötete unter anderem 20 Kinder im Alter von sechs und sieben Jahren. Geändert hat sich auf Bundesebene danach: nichts.
Nur 15 Einzelstaaten arbeiteten an ihren Gesetzen, fünf von ihnen verschärften sie – zehn lockerten sie noch weiter.