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Afghanistan: Warum die Nato vor einer folgenschweren Entscheidung steht


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Zeitenwende in Afghanistan?
Warum die Nato vor einer folgenschweren Entscheidung steht

MeinungEin Gastbeitrag von Ellinor Zeino, Kabul

22.03.2021Lesedauer: 3 Min.
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Afghanistan: Die Weichen im Land könnten neu gestellt werden, erklärt Expertin Ellinor Zeino im t-online-Gastbeitrag.Vergrößern des Bildes
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Afghanistan: Die Weichen im Land könnten neu gestellt werden, erklärt Expertin Ellinor Zeino im t-online-Gastbeitrag. (Quelle: Uncredited/Presidential Palace/ap-bilder)

Seit Jahrzehnten sichern Nato-Truppen den Frieden in Afghanistan, das könnte sich bald ändern. Doch der Westen muss weise vorgehen, um das Erreichte nicht zu gefährden, erklärt Expertin Ellinor Zeino im Gastbeitrag.

Die Nato und die USA stehen vor einer ihrer größten Entscheidungen im zwanzigjährigen Afghanistan-Einsatz. Vor gut einem Jahr hatten die USA unter Präsident Trump den Taliban im Doha-Abkommen einen vollständigen Abzug aller ausländischen Truppen bis Ende April 2021 versprochen und damit die afghanische Regierung wie auch die anderen Nato-Partner unter Zugzwang gesetzt.

Die Taliban und die USA zeigen das stärkste Interesse an einer zügigen Lösung. US-Präsident Biden hatte jedoch eine Überprüfung des von seinem Amtsvorgänger Trump ausgehandelten Abkommens angekündigt. Die Taliban drängen die USA, das Abkommen als einzig gangbaren Weg zu einer politischen Lösung nicht infrage zu stellen. Dieser Tage machte Präsident Biden deutlich, dass ein pünktlicher Abzug zum 1. Mai knapp werden könnte, man aber nur eine unwesentliche Verlängerung für einen vollständigen Abzug bräuchte.

USA sind entscheidend

Aktuell müssen die USA zwischen einem zeitnahen, wenn auch nicht pünktlichen, und einem an Konditionen geknüpften Abzug entscheiden. Bei einer Entscheidung für Letzteres besteht die Gefahr, dass die Taliban aus dem Friedensprozess aussteigen.

Dr. Ellinor Zeino ist Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kabul. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf vertrauensbildenden Dialogen im afghanischen Friedensprozess sowie auf regionalen Interessen und Bedrohungswahrnehmungen.

Ein Abzug der amerikanischen Truppen bedeutet auch das Ende der Nato-Mission. Ohne die amerikanischen Fähigkeiten werden die anderen Bündnispartner kaum eine Präsenz im Land aufrechterhalten. Aktuell sind noch 2.500 amerikanische Truppen in Afghanistan, im Vergleich zu 13.000 US-Truppen vor einem Jahr. Die USA stellen von den verbliebenen knapp 10.000 Nato-Truppen im Land nur noch einen kleinen Teil; Deutschland bleibt der zweitgrößte Truppensteller mit einer Obergrenze von 1.300.

Der Nato-Botschafter in Kabul, Stefano Pontecorvo, macht deutlich, dass man nicht länger als nötig im Land bleiben möchte. Der gemeinsame Tenor der Nato-Bündnispartner ist ein "geordneter, verantwortungsvoller Rückzug". Man möchte noch die nötige Zeit und Sicherheit für eine Verhandlungslösung bieten.

Im Doha-Friedensprozess haben die USA bislang die Dynamik und politischen Rahmenbedingungen vorgegeben und drängen die afghanischen Verhandlungsseiten auf Ergebnisse. Dies war auch der Grund, warum die USA überraschend zu einer Friedenskonferenz in der Türkei aufgerufen hatten, die im Sinne eines Bonn-II-Formats Prinzipien und Fahrplan für eine Übergangsregierung mit den Taliban festlegen soll.

"Bilateraler Separatfrieden"

Die Türkei-Konferenz im April ist Teil des Doha-Prozesses. Dennoch drückt die Initiative Ungeduld und Unzufriedenheit der USA mit den Entwicklungen in Doha aus; die beiden Verhandlungsteams in Doha hatten sich seit September letzten Jahres in Vorgesprächen über Verfahrensregeln und Agenda der Verhandlungen festgefahren und können bislang keine nennenswerten Ergebnisse vorweisen.

Bei der Türkei-Konferenz fällt ebenso auf, dass die EU und Deutschland, als zweitgrößter Truppensteller sowie zweitgrößter Geber von Aufbau- und Entwicklungshilfe fehlen. Hier kommt die zunehmende Kluft zwischen amerikanischem Pragmatismus und der werteorientierten Haltung der Europäer zum Vorschein.

Das Doha-Abkommen als "bilateraler Separatfrieden" zwischen USA und Taliban muss nun in einen innerafghanischen Prozess überführt werden. Die Taliban versprachen in Doha, keine internationalen Truppen anzugreifen; gleichzeitig erhöhten sie ihre Gewalt gegen die afghanische Regierung. In den afghanischen Verhandlungen beanspruchen zu viele Seiten einen Sitz am Verhandlungstisch. Für das Türkei-Treffen hatten die USA daher eine kleine afghanische Kerngruppe von einflussreichen Politikern vorgeschlagen, die eine zügige Einigung auf eine Übergangsverwaltung vorbereiten sollen.

Wahlen sollten unabhängig überwacht werden

Die Übergangsregierung soll – nach Vorstellung Washingtons – anschließend durch demokratische Wahlen legitimiert werden. Die Taliban haben kein Interesse an einer demokratischen Mehrheitsentscheidung. Zum einen müssen sie befürchten, in Wahlen nicht gut abzuschneiden – verschiedene Meinungsumfragen in den Provinzen ergaben in der Vergangenheit keinen hohen Rückhalt für die Idee eines Taliban-Emirats.

Zum anderen äußern Anhänger der Taliban in vertraulichen Gesprächen die Sorge, dass demokratische Wahlen nicht fair seien und ihnen das gleiche Schicksal wie dem islamistischen ägyptischen Präsidenten Mursi drohen könnte, der 2012 demokratisch gewählt und dann militärisch abgesetzt wurde. Aufgrund zahlreicher Fälle von Wahlbetrug und -manipulation in den letzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen müssten diese Wahlen in Afghanistan umfassend von der internationalen Gemeinschaft überwacht werden.

Präsident Ghani erklärte, dass er die Regierungsverantwortung nur an einen demokratisch legitimierten Nachfolger abgeben würde. In Gesprächen lässt die Ghani-Regierung durchschimmern, dass sie zu Neuwahlen im September bereit sei.

Die Nato steht vor einer schwierigen Abwägung ohne Erfolgsgarantie. Die eigentliche Entscheidung wird jedoch in Washington getroffen. Die Menschen in Kabul fühlen, dass nun die Weichen für das Land neu gestellt werden. Nur in welche Richtung sich der Prozess entwickelt, weiß niemand.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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