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Krieg in Nahost: Geisel-Familien berichten von "Entsetzen" über Netanjahu


Angehörige reagieren geschockt
"Regierung hat entschieden, die Geiseln zu opfern"

Von t-online, jse

03.06.2024Lesedauer: 3 Min.
Ministerpräsident Benjamin NetanjahuVergrößern des Bildes
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, Hamas-Kämpfer: Lässt er sich auf einen Geisel-Deal ein? (Quelle: IMAGO / UPI Photo, IMAGO )
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Geisel-Deal oder Fortsetzung des Krieges? Angehörige der entführten Israelis berichten von einem Gespräch, das Netanjahus Kalkül gezeigt haben soll.

"Wir waren entsetzt." Diesen Satz sagte Gil Dickmann am Freitag dem US-Sender NBC. Dickmann erzählte in dem Interview von einem Treffen, zu dem die Familien der von der Terrororganisation Hamas aus Israel verschleppten Geiseln von einem israelischen Regierungssprecher eingeladen worden waren. "So, wie er das sieht, wird Israel dem Krieg an diesem Punkt kein Ende setzen."

Die Aussage, die Dickmann und die anderen Angehörigen schockierte, ist aber eine andere: "Wir verstehen, dass der einzige Weg, alle Geiseln zurückzubringen, ein Deal ist, der den Krieg zu einem Ende bringt", soll der Sprecher gesagt haben. Doch dazu sei Netanjahu aktuell nicht bereit. "Er sagte uns, dass Netanjahu nur dazu zu bewegen sei, wenn es politisch vorteilhaft für ihn wäre. Wenn er Umfragen sieht, die zeigen, dass die Bevölkerung die Heimkehr der Geiseln mehr will als die Fortsetzung des Krieges, erst dann wird er einen Deal machen."

Video | Familien von Geiseln machen Druck auf Netanjahu
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Quelle: reuters

Geiseln und Land "in Gefangenschaft"

Das "Hostage Family Forum", die Vereinigung der Geisel-Angehörigen, kritisierte Netanjahu am Freitag scharf. "Die Regierung hat bewusst und freiwillig entschieden, die Geiseln zu opfern." Die Geiseln und das ganze Land seien in der Gefangenschaft derer, "die ihre politischen Interessen vor ihre Verpflichtung gegenüber der Nation stellen". Gemeint ist die Regierung Netanjahu, die Dickmanns Interview und die Erklärung des "Hostage Family Forums" inhaltlich nicht kommentieren wollten.

Netanjahu hat in den vergangenen Wochen immer wieder erklärt, die Befreiung der Geiseln nicht zu einem Teil der Verhandlungen über ein Ende des Krieges in Gaza machen zu wollen. Priorität sei die Zerstörung der Terrorgruppe Hamas. Die erklärte ihrerseits, eine Freilassung der Geiseln sei nur bei einem Rückzug israelischer Kräfte aus Gaza möglich.

"Unterstützt Biden den Vorschlag von Netanjahu?"

Teil dieser Gemengelage ist auch der Friedensplan, den US-Präsident Joe Biden am Freitag vorgestellt hatte. Biden erklärte, der Plan sei auch der der israelischen Regierung. Insider bestätigten unter anderem der "New York Times", dass die israelische Seite diesen Deal tatsächlich Vermittlern aus Katar, Ägypten und den USA vorgelegt hat. Dies stünde in direktem Widerspruch zu Netanjahus öffentlichen Aussagen, aber auch jenen, von denen das "Hostage Family Forum" berichtet. Der Plan soll in der ersten Stufe eine Feuerpause und die Freilassung von Geiseln vorsehen, schlussendlich in einem permanenten Ende des Krieges gipfeln.

Der US-Präsident hat, wie es scheint, also die Verhandlungspläne der Netanjahu-Regierung öffentlich gemacht – und damit Israels Premierminister in die Zwickmühle gebracht. "Biden hat eine einfache Frage gestellt", erklärt Netanjahu-Biograf und -Kritiker Ben Caspit der "New York Times": "Unterstützt Bibi (Netanjahus Spitzname, Anmerkung d. Redaktion) den Vorschlag von Netanjahu? Ja oder Nein. Kein Unsinn, keine heiße Luft." Soll heißen: Steht der israelische Ministerpräsident jetzt auch öffentlich hinter dem Plan, den er hinter verschlossenen Türen zuvor ausgehandelt hat?

Netanjahus politische Zukunft ist unsicher

Setzt Israel den Krieg in Gaza also fort oder lässt sich die Regierung auf einen Kompromiss mit Waffenstillstand und der Freilassung zumindest einiger Geiseln ein – vorausgesetzt, auch die Hamas akzeptiert den Deal? Egal, was Netanjahu tut: Seine politische Zukunft ist aktuell alles andere als sicher.

Lehnt Netanjahu den Deal seiner eigenen Verhandlungsgruppe ab, riskiert er die Unterstützung der Zentristen. Benny Gantz und Gadi Eisenkot, Politiker der Partei "Nationale Einheit", haben das Ende ihrer Unterstützung für Netanjahu angekündigt, sollte der Premier bis zum 8. Juni keinen langfristigen Plan vorgestellt haben.

Bevölkerung ist gespalten

Akzeptiert Netanjahu den Kompromiss, riskiert er die Unterstützung der rechten Teile seiner Regierung: Die Minister Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich haben bereits erklärt, Netanjahu stürzen zu wollen, sollte seine Regierung irgendeinen Deal unterzeichnen, bevor die Hamas vernichtet wurde.

Auch die Bevölkerung in Israel ist gespalten: In einer Umfrage erklärten 56 Prozent der Befragten, die Befreiung der Geiseln sei ihre höchste Priorität. Etwas mehr als ein Drittel nannte dagegen die Offensive in Rafah als oberstes Ziel. In einer anderen Umfrage erklärten 37 Prozent der Israelis ihre Unterstützung für einen Deal mit der Hamas, 43 Prozent sprachen sich für weitere militärische Offensiven gegen die Terrorgruppe aus. Netanjahus "Likud"-Partei liegt in aktuellen Umfragen hinter der zentristischen "Nationale Einheit" unter der Führung von Benny Gantz.

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