Krieg gegen die Ukraine Putin wohl zu Gesprächen bereit – mit Einschränkungen
Kremlchef Wladimir Putin zieht Bilanz zu seinem Krieg gegen die Ukraine und spricht dabei auch von Problemen. Er sei zu Gesprächen über die Zukunft bereit – mit Einschränkungen.
Kremlchef Wladimir Putin sieht den Westen mit seinen Versuchen gescheitert, Russland eine strategische Niederlage in der Ukraine zuzufügen. Das Ziel sei zerschmettert worden durch die "wachsende Kraft unserer Streitkräfte und Rüstungsproduktion", sagte Putin am Dienstag in Moskau bei einer Sitzung des Verteidigungsministeriums vor Militärs und Vertretern aus Politik, Kirche und Gesellschaft. Beim Krieg gegen die Ukraine "kann man mit Überzeugung sagen, dass die Initiative aufseiten unserer Streitkräfte liegt", sagte der russische Präsident.
Putin hatte den Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 befohlen; daraufhin stellten sich viele Staaten an die Seite des angegriffenen Landes und lieferten Waffen. Die im Sommer 2023 gestartete ukrainische Gegenoffensive zur Befreiung ihrer Gebiete von russischer Besatzung blieb hinter den Erwartungen der Politik und der Zivilgesellschaft zurück. Ausländische Experten wie das Institut für Kriegsstudien (ISW) in den USA beobachteten zuletzt, dass Russland mit seinen Vorstößen Geländegewinne erzielt.
Putin erklärt ukrainische Gegenoffensive für gescheitert
Putin hat die Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte zuletzt wiederholt für gescheitert erklärt. "Der Gegner erfährt schwere Verluste und hat in bedeutendem Umfang seine Reserven aufgebraucht", sagte der 71-Jährige. "Auch der Mythos von der Unverwundbarkeit westlicher Militärtechnik ist zusammengebrochen." In einer Schweigeminute ließ Putin der bei den Kämpfen getöteten russischen Soldaten gedenken. Zahlen zu den Verlusten nannte er nicht.
Russlands Verteidigungsminister Sergei Schoigu sagte bei der Sitzung, die Ukraine habe inzwischen 383.000 Soldaten durch Tod oder Verwundung verloren in dem Krieg. Die Ukraine wiederum gibt die Zahl der Verluste in den russischen Reihen aktuell mit 348.000 Soldaten an. Die Angaben sind nicht überprüfbar. Offizielle Zahlen über ihre eigenen Verluste gibt keine der beiden Kriegsparteien bekannt.
Schoigu sagte auch, dass die Zahl der Freiwilligen im kommenden Jahr um mehr als 250.000 auf rund 745.000 Vertragssoldaten steigen solle. Gelockt werden die Russen zum Kriegsdienst demnach weiter mit einem vergleichsweise hohen Sold von umgerechnet rund 2.000 Euro im Monat. "Vorrangiges Ziel für das kommende Jahr ist es, die militärische Spezialoperation fortzusetzen bis zur Erfüllung aller gesetzten Aufgaben", sagte Minister Schoigu. Zu den Aufgaben gehören nach früheren Angaben vor allem die komplette Kontrolle über die bisher teilweise besetzten Gebiete Cherson, Luhansk, Donezk und Saporischschja – und eine Entmilitarisierung der Ukraine.
Putin: "Werden nicht aufgeben, was unser ist"
Putin ist nach eigenen Worten bereit, mit den USA, Europa und der Ukraine über deren Zukunft zu sprechen. Dabei werde Russland aber seine nationalen Interessen verteidigen, sagte Putin. "In der Ukraine, die aggressiv sind gegen Russland, und in Europa und den Vereinigten Staaten – wollen sie verhandeln? Lassen wir sie", sagte er der Militärführung. "Aber wir werden es auf Grundlage unserer nationalen Interessen tun." Zugleich betonte Putin: "Wir werden nicht aufgeben, was unser ist."
Der russische Präsident hat sich wiederholt zu Friedensgesprächen bereiterklärt. Allerdings hat er erst vergangene Woche bekräftigt, möglich sei dies erst, wenn die Ukraine "entnazifiziert" sei. Russische Truppen kontrollieren derzeit 17,5 Prozent des ukrainischen Territoriums. Die ukrainische Führung hat nach wie vor das Ziel, das gesamte Staatsgebiet zurückzuerobern, einschließlich der bereits 2014 von Russland völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel Krim. Westliche Vertreter gehen davon aus, dass Putin erst nach den US-Wahlen im November nächsten Jahres ernsthaft zu Gesprächen bereit ist.
USA habe den Krieg angetrieben
Putin warf einmal mehr den USA vor, den Konflikt in der Ukraine bis zu einem Krieg getrieben zu haben. Es sei dem Westen stets nur darum gegangen, das Land als Instrument zur Zerstörung Russlands zu benutzen, behauptete er. Erreicht hätten die USA "ihr Ziel", auf dem europäischen Kontinent, Russland und die EU auseinander zu bringen. Der Kremlchef kritisierte auch die wachsende Aktivität der Nato vor den Grenzen Russlands – etwa in Finnland, das allerdings erst im Zuge von Putins Krieg Mitglied in dem Militärbündnis wurde.
Putin erklärte zudem öffentlich, dass der Krieg gegen die Ukraine Probleme in der russischen Verteidigung aufgezeigt habe. So brauche Russland mehr Drohnen, eine bessere Flugabwehr und ein modernes Satellitenkommunikationssystem. Zugleich lobte er die Modernisierung der strategischen Waffen der Atommacht. So seien etwa vier Langstreckenbomber vom Typ Tu-160M sowie vier Atom-U-Boote in Betrieb genommen worden. Bis Jahresende sollten 15 neue Startkomplexe für die Interkontinentalraketen vom Typ Jars und Avantgard einsatzbereit sein.
Auch Selenskyj äußert sich
Unmittelbar vor Putins Auftritt schoss die russische Flugabwehr nach Angaben des Verteidigungsministeriums im Moskauer Gebiet eine ukrainische Drohne ab. Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin teilte mit, es habe keine Verletzten oder Schäden gegeben. Der internationale Flughafen Wnukowo meldete nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti im Zuge des Drohnenangriffs gegen Mittag Einschränkungen bei Starts und Landungen.
In sozialen Netzwerken gab es zudem Berichte, dass der Flugverkehr auch auf den Hauptstadt-Flughäfen Domodedowo und Schukowski eingeschränkt sei. Wenig später lief der Verkehr wieder normal. Zuvor hatte die russische Flugabwehr auch den Abschuss von Drohnen in den Gebieten Brjansk und Kaluga gemeldet.
In Kiew wiederum ließ der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen für den späten Nachmittag zu einer Jahrespressekonferenz einladen. Es wurde erwartet, dass auch Selenskyj sich zum Kriegsverlauf und zu den Zielen für 2024 äußert. Schon vorab hatte er vor allem eine Stärkung der Luftverteidigung des Landes angekündigt. Die ukrainische Flugabwehr hat am Dienstag nach eigenen Angaben zwei russische Drohnen abgeschossen.
- Nachrichtenagentur dpa