"Unglaublich alarmierend" Erhöhte Radioaktivität: Sorge um Lage in Tschernobyl nach Gefecht
Der ukrainische Präsidentenberater spricht von einer "der ernsthaftesten Bedrohungen": Russische Truppen haben das ehemalige Atomkraftwerk in Tschernobyl erobert. Auch die Strahlungswerte bereiten Sorge.
In Tschernobyl ist nach der Einnahme durch russische Truppen ein Anstieg der Strahlungswerte gemessen worden. Daten aus einem Überwachungssystem des ukrainischen Umweltamts zeigen, dass sich die radioaktive Strahlung seit Donnerstagabend von 3.200 nSv/h auf 65.500 nSv/h stark erhöht hat.
Die Ursache für die höheren Werte ist derzeit noch unklar. Die Radioaktivität auf dem Gelände bewege sich im normalen Bereich, sagte ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums am Freitag. Der ukrainischen Atombehörde zufolge hat die Strahlung indes zugenommen. Dies liege jedoch an den Bewegungen schwerer Militärfahrzeuge in dem Gebiet, durch die radioaktiver Staub aufgewirbelt worden sei.
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Die Nachrichtenagentur AP berichtet im Gegensatz dazu, der russische Beschuss habe ein Endlager für radioaktive Abfälle in Tschernobyl getroffen. Das sei wahrscheinlich die tatsächliche Ursache für den Anstieg der Strahlungswerte. Russland will nach Angaben seines Verteidigungsministeriums Fallschirmjäger nach Tschernobyl entsenden, um die AKW-Ruine abzusichern.
Bei dem gemessenen Wert besteht zwar eine erhöhte Gesundheitsgefahr, katastrophal ist er allerdings noch nicht: Der Grenzwert für radioaktive Strahlung liegt laut dem deutschen Strahlenschutzgesetz bei 1 mSv/Jahr.
"Eine der ernsthaftesten Bedrohungen für Europa"
Das russische Militär hatte nach ukrainischen Angaben die Kontrolle über den zerstörten Atomreaktor von Tschernobyl übernommen. Es sei unklar, in welchem Zustand die Anlage sei. "Dies stellt heute eine der ernsthaftesten Bedrohungen für Europa dar", sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak am Donnerstagabend. Er warnt vor Provokationen der russischen Seite. Selenskyj erklärte zuvor, die ukrainischen Soldaten in Tschernobyl "geben ihr Leben", um eine "Tragödie wie 1986" zu verhindern.
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hat sich besorgt gezeigt. Wegen der potenziellen Unfallgefahr verfolge sie die Situation in Tschernobyl "mit großer Sorge", erklärte die UN-Organisation am Donnerstag. Sie forderte von allen Beteiligten "ein Höchstmaß an Zurückhaltung". Eine ungesicherte Atomanlage berge große Gefahr.
USA sind alarmiert
Auch die Vereinigten Staaten sind alarmiert. Die Einnahme der Sperrzone des früheren Meilers und der Mitarbeiter dort sei eine "Geiselnahme", sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, am Donnerstag in Washington. "Diese unrechtmäßige und gefährliche Geiselnahme, die routinemäßige Arbeiten zum Erhalt und zur Sicherheit der Atommüll-Einrichtungen aussetzen könnte, ist unglaublich alarmierend und sehr besorgniserregend."
Das Unglück von Tschernobyl am 26. April 1986 gilt als die größte Katastrophe in der zivilen Nutzung der Atomkraft. Hunderttausende wurden zwangsumgesiedelt. Damals gehörte die Ukraine noch zur Sowjetunion. Im vergangenen Sommer war ein neues Atommüllzwischenlager in der radioaktiv verseuchten Sperrzone um Tschernobyl eingeweiht worden. Die ukrainische Hauptstadt Kiew liegt nur knapp 70 Kilometer entfernt. Zusätzlich sind derzeit in der Ukraine 15 Atomreaktoren zur Energiegewinnung in Betrieb.
Korrektur: In einer vorherigen Version dieses Artikels wurde der Grenzwert fälschlicherweise bei 1 Millionen nSv/h pro Jahr angegeben – richtig sind jedoch 1 mSv/Jahr. Wir haben die entsprechende Stelle korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.
- Mit Material der AFP und dpa
- Strahlenschutzgesetz: Paragraph 80
- Karte des ukrainischen Überwachungssystems EcoBot