Drohende Eskalation Nato-Generalsekretär: Kreml "scheint Truppenaufmarsch fortzusetzen"
Der Nato-Generalsekretär warnt weiterhin vor einer hohen Kriegsgefahr in der Ostukraine – und äußert zugleich "vorsichtigen Optimismus". Stoltenberg betont außerdem: Russland entscheide nicht darüber, wer der Nato beitritt.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht nach eigenen Worten noch keine konkreten Anzeichen einer Deeskalation im ukrainisch-russischen Grenzgebiet. Es gebe nach wie vor "weit mehr als 100.000" russische Truppen in dem Konfliktgebiet. Russland scheine den Truppenaufmarsch fortzusetzen.
Es bleibe aber dabei, dass die Nato zu Gesprächen mit der Regierung in Moskau bereit sei, sagte Stoltenberg vor Beratungen der Verteidigungsminister der Bündnisstaaten in Brüssel. Zugleich wiederholte der Nato-Generalsekretär seine Einschätzung, es gebe "Grund zu vorsichtigem Optimismus". Er begründete dies mit Signalen der russischen Dialogbereitschaft.
"Das wäre die beste Lösung"
Stoltenberg betonte, dass ein Abzug der russischen Truppen aus der Ostukraine entscheidend für eine Deeskalation des Konflikts sei. "Wir hoffen, dass sich die Streitkräfte zurückziehen, das wäre die beste Lösung." Stoltenberg zufolge ist die Nato in Europa mit der schwersten Sicherheitskrise seit Jahrzehnten konfrontiert.
Russland rief die Nato daraufhin zu einer nüchternen Betrachtung der Lage auf. "In der Nato gibt es Probleme bei der Einschätzung der Situation", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch in Moskau der Agentur Interfax zufolge. Die Lage werde nicht nüchtern beurteilt.
US-Präsident Joe Biden hatte am Dienstag in einer Fernsehansprache im Weißen Haus gesagt, inzwischen befänden sich sogar "mehr als 150.000" russische Soldaten an den Grenzen zur Ukraine. Auf diese Zahl angesprochen sagte Stoltenberg: "Wir haben gesehen, dass es immer weiter nach oben geht." Dieser Trend halte noch an.
In US-Medienberichten war dieser Mittwoch (16. Februar) als möglicher Kriegsbeginn genannt worden. Kremlsprecher Peskow meinte dazu: "Wir haben in der Nacht friedlich geschlafen, wie es sich gehört. Am Morgen haben wir uns ruhig und geschäftsmäßig an die Arbeit gemacht."
"Es ist nie zu spät, eine politische Lösung zu finden"
Trotz der seit Wochen angespannten Lage glaubt Nato-Generalsekretär Stoltenberg, dass ein Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine verhindert werden kann. "Es ist nie zu spät, eine politische Lösung zu finden", sagte er der "Zeit". Russland müsse dafür aber "damit aufhören, einen Krieg gegen die Ukraine vorzubereiten, und sich glaubwürdig für eine politische Lösung einsetzen."
Stoltenberg hält unverändert an einem Beitritt der Ukraine in die westliche Allianz fest. "Die Türen der Nato bleiben offen", so Stoltenberg zur "Zeit". "Es liegt an der Ukraine, zu entscheiden, wohin sie will." Es liege zudem allein an den 30 Mitgliedern der Nato zu entscheiden, ob das Land die nötigen Kriterien erfülle. "Russland hat kein Vetorecht, wenn es um Beitrittskandidaten der Nato geht", so der Nato-Generalsekretär.
Er betonte in dem Bericht, dass jede Nation frei sei, ihren Weg zu wählen. Das sei im Nato-Gründungsvertrag festgeschrieben, aber auch in der Helsinki-Akte und vielen anderen internationalen Verträgen und Abkommen. "Wir werden niemals Kompromisse schließen, wenn es um grundsätzliche Prinzipien geht", so Stoltenberg weiter. "Wir wollen nicht zu einer Welt zurück, die in Einflusszonen aufgeteilt ist."
Lambrecht: "Gibt Signale, die uns zumindest hoffnungsvoll stimmen lassen"
Für Deutschland wird Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) zu dem zweitägigen Treffen in Brüssel erwartet. Sie hat bislang nicht klar gesagt, ob sich Deutschland an multinationalen Kampftruppen im Südosten beteiligen würde.
Auch Lambrecht betonte mit Blick auf den Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Moskau am Dienstag: "Es gibt Signale, die uns zumindest hoffnungsvoll stimmen lassen." Es sei aber wichtig zu beobachten, ob den russischen Ankündigungen auch Taten folgten. Die Nato müsse ihre Doppelstrategie aus Abschreckung und Dialog fortsetzen.
"Was Deutschland macht, hat Einfluss"
Stoltenberg widersprach der Einschätzung, dass sich Deutschland zuletzt als ein unzuverlässiger Bündnispartner erwiesen habe. Unter Verweis auf die verstärkte Präsenz der Bundeswehr in Litauen und Rumänien sowie auf den erhöhten deutschen Verteidigungsetat sagte er: "Was Deutschland macht, hat Einfluss. Deutschlands Engagement macht einen Unterschied für die Allianz."
Die Verteidigungsminister der 30 Nato-Staaten wollten bei ihrem zweitägigen Treffen über ihre Haltung zu Russland beraten. Zugleich will das Militärbündnis bei dem zweitägigen Treffen einen Ausbau von Gefechtseinheiten im Südosten auf den Weg bringen.
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP und Reuters
- Zeit-Vorabmeldung: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg: "Es liegt an der Ukraine, zu entscheiden, wohin sie will"