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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Debatte um Lauterbach Bei einer Personalie platzt Lanz der Kragen
Wer soll als Gesundheitsminister gegen die Pandemie kämpfen? "Wird es Lauterbach oder nicht?", fragt sich die Runde bei "Markus Lanz". Der Moderator reagiert aufbrausend.
Die Gäste
- Helge Braun, Kanzleramtschef & Kandidat um den CDU-Vorsitz
- Andreas Bovenschulte (SPD), Bremer Bürgermeister
- Robin Alexander, stellvertretender "Welt"-Chefredakteur
- Susanne Schreiber, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats
Führungslos durch die vierte Welle driftend – so fühlen sich viele Bürger aktuell. Da ist es vielleicht weniger der neue Kanzler, der fehlt, als ein echter Verantwortlicher für den Kampf gegen Corona. "Warum haben wir keinen Gesundheitsminister?", fragte Markus Lanz am Donnerstag dann auch nach wenigen Minuten. "Wir haben ja einen", versuchte Bremens SPD-Bürgermeister Andreas Bovenschulte zu beschwichtigen.
Aber der Moderator und auch viele Bürger haben sich innerlich längst von Jens Spahn (CDU) verabschiedet. Der designierte Regierungschef Olaf Scholz (SPD) lässt sich jedoch vornehm Zeit, seine Ministerriege beim Namen zu nennen. "Hat da jemand vielleicht nicht den Ernst der Lage erkannt?", fragte sich die Runde bei Lanz. Und allen – bis auf Bovenschulte – lag ein Name auf der Zunge: Karl Lauterbach.
Bei FDP und Grünen wissen die Bürger mittlerweile, welche Minister sie für ihre Wahlstimme bekommen werden. Ausgerechnet dem gerade so entscheidenden Gesundheitsministerium fehlt aber eine echte Autoritätsperson, die jetzt schon mal die Richtung für die nächsten Wochen vorgeben könnte.
Denn wie selbst Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) in der ZDF-Talkshow einräumte: Der geschäftsführenden Regierung sind durch den fehlenden Rückhalt im Bundestag in vielerlei Hinsicht die Hände gebunden. Bovenschulte versuchte, die Bedeutung der Personalie herunterzuspielen. Da platzte Lanz der Kragen: "Das kann man so nicht durchgehen lassen!"
"Wird Lauterbach Gesundheitsminister?"
"Das ist doch ein Unterschied, ob man heute einen Verantwortlichen hat oder in zehn Tagen", stellte der Moderator klar. Die SPD will ihre Minister erst nach dem Parteitag am 4. Dezember öffentlich machen und "so vorgehen, wie es sich für die größte Regierungspartei anschickt", wie Scholz gerade erst klarstellte. "Ich finde, das ist nicht in Ordnung", kritisierte "Welt"-Journalist Robin Alexander.
Er wollte wissen: "Wird Karl Lauterbach Gesundheitsminister oder nicht? Warum müssen wir da eine Woche drauf warten?" Der Mediziner sei zum Gesicht der SPD-Pandemiebekämpfung geworden. Nun stelle sich die Frage: Wird Lauterbachs Fachmeinung zur offiziellen Corona-Strategie der Ampelkoalition? "Das ist ja keine periphere Frage", betonte der Journalist.
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Er wertete das Zaudern als ein Symptom für den Fehlstart der neuen Regierung. Dass es aus seiner Sicht nicht mit einem guten Regierungswechsel klappt, liegt für den "Welt"-Redakteur in erster Linie an Rot-Grün-Gelb. "Der eigentliche Riss ist in der Ampel", attestierte Alexander. Das Land habe in der Krise einen nahtlosen Übergang gebraucht: "Das hat die Ampel nicht hingekriegt." Susanne Schreiber vom Deutschen Ethikrat berücksichtigte, dass so ein Wechsel schwierig ist: "
Auf der anderen Seite: Die Leute in politischer Verantwortung müssen der Verantwortung auch gerecht werden und da muss man sich halt irgendwie zusammenreißen." Denn jeder Tag, an dem nicht die nötigen Maßnahmen ergriffen würden, koste Menschenleben.
Die Professorin für Theoretische Neurophysiologie an der Humboldt-Universität zu Berlin sah eine Impfpflicht vor einigen Wochen noch kritisch. Die könne mittlerweile angesichts der zu niedrigen Impfbereitschaft aus ethischen Gesichtspunkten jedoch nicht mehr völlig ausgeschlossen werden. Denn wenn Krankenhäuser notgedrungen zur Triage übergingen, müsse gehandelt werden. Und ansonsten stünde nur noch ein Lockdown als Mittel zur Verfügung.
Diesen Begriff wollte Braun zwar nicht in den Mund nehmen. "Das Wort Lockdown ist mir viel zu unspezifisch", sagte der Vertraute der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Kandidat um den CDU-Parteivorsitz drängte aber darauf, Kontakte um 70 Prozent zu reduzieren. Das könne bedeuten, dass ab einer Inzidenz von 300 "der gesamte Freizeitbereich zum Erliegen kommt". Heißt: leere Fußballstadien, keine Weihnachtsmärkte oder Karnevalsveranstaltungen, Gastronomie deutlich reduziert oder bei noch höheren Zahlen gegebenenfalls auch wieder Restaurantschließungen.
Braun kritisiert Ampel
Eine Pandemie brauche klare Regeln und klare Ziele, mahnte Braun. "Jetzt ist der Zeitpunkt, dass die alte und die neue Regierung sich zusammensetzen und das Problem einfach lösen", sagte er. "Ich bin dafür bereit, die Kanzlerin ist auch bereit." Leider habe es aber sehr, sehr lange gedauert, bis die Sache in Gang gekommen sei.
Hier schob der promovierte Mediziner den Ampelkoalitionären und auch einigen Ministerpräsidenten die Schuld zu, die sich im Sommer noch gegen verbindliche Schritte bei bestimmten Schwellenwerten gewehrt hätten.
Eine abweichende Einstellung zu Arbeitsmoral attestierte der Bewerber um den CDU-Parteivorsitz SPD, Grünen und FDP noch in anderer Hinsicht. "Die CDU ist die Partei der Fleißigen im Land", verkündete Braun. Auf Lanz' leicht ungläubige Nachfragen hin unterstrich er: Im Koalitionsvertrag sei etwa beim Bürgergeld das Prinzip Fördern und Fordern nicht mehr wirklich zu erkennen. Braun hat sich für seinen Wahlkampf noch weitere Schlagworte zurechtgelegt. Die Grünen wurden bei ihm zur "Verbotspartei", die CDU hingegen zur Mitmachpartei – natürlich unter seiner Führung.
"Das ist jetzt die moderne Zeit", warb der Kanzleramtschef für seinen "kooperativen Führungsstil". Das bedeutet für Braun auch: "Ich will nicht Fraktionsvorsitzender werden, ich rufe mich auch nicht zum Kanzlerkandidaten aus."
Das dürfte einigen ambitionierten Führungsköpfen der CDU gefallen, die von Friedrich Merz in die zweite Reihe zurückgedrängt werden könnten – allen voran der einflussreiche Fraktionschef Ralph Brinkhaus, auf dessen Posten Merz bereits ein Auge geworfen hat. Am Dienstag hatte es Brauns Konkurrent jedenfalls bei Lanz nicht ausgeschlossen, Partei- und Fraktionschef in Personalunion zu werden.
Während Mitbewerber Norbert Röttgen sich als Mann der Mitte verkauft, warb Braun dafür, die unterschiedlichen Wurzeln der Konservativen als breit aufgestellte Volkspartei zu stärken. "Wir können als CDU stolz sein auf unsere Kanzlerin", betonte er. "Aber jetzt geht die CDU in die Opposition und hat eine ganz andere Aufgabe."
- "Markus Lanz" vom 25. November 2021