EU-Grenzpolitik Migranten in Belarus an Grenze zu Polen in Notunterkünften
Brusgi/Warschau (dpa) – Zu Hunderten haben Migranten die Sicherheitszone in Belarus an der mit Stacheldraht verstärkten Grenze zu Polen verlassen.
Viele bezogen am Donnerstag eine Notunterkunft in einer Lagerhalle in einem Logistikzentrum wenige Hundert Meter von der Grenze in Brusgi entfernt, wie ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur von vor Ort berichtete. "Ich habe Angst, dass ich deportiert werde und im Irak sterbe", sagte der kurdische Student Hoshmand Abdalla in der Lagerhalle mit etwa 2000 Menschen. Hunderte Iraker reisten indes von der belarussischen Hauptstadt Minsk aus freiwillig mit einem Evakuierungsflug nach Bagdad zurück.
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Tausende Migranten harren aber weiter aus - in der Hoffnung, dass sich in Belarus die EU-Grenzen zu Polen oder zu Litauen doch noch öffnen. "Wir wollen ein besseres Leben in der EU, in Deutschland", sagte Abdallas Freund Faraidun Qadir. Vor allem nach dem inzwischen zweiten Gespräch von Kanzlerin Angela Merkel mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko setzen sie auf eine Lösung in ihrem Sinne. Doch dass sich die Grenzen öffnen, ist nicht in Sicht.
Humanitäre Hilfe läuft an
Vielmehr läuft nun nach den Telefonaten Merkels die humanitäre Hilfe immer intensiver an. Schnell hat sich herumgesprochen, dass die EU 700.000 Euro schicken will, um die Menschen besser zu versorgen.
Obwohl viele fast am Ende ihrer Kräfte sind, hält sie die Hoffnung auf ein besseres Leben in der EU am Laufen. Eine Rückkehr in den Irak oder nach Syrien lehnen sie ab. Dennoch gibt es auch jene, die heimkehren wollen. Ein erster Sonderflug nach Bagdad hob laut der Website des Flughafens am Nachmittag in Minsk ab.
Nach offiziellen Angaben aus dem Irak war am Donnerstag die Rückführung von 430 Irakern geplant, die in Belarus gestrandet waren. Lukaschenkos Sprecherin Natalja Eismont erklärte zudem, dass der belarussische Staatschef gefordert habe, Merkel solle einen "humanitären Korridor" für 2000 Migranten in die EU aushandeln. Im Gegenzug dazu bot er bei einem Telefonat mit der Kanzlerin an, sich um die Rückkehr von 5000 Migranten in ihre Heimatländer zu bemühen. Bei vielen Migranten, die mit Touristenvisum nach Belarus eingereist sind, löste das Sorge vor einer Deportation aus.
Europa will vereint vorgehen
Mit seinem Vorstoß fing sich Lukaschenko in Berlin jedoch eine Absage ein. Die geschäftsführende Regierung sieht bei Fragen zur humanitären Situation der in Belarus festsitzenden Menschen dem Vernehmen nach die EU in der Verantwortung. Aus Berliner Regierungskreisen hieß es am Donnerstag: "Deutschland hat dem nicht zugestimmt. Es handelt sich um ein europäisches Problem, bei dem Deutschland nicht alleine vorgeht."
Um zu verhindern, dass Migranten zur Weiterschleusung in die EU nach Belarus gebracht werden, hatte die Europäische Union zuletzt harte Sanktionen auch gegen ausländische Fluggesellschaften angedroht. Daraufhin verfügte zum Beispiel die Türkei, dass Staatsbürger mehrerer arabischer Länder nicht mehr vom türkischen Staatsgebiet aus nach Belarus fliegen dürfen.
Besorgt zeigten sich Helfer in Belarus über die gesundheitliche Lage besonders von Frauen und Kindern in dem Migrantenlager. Mehrere Menschen mussten in Krankenhäusern untergebracht werden, wie Rettungskräfte mitteilten. In der Notunterkunft in der Lagerhalle wurde ein erster Corona-Fall gemeldet. Der Patient sei in ein Krankenhaus gebracht wurden, sagte ein Behördenvertreter aus der Region Grodno der Staatsagentur Belta zufolge.
Hunderte Menschen auf engstem Raum
In der am Dienstag eröffneten Unterkunft schliefen in den vergangenen beiden Nächten Hunderte Menschen auf engstem Raum auf dem Boden. In dem Logistikzentrum wurde die obere Etage ebenfalls geöffnet. Corona-Schutzvorkehrungen gibt es dort kaum, Masken haben die Migranten auch keine. Die Hygienebedingungen sind schlecht. In einem Seitentrakt wurde eine Corona-Impfstelle eingerichtet, in der ein chinesischer Impfstoff verabreicht werden soll.
Europa beschuldigt den autoritären Machthaber Lukaschenko, die Krise um die Migranten künstlich herbeigeführt zu haben, um Druck auf die EU auszuüben. Er hatte als Reaktion auf die europäischen Sanktionen gegen Belarus im Sommer angekündigt, keine Migranten auf dem Weg in die EU mehr aufzuhalten. Zuletzt hatte Lukaschenko aber betont, er habe nichts mit der Vielzahl der Ankömmlinge zu tun.
Um Polen für die Bemühungen zur Abwehr organisierter Migrationsbewegungen aus Belarus zu danken, reiste am Donnerstag Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nach Warschau. Bei dem Treffen mit Polens Innenminister Mariusz Kaminski sollte es dem Vernehmen nach nicht nur um den Schutz der Außengrenzen gehen, sondern auch um die Verbesserung der humanitären Situation von Migranten in Belarus sowie um Möglichkeiten der Europäischen Union, eine "Instrumentalisierung von Migranten" in Zukunft zu verhindern.
Unterdessen kam aus Polen erneut Kritik an den Telefonaten zwischen Merkel und Lukaschenko. Es dürften "in dieser Krise keine Entscheidung über unsere Köpfe hinweg gefällt werden", sagte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki der "Bild" (Donnerstag).