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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Streit mit Erdoğan eskaliert Ein Schlag in unser Gesicht
Präsident
Recep Tayyip Erdoğan hat es in den vergangenen Wochen geschafft, die türkische Wirtschaft noch weiter zu ruinieren. Seine finanzpolitischen Fehler führten dazu, dass die schwer angeschlagene Lira auf ein neues Rekordtief abstürzte. Doch Einsicht kennt der türkische Präsident nicht, im Gegenteil: Er verhält sich wie ein Schüler, der von schlechten Noten ablenken will und deshalb Ärger auf dem Pausenhof anzettelt.
Als seine Nebelkerze lässt Erdoğan nun zehn Botschafter zu unerwünschten Personen erklären, die sich für den inhaftierten Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala eingesetzt haben. Darunter sind die Vertreter von Deutschland, Frankreich und den USA. Es ist die Vorstufe, bevor sie aus der Türkei ausgewiesen werden. Ein diplomatischer Eklat.
Doch das Manöver ist auch durchschaubar. Die Suche nach außenpolitischen Konflikten, um innenpolitische Krisen zu kaschieren – das versuchte der Staatschef in der Vergangenheit häufig. So häufig, dass es nur noch lächerlich ist.
Erdoğans diplomatische Panzerfaust
Staaten wie Deutschland und Frankreich sind völlig im Recht, wenn sie sich für Kavala einsetzen. Der Unternehmer und Kulturförderer sitzt seit über vier Jahren in einem türkischen Gefängnis, ohne Verurteilung.
Kavala soll laut einer ersten Anklage die regierungskritischen Gezi-Proteste 2013 finanziert haben. Beweise dafür gab es nie, deshalb wurde der Aktivist zunächst freigesprochen, aber danach gleich erneut verhaftet. Inzwischen geht es um eine angebliche Beteiligung am Putschversuch 2016 und um Spionagevorwürfe, das letzte Urteil vom Berufungsgericht wurde rückgängig gemacht.
Während Kavala Jahre seines Lebens in Untersuchungshaft verbringt, versucht die türkische Regierung den wahren Grund dafür nicht einmal zu verbergen. Es geht um das bloße Kaltstellen eines finanzkräftigen Erdoğan-Gegners.
Um die Kritik westlicher Staaten hat sich die türkische Staatsführung im Fall Kavala bislang jedoch nicht geschert. Bis auf ein paar beleidigte Kommentare des Präsidenten prallte sie ab wie ein Flummi an einer Betonwand. Dass Erdoğan mit dem Vorgehen gegen die Botschafter nun plötzlich die diplomatische Panzerfaust einsetzt, hat einen bestimmten Grund.
Fatale Folgen einer verfehlten Finanzpolitik
Der türkische Präsident möchte um jeden Preis die Niedrigzinspolitik der Notenbank erhalten, um das Wirtschaftswachstum in der Türkei nicht zu gefährden. Mittlerweile ist das jedoch ein finanzpolitischer Kamikazekurs, die Inflation steigt immer weiter, durch die Zinssenkungen rutschte die Währung auf ein Rekordtief.
Doch anstatt auf Wirtschaftsexperten zu hören, mischt sich Erdoğan in die Entscheidungen der eigentlich unabhängigen Notenbank ein. Erst kürzlich entließ er drei Notenbanker. Ein katastrophaler Fehler, der das Vertrauen der Finanzmärkte in die Lira nochmals heftig erschütterte.
Die Folgen sind fatal: Wichtige Importe, auf die die Türkei angewiesen ist, werden unbeschreiblich teuer. Viele Türken haben Kredite in Dollar aufgenommen, die sie nun nicht mehr bedienen können. Durch die Inflation wird der alltägliche Konsum für viele Menschen unbezahlbar. Es sind zum Teil verheerende Zustände, die Verantwortung dafür trägt die türkische Regierung.
Das wird für Erdoğan zunehmend zum Problem, denn neben der Religion ist das Wirtschaftswachstum das Fundament seiner Macht – und letzteres bröckelt durch die gegenwärtigen Probleme immer weiter.
Ein perfides Machtspiel
Deshalb versucht der türkische Präsident mit dem diplomatischen Eklat nun, seine Anhängerschaft hinter sich zu versammeln. Gegen andere Länder, die die Türkei vermeintlich kleinhalten wollen und nicht verstehen würden. Gegen die Opposition im eigenen Land, deren Kritik nur Ausdruck von Hass sei. Und gegen Medien, die ohnehin angeblich nur falsch berichten würden.
Diese Polarisierung ist Teil des perfiden Machtspiels, das Erdoğan seit Jahren betreibt. Er spaltet sein Land und gefährdet den sozialen Frieden. Die daraus resultierenden Spannungen sind ein Armutszeugnis für einen Staatschef.
Deshalb müssen nun vor allem die westlichen Staaten nüchtern auf die wahrscheinliche Ausweisung der Botschafter reagieren. Ein lauter Konflikt in der Öffentlichkeit ist das, was sich der türkische Präsident erhofft. Diesen Gefallen sollten ihm die betroffenen Länder nicht tun, sondern sein Ablenkungsmanöver im Keim ersticken. Es sind Besonnenheit und Ignoranz, die Erdoğan am meisten treffen – so wie so manchen Schulhofschläger.
- Eigene Recherche